Simpel

Filmkritik: Simpel

Filme über Behinderte laufen stets Gefahr, sich in Kitsch und Rührseligkeiten zu verlieren. Hat der neue deutsche Film „Simpel“ ein ähnliches Problem oder umschifft die Inszenierung von Markus Goller alle Kitschklippen? Und wie schlägt sich David Kross als geistig behinderter Barnabas alias Simpel?

Nicht nur Hollywood stürzt sich auf „Young Adult“-Literatur wie „Die Tribute von Panem“ und „Maze Runner“, auch in Deutschland boomen gerade die Umsetzungen tatsächlicher oder fiktiver Geschichten für jüngere Leser. Auch Simpel basiert auf einem französischen Jugendroman und ähnelt inhaltlich Storys wie „Mein Blind Date mit dem Leben“ oder dem bald folgenden „Dieses bescheuerte Herz“. Denn mit deutschem Budget lassen sich aufwändige Dystopien nun mal nicht stemmen, Geschichten über berührende Schicksale hingegen schon.

Simpel
Seinen völlig verängstigten Bruder allein lassen? Das bringt Ben nicht über Herz – und ein ungewöhnlicher Roadmovie nimmt seinen Lauf.

Simpel: Die Handlung

Ben (Frederick Lau) nimmt eine Menge auf sich für seine Familie, die todkranke Clara (Anneke Kