The Irishman

Filmkritik: The Irishman

Eigentlich wollte Regisseur Martin Scorsese ja nur seinen Film „The Irishman“ promoten, als er im Interview gegen Marvel schoss. Das hat seinem Film sicher noch mehr Aufmerksamkeit eingetragen, als er ohnehin schon bekam. Denn mit seiner Aussage, Marvel-Film seien kein Kino, sondern eher Theme-Parks hat sich Scorsese viele Freunde, aber auch Feinde gemacht. Was ja eigentlich wiederum ganz gut zu einer Mafia-Saga passt. Kann der Altmeister des Gangster-Epos erneut überzeugen?

Auch wenn Martin Scorsese mittlerweile 77 Jahre alt ist und in seiner Karriere eine Menge unterschiedlicher Filme gedreht hat – sein besonderes Steckenpferd war immer das (organisierte) Verbrechen. Sein von Netflix finanzierter, mehr als 150 Millionen Dollar teurer The Irishman galt daher schon als Alters-Meisterwerk des Regisseurs, bevor auch nur eine Menschenseele etwas davon zu Gesicht bekommen hatte. Viele Kritiker wichen von diesem Lob auch nicht ab, nachdem sie ihn gesehen hatten. Haben die Experten recht?

The Irishman
22. November 1963: Kennedys Tod trifft auch Frank unerwartet. Aber wusste er tatsächlich nichts?

The Irishman: Die Handlung

Frank Sheeran (Robert DeNiro) lernt in den 50er Jahren als Fahrer von Tiefkühl-Fleisch den damals bereits mächtigen Mafia-Boss Russell Bufalino (Joe Pesci) kennen. Die beiden freunden sich an und schnell wird Frank ein Teil der ehrenwerten Familie. Für seinen väterlichen Freund verübt Frank bald erste Verbrechen, schließlich auch den ersten Mord. Als The Irishman kämpft sich Frank langsam immer höher in der Karriereleiter der Mafia, ohne sich je wirklich Feinde zu machen. Zum echten Freund wird ihm aber Gewerkschaftsboss Jimmi Hoffa (Al Pacino).

Der hängt zwar in Mafiageschäften, gibt sich nach außen aber als Saubermann, der für die Arbeiter kämpft. Während der 70er Jahre geraten Hoffa und die Mafia schließlich in einem erbitterten Streit um Geld und Macht. Während Frank zuhause immer stärker durch die Fragen seiner heranwachsenden Tochter Peggy (Anna Paquin) unter Druck gerät, wird im Geschäft seine Freundschaft zu Hoffa für ihn zum ernsthaften Problem. Denn Russells Organisation verliert langsam die Geduld mit dem aufbrausenden, machthungrigen Gewerkschaftler …

The Irishman: Alterswerk ja …

Fans des Regisseurs werden nicht weiter verwundert sein, weil sie es schon kennen. Auch in The Irishman lässt sich Scorsese wieder sehr viel Zeit, um seine Story zu erzählen. Die spannt sich immerhin auch über mehr als 50 Jahre amerikanischer Zeitgeschichte. Dennoch sind 209 Minuten eine Menge Zeit für einen Film. Die füllt Scorsese mit für ihn typischen Inhalten. Klassische kurze Gewaltausbrüche wechseln sich mit manchmal quälend langen Dialogen ab. Der Eindruck, hier ein Alterswerk des großen Regisseurs zu sehen, bestätigt sich bald.

Denn er hat für sein Lieblingsthema auch einige seiner Lieblingsschauspieler vor die Kamera geholt, mit denen er schon sehr oft zusammengearbeitet hat. Damit die allerdings den gesamten Film über glaubhaft aussehen, griff Scorsese, eigentlich untypisch für ihn, auf massive Special-Effects zurück, um die Darsteller im Computer zu verjüngen. Das sieht stets gut aus, eine perfekte Illusion, wie es zumindest teilweise in „Gemini Man“ von Ang Lee gelang, gibt es hier aber nicht. Den DeNiro von 30 bis 80 glaubt der Zuschauer so nicht uneingeschränkt.

The Irishman
Von der Mafia als Beschützer geschickt, freundet sich Frank bald mit Jimmy Hoffa an.

The Irishman: … aber kein Meisterwerk

Dennoch entfaltet Scorsese Verfilmung des Drehbuchs von Steve Zaillian („Schindlers Liste“) nach dem Sachbuch „I Heard you paint Houses“ eine große, erzählerische Kraft. Wenn Frank seinen beruflichen Erfolg mit der Liebe seines Kindes bezahlen muss, lässt sich das auch dank der großartigen Anna Paquin als Zuschauer nur schwer verdauen. Und der eigentlich so erbarmungslose Killer erntet dafür auch Sympathie vom Publikum. Was DeNiro und Scorsese da gelingt ist schon beeindruckend. Aber eben alles andere als neu.

Über weite Strecken des Films fühlt sich der Fan des Regisseurs an frühere Werke erinnert. Zwar hat sich Scorsese mit diesem Monster von Film an einen großen Zeitraum gemacht, den er abdeckt. Aber viele der Szenen erinnern so stark an vergangene Filme des Regisseurs, dass hier von frisch oder gar innovativ nicht die Rede sein kann. Klar, das muss man von einem 77-jährigen Großmeister seines Fachs nicht unbedingt erwarten. Um ein Meisterwerk zu sein, ist The Irishman aber einfach zu sehr den alten Pfaden verhaftet.

Was nicht heißen soll, dass der Film nicht gut wäre, denn das ist er ohne Zweifel. Große Schauspielkunst mit unglaublicher Präsenz, der demaskierende Blick hinter die Kulissen des organisierten Verbrechens. Und auch die mitunter fast albernen Ehrenbezeugungen und Machtkämpfe untereinander – das ist alles sehr sehenswert. Freunde des Regisseurs haben das alles aber schon mindestens ein Mal in einem Film von Martin Scorsese gesehen. Und so ist The Irishman ein sehr guter, aber kein herausragender Film. Der dazu auch etwas zu lang geraten ist.

Fazit:

Martin Scorsese kann es immer noch, das beweist er mit The Irishman eindrucksvoll. Er zeigt allerdings auch, das ein alter Hund keine neuen Tricks mehr lernt. Denn der Film ist Scorsese pur – aber eben deshalb auch so bekannt und wenig innovativ. Wer den Regisseur ob seiner explodierenden Gewalt und seiner fast absurd anmutenden Gangster-Dialoge liebt, wird auch hier begeistert sein. Neue Fans dürfte sich Scorsese mit diesem „Best of“ seiner bisherigen Arbeiten kaum erschließen.

The Irishman läuft ab dem 27. November 2019 bei Netflix.

The Irishman
Russel Bufalino und Frank Sheeran halten sich Jahrzehnte lang gegenseitig den Rücken frei.