Snowpiercer

Serienkritik: Snowpiercer

Fans düsterer Science Fiction-Filme dürfte „Snowpiercer“ bereits bekannt sein. 2013 drehte der frischgebackene Oscar-Gewinner Bong Joon-ho („Parasite“) die Adaption eines französischen Comics mit Chris Evans in der Hauptrolle. Seit 2016 war der US-Sender TNT an einer Serienumsetzung interessiert, aber kreative Differenzen bremsten das Projekt immer wieder aus. Nun ist die Serie doch noch fertig geworden und läuft ab dem 25. Mai (Doppelfolge) mit einer neuen Folge jeden Freitag bei Netflix. Wie gut ist sie?

Als Bong Joon-ho 2013 Snowpiercer drehte, war er zwar durch „Memories of Murder“ und „The Host“ bereits einem Genre-Publikum bekannt, aber noch nicht der Megastar, der er nun ist. Doch schon dieser Film zeigt, dass sich der koreanische Regisseur und Drehbuchautor gern mit sozialen Problemen und der Schere zwischen Arm und Reich auseinandersetzt. Die Serie, bei der er als Produzent in Erscheinung tritt, scheint aber zunächst eher ein Krimi als ein Sozialdrama zu sein. Stimmt das? Und lohnt sich das Einschalten trotzdem?

Snowpiercer
Das Ende der Welt ist da! Layton und seine Frau Zarah retten sich als blinde Passagiere in den Zug Snowpiercer.

Snowpiercer: Die Handlung

2021. Seit sieben Jahren fahren die letzten Überlebenden der Menschheit in einer vereisten Welt mit dem Zug Snowpiercer rund um die Erde – streng getrennt nach Klassen. Während die erste Klasse in Saus und Braus lebt und es der zweiten und dritten Klasse halbwegs gut geht, vegetieren am Ende der 1001 Waggons die „Tailies“, im Schwanz des Zuges vor sich hin. Sie sind weitgehend rechtelos, werden mies behandelt und müssen niedere Arbeit verrichten, um überhaupt Essen zu bekommen. Unter ihnen lebt der ehemalige Mordermittler Andre Layton (Daveed Diggs).

Während er mit ein Anführern der Tailies eine Revolution plant, wird er abgeholt und in den vorderen Teil des Zuges gebracht. Dort erklärt ihm Melanie Cavill (Jennifer Connolly), rechte Hand des Zug-Erbauers und Herrschers Mr. Wilford, dass es einen Mord gegeben hat und Layton diesen aufklären soll. Zuerst weigert er sich und verlangt weitreichende Erleichterungen für die Tailies, doch dann siegt seine Neugier und seine Jagdinstinkte springen an. Wer hat bereits zwei Menschen ermordet und läuft noch immer frei herum? Layton beginnt zu ermitteln …

Snowpiercer: Politischer Krimi

Die Entwarnung gleich vorweg: Wer den Film wegen seiner politischen und gesellschaftlichen Aussagen mochte, wird diese auch in der Serie wiederfinden, die zeitlich als Prequel zum Film fungiert. Zwar nimmt die Krimihandlung in den ersten fünf Episoden durchaus viel Platz ein, der Kampf der Tailies um ein menschenwürdiges Leben ist aber auch hier ein elementarer Teil des Ganzen. Denn der wichtigste Teil des gesellschaftlichen Konstrukts auf der Snowpiercer besteht eben darin, den Menschen zu erzählen, das sei die natürliche Ordnung und müsse so bleiben.

Das nehmen die reichen Passagiere der ersten und zweiten Klasse natürlich ebenso als gottgegeben an, wie es die ärmeren Passagiere der dritten Klasse und die rechtlosen Tailies bekämpfen, die einen eher heimlich, die anderen ganz offen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. So platt, wie sich das im ersten Moment anhört, setzen es die Macher allerdings nicht um. Vielmehr gelingt es den Autoren, glaubwürdige Figuren zu erschaffen, die mehr oder weniger nachvollziehbar auf einer der Seiten stehen, ohne deshalb zu Klischees zu verkommen.

Snowpiercer
Sieben Jahre später wird Layton, im früheren Leben Cop beim Morddezernat, in den vorderen Zugteil geholt. Er soll einen Killer finden.

Snowpiercer: Starke Charaktere

Da wären natürlich die beiden Hauptfiguren. Daveed Diggs legt seinen Andre Layton als Cop an, der zwar dem Mörder auf die Spur kommen will, deswegen aber keine Sekunde seinen eigentlichen Plan aus den Augen lässt: wichtige Informationen für die Revolution zu sammeln. Und dafür steckt der clevere Detective neben vielen Beleidigungen – die er gern zurück gibt – auch reichlich Prügel ein. Mit Layton zusammen erkundet der Zuschauer auch weite Teile des Zuges, die der Tailie vorher nie zu Gesicht bekommen hat.

Wie heutzutage aber fast schon üblich, verfügt Snowpiercer über mehr interessante Frauenfiguren als männliches Personal. Jennifer Connolly ist großartig als ambivalentes Sprachrohr des Zugherrschers, die ein großes Geheimnis mit sich herum trägt. Dabei steht ihre zarte, fast fragile Erscheinung im krassen Gegensatz zu der Härte, zu der sie fähig ist, wenn sie es für notwendig hält. Aber auch Katie McGuiness als Tailie-Frau Josie und Mickey Sumner (Tochter von Sting) als Bess Till, eine Art Polizistin aus der zweiten Klasse, überzeugen in gut geschriebenen Rollen.

Zudem legt Snowpiercer wie der Namensgeber der Serie ein rasantes Tempo an den Tag. In jeder Folge passiert eine ganze Menge, das entweder zur Aufdeckung einiger Geheimnisse oder zum Entstehen neuer Fragen führt. Dabei geht die Serie alles andere als zimperlich zu Werke. Während beim Sex die Nippel verdeckt bleiben, spritzt das Blut hier deutlich sichtbar und auch ein paar Grausamkeiten zeigt die Serie explizit. Für ganz zarte Gemüter ist Snowpiercer also nicht das Richtige. Sci-Fi-Fans, für die es etwas düsterer zugehen darf, haben dagegen Spaß.

Fazit:

 Obwohl nach der Hälfte der Staffel noch immer kein klarer Kurs zu erkennen ist, inwieweit die Serie den Film nacherzählen wird, ist Snowpiercer eine runde Sache. Spannend, blutig und mit viel Willen dazu, relevante gesellschaftliche Themen anzusprechen, kann die Serie mehr als nur gut zu unterhalten. Dazu kommen sehr sehenswerte Schauspieler, allen voran Jennifer Connolly. Auch der Heimsender TNT ist offenbar von der Serie überzeugt, die zweite Staffel wurde bereits bestellt, bevor die Ausstrahlung der ersten begann. Und das scheint eine gute Idee zu sein.

Snowpiercer startet am 25. Mai 2020 mit einer Doppelfolge, danach eine Folge pro Woche, bei Netflix.

Gesehen: Fünf von zehn Epsioden.

Snowpiercer
Überwacht wird er dabei von Melanie Cavill, der rechten Hand des Zugherrschers Mr. Wilford. Und die hat ganz eigene Pläne.