A Classic Horror Story

Filmkritik: A Classic Horror Story

Italien war einmal ein berühmtes oder berüchtigtes Horrorfilm-Land, je nachdem, ob man die Perlen unter unzähligen Rip-Offs bekannter US-Vorlagen mag oder die gesamte Horrorwelle der 60er bis 80er Jahre in Italien einfach nicht mag. Doch schon seit längerem ist Italien eher für leichte Komödien bekannt als für derben Horror. Offenbar kein haltbarer Zustand für das Regie-Duo Robert De Feo und Paolo Strippoli. Gemeinsam mit Lucio Besana schreiben sie das Drehbuch zu „A Classic Horror Story“ und inszenierten das Ergebnis für Netflix. Kann der Film, der deutliche Anleihen bei vielen Klassikern des Genres nimmt, als eigenständiges Werk überzeugen? Oder ist er nur ein Horror-Häppchen für zwischendurch? Das verrät die Kritik.

A classic horror story
Nach dem Unfall entdecken die vier unversehrten Reisenden unheimliche Dinge in einem alten Haus.

Die Handlung

Elisa (Matilda Lutz) ist ungewollt schwanger und will zu ihren Eltern nach Süditalien fahren, wo ihre Mutter bereits alles für eine Abtreibung organisiert hat. Um Geld zu sparen, nutzt sie eine Mitfahrzentrale und landet mit einem Haufen Fremder in einem Wohnmobil. Fahrer Fabrizio hofft auf eine Youtube-Karriere und nimmt Reisende günstig mit, wenn sie ihm dafür etwas über sich erzählen. Und so gibt das Liebespaar Mark (Will Merrick) und Sofia (Juliia Sobol) bereitwillig Auskunft über künftige Pläne. Der Arzt Riccardo (Peppino Mazzotta) ist da deutlich schweigsamer. Und auch Elisa möchte ihr Geheimnis nicht unbedingt über den Social Media-Dienst ausposaunen. Dennoch kommt man sich während der Fahrt näher, bis es in der Nacht zu einem folgenschweren Unfall kommt.

Mark setzt den Camper gegen einen Baum, nur wenig Meter von der Straße entfernt. Doch als alle erwachen, steht der Wagen auf einer Lichtung im Wald und weit und breit ist keine Straße zu sehen. Mark hat es beim Unfall übel erwischt, ein Beinbruch setzt ihn außer Gefecht. Die übrigen Reisenden entdecken in der Nähe eine alte Holzhütte, die aber von niemanden bewohnt wird – wie es scheint. Bald jedoch stoßen Riccardo und Fabrizio im Wald auf Spuren eines satanischen Kults, die offenbar drei dämonische Ritter verehren. Fabrizio kennt die Legende, weil seine Oma sie ihm als Kind erzählte. Erst tut die Gruppe das als alten Aberglauben ab, aber als es dunkel wird, nehmen unheimliche Ereignisse ihren Lauf. Mit tödlichen Folgen …

Viele Vorbilder

Zu viele der Titel zu nennen, von denen De Feo und Strippoli sich haben inspirieren lassen, wäre ein dicker Spoiler. Aber Klassiker wie „The Hills Have Eyes“ oder modernere Horrorfilme wie „Midsommar“ haben bei A Classic Horror Story definitiv ihre Spuren hinterlassen. Wer mit einem der Filme oder auch beiden etwas anfangen konnte, darf das schon als Sichtungsempfehlung werten. Denn die Atmosphäre beider Filme stand in einigen Szenen hier eindeutig Pate. Im Gegensatz zu diesen Filmen, die ihre Story bald deutlich  machen und dann keine wirklichen Überraschungen zu bieten haben, ist A Classic Horror Story aber mit einigen Twists ausgestattet, die nicht unbedingt schon von Weitem zu erkennen sind. Hier machen die Autoren/Regisseure einen guten Job.

