Emma Mackay als Maeve
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Serienkritik: Sex Education Staffel 4

Wehmut umweht die Serie. „Sex Education Staffel 4“ heißt Abschied nehmen von Otis, Maeve, Eric, Adam, Aimee und den anderen Charakteren, die Zuschauer über die vergangenen Jahre liebgewonnen haben. Die Serie endet. In den bisherigen Staffeln erwarb sich die Serie einen fast einmaligen Ruf, weil sie tatsächlich Tabuthemen anpackte, ohne sie jemals zum Ziel von billigem Spott oder Überdramatisierung zu machen. Gelingt es den Machern in  der finalen Staffeln noch einmal, die Geschichten der Figuren so gut wie bisher weiterzuerzählen und die unwiderstehliche Mischung aus Humor und Drama ein letztes Mal anzurühren? Das verrät die Kritik.

Die Kritik zu Staffel 1.

Die Kritik zu Staffel 2.

Hier steht die Kritik zu Staffel 3.

Asa Butterfield
Kommt Otis endlich mit seiner großen Liebe Maeve zusammen?

Die Handlung

Endlich sind sie zusammen – und doch auch wieder nicht. Otis (Asa Butterfield) und Maeve (Emma Mackay) haben sich endlich ihre Liebe füreinander eingestanden. Doch Minuten später musste die junge Frau abreisen, um ihr Stipendium in den USA anzutreten. Und seitdem führen Otis und sie eine telefonische Fernbeziehung. Und haben beide mit der sexuellen Spannung zu kämpfen, die sie nicht miteinander ausleben können. Otis hat dazu noch ein weiteres Problem: Seine Mutter Jean (Gillian Anderson) brachte vor ein paar Wochen seine Schwester Joy zur Welt. Doch weil ihr Partner Jakob nicht der Vater des Kindes ist, hat er sie nach ihrem Geständnis verlassen.

Maeve hingegen muss sich in ihrer neuen Umgebung nicht nur mit neuen Schülern auseinandersetzen, sondern auch mit einem alternden Literatur-Jungstar, der als Dozent extrem streng auf Maeves Arbeit schaut. Und die junge Frau mehr als einmal frustriert. Eric wähnt sich hingegen im Paradies. Die neue Schule, auf der die er, Otis, Ruby und all die anderen ihr letztes Schuljahr verbringen, ist dermaßen queer-freundlich, dass Eric sich sofort wie zuhause fühlt. Dennoch quält er sich mit einem anderen Thema herum. Seine Familie wünscht sich, dass er sich taufen lässt, doch die Kirche lehnt ihn als schwulen Mann weiterhin ab. Und Otis muss feststellen, dass es an der neuen Schule mit „O“ (Thaddea Graham, „Die Bande aus der Baker Street“) bereits eine Sex-Therapeutin für Schüler gibt, obwohl das doch seine Idee war …

Gute Geschichten, gut erzählt

In Sex Education Staffel 4 haben die Autoren noch einmal alles hineingelegt, was die Serie bislang so erfolgreich machte. Schließlich galt es, allen Figuren einen würdigen Abschluss zu geben. Das ist tatsächlich beeindruckend gut gelungen. Denn die Drehbuchschreiber beweisen ein ums andere Mal, wie gut und genau sie ihre Charaktere kennen, was sie ausmacht und wohin sie sich entwickeln sollen. Nur selten wirkt eine Entwicklung aufgesetzt und verläuft selbst dann noch in befriedigenden Bahnen. So wirkt beispielsweise der Besuch von Jeans Schwester Joanne, die Otis zur Hilfe gerufen hat, weil er sieht, dass seine Mutter überfordert ist, zu Beginn etwas bemüht. Und entwickelt sich dann zu einer der stärksten Storys der finalen Staffel.

Was die jungen Erwachsenen angeht, da zeigen die Autoren erneut ihr Talent, auch Figuren, die weit außerhalb irgendwelcher Normen agieren, so einfühlsam und lebendig zu gestalten, dass das Publikum kaum anders kann als mit ihnen mitzufiebern, mögen die sexuellen Interessen auch gänzlich andere sein. Und das ist in Sex Education Staffel 4, vielleicht auch durch die Gewissheit des Abschieds, emotionaler denn je. Wer bislang schon beim Zuschauen hin und wieder eine Träne verdrückte, der muss sich auf eine harte Zeit mit den letzten acht Folgen einstellen. Nah am Wasser gebaute Zuschauer dürften einige Taschentücher verbrauchen, bis sie das Ende erreicht haben.

Ncuti Gatwa
Eric hat eine gute Zeit, und doch beschäftigt ihn eine Glaubensfrage.

Klare Botschaften

Und ja, die Gründe, die Serie nach Staffel 4 zu beenden, sind nachvollziehbar. Die Schauspieler werden immer älter und unglaubwürdiger als Schüler, Stars wie Emma Mackay starten gerade international durch und möchten sich nicht mehr an eine Serie binden. Und doch lässt es sich nicht anders sagen: Das Ende von Sex Education ist ein herber Verlust für die Serienlandschaft bei Netflix. Denn die Serie ist eben nicht nur ein sehr genaues und sehr liebevoll gezeichnetes Bild einer Generation, sondern erschafft auch die Vision, wie schön es sein könnte, respektvoll und freundlich miteinander umzugehen. Und die Menschen sein zu lassen, wie sie sind, solange niemand darunter leiden muss. Das gelang der Serie nie besser als in Staffel 4.

Dass es den Autoren gelingt, jeder Figur eine starke Story auf den Leib zu schreiben, ist dabei beeindruckend. So berührt die Geschichte um die Familie Groff. Adam will nicht mehr zur Schule gehen und beginnt ein Praktikum auf einem Pferdehof. Sein Vater Michael, nun einfacher Lehrer auf der neuen Schule, bemüht sich weiter, sich von einem Ekel zu einem liebevollen Ehemann und Vater zu werden. Ruby muss lernen, dass sie auf der neuen Schule nicht mehr der uneingeschränkte Star ist. Aber das Herzstück der Serie bleibt die komplizierte Liebe zwischen Otis und Maeve, die wundervoll weitergeht und dem Publikum die Tränen in die Augen treibt (ob vor Rührung oder Mitleid soll hier nicht verraten werden). Mackay und Butterfield sind einfach grandios gut zusammen.

Sex Education Staffel 4
Jean ist mit Tochter Joy leicht überfordert, will das aber nicht zugeben. Otis muss handeln.

Wie bei jeder außergewöhnlichen Serie hat man am Ende das Gefühl, dass sie zu früh endet. Da wären doch noch so viele Geschichten zu erzählen, so viel ist ungesagt oder verdiente eine Fortsetzung. All das ist richtig. Und doch finden die Autoren einen Moment, der sich als Schlusspunkt eignet. Und das Publikum auf einem rekordverdächtigen emotionalen Niveau verabschiedet. Keine Frage, die Serie wird ein Hit bei Netflix bleiben in den kommenden Jahren. Denn Maeve, Otis, Eric und die anderen wird kaum ein Fan von Sex Education so schnell vergessen. Waren sie doch, wenn nicht sogar Freunde, dann zumindest gute Bekannte, um deren Schicksal man sich eben Gedanken macht. Eine Serie, die das schafft, darf sich zu Recht großartig nennen.

Fazit:

Taschentücher raus, letzte Folge läuft! Mit Sex Education Staffel 4 halten die Macher der Serie das hohe Niveau mühelos. Und präsentieren den Fans acht weitere Folgen mit der unwiderstehlichen Mischung aus Drama und Humor. Erneut erfüllen die großartigen Schauspieler wie Gillian Anderson, Asa Butterfield, Emma Mackay und Ncuti Gatwa mühelos die stark geschriebenen Handlungsstränge mit Leben. Darüber hinaus schafft die Serie aber auch die Vision von einem Zusammenleben, das von gegenseitigem Respekt füreinander geprägt ist. Das ist so schön und wirkt dabei so realistisch, dass die meisten Zuschauer sich wohl sofort an dieser Schule anmelden würden. Ein Edelstein von einer Serie, der auch in Jahren noch funkeln wird.

Sex Education Staffel 4 startet am 21. September 2023 bei Netflix.

Sex Education Staffel 4
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