Wer wenig Erfahrung mit Horror hat, dürfte deshalb auch ordentlich abgeholt werden. Zumal auch die Gewalt zwar selten zu sehen ist, aber dann recht derb und entsprechend schockierend ausfällt (echten Gore-Hounds wird es aber wohl nicht genügen). Fans des Genres wird in der Story allerdings nichts begegnen, was sie nicht schon das eine oder andere Mal gesehen hätten. Der durchaus zweideutige Titel des Films hat also seinen Sinn. Klassisch ist vor allem das Setting des Backwood-Slashers wie in „Wrong Turn“ oder „Cabin in the Woods“, aber wie in letzterem sollte der Zuschauer auch bei A Classic Horror Story nicht unbedingt alles für bare Münze nehmen, was er zu sehen bekommt. Wenn sich auch ein direkter Vergleich mit dem US-Klassiker aufgrund doch recht verschiedener Plots verbietet.

Haus im Nebel
Kein Wunder, wirkt das alte Gebäude doch schon von außen gruselig.

 Blutig und ernst

Auch in den Gewaltszenen fühlt es sich für Genre-Kenner an, als würde ihnen ein Best-Of-vergangener Zeiten präsentiert. Eine ikonische Szene als „Misery“ ist ebenso dabei wie eine leichte Verbeugung vor Lucio Fulcis „Woodoo – die Schreckensinsel der Zombies“. Und bei Kulten in Horrorfilmen kommen De Feo und Strippoli natürlich auch an „Wicker Man“ nicht vorbei. Doch trotz der leicht unterschiedlichen Prämisse bleibt A Classic Horror Story atmosphärisch ein Slasher-Movie. Die haben in diesem Monat bei Netflix auch Hochsaison – mit gleich drei Fear Street-Filmen. Während allerdings die US-Trilogie auch immer wieder auf schwarzen Humor setzt, bleibt die italienische Variante deutlich ernsthafter und dürfte Horrorfans daher auch mehr zusagen. In A Classic Horror Story versteckt sie keine Parodie des Genres. Einen humoristischen Punkt setzen die Macher erst ganz zum Schluss mit einer Art Publikumsbeschimpfung, der vor (Selbst-)Ironie trieft.

Star des Films ist eindeutig Matilda Lutz. Fans des Revenge-Subgenres werden die Schauspielerin bereits aus dem gleichnamigen „Revenge“ kennen, auch hier beweist sie in ihrer Rolle als Elisa echte Nehmerqualitäten und kristallisiert sich bald als Final Girl der Story heraus. Lutz bringt genug Emotionen in den Film, um das Publikum mitzureißen und an ihrer Seite mitzuleiden, wenn sich all die schrecklichen Morde miterleben muss. Sie hält den Film auch jederzeit zusammen und wird schnell zum Kern der Story. 

A classic horror story
Als die Überlebenden ein schwer misshandeltes Mädchen entdecken, bricht Panik aus.

A Classic Horror Story funktioniert bereits in der ersten Stunde gut, dann beginnen De Feo und Strippoli, eine Meta-Ebene einzubauen, die die Story aus einem anderen Licht zeigt. Und auch das verkaufen die beiden so gut, dass man ich als Zuschauer darauf einlassen kann. Ob es das allzu plakative Ende gebraucht hätte, muss jeder selbst entscheiden. Dringend notwendig für die Qualität des Films ist die Kritik am modernen Leben und der damit einhergehenden Gefühlskälte jedenfalls nicht. 

Fazit:

Die Autoren und Regisseure Robert De Feo und Paolo Strippoli liefern mit A Classic Horror Story nur scheinbar einen zum Titel passenden Film ab. Wenn ein Film mit einem großen Twist arbeitet, sollte der sitzen – und das ist hier der Fall. Zudem ist ihr Werk zwar keine permanente Verbeugung vor Genre-Klassikern, aber einzelne Szenen adressieren klar ihre Inspiration. Horror-Neulinge bekommen in jedem Fall einen spannenden, manchmal blutigen Slasher+ zu sehen, wer sich als Kenner im Horrorbereich sieht, erkennt vermutlich schon früher, wie der Hase läuft, sollte aufgrund der soliden Machart, einiger guter Ideen und der gut gemachten Atmosphäre ebenfalls ihren Spaß haben. Diese Classic Horror Story kann man sich gut ansehen!

A Classic Horror Story startet am 14. Juli 2021 bei Netflix.

A classic Horror Story
Bald stellt sich heraus, dass Elisa und die anderen nicht die ersten Opfer sind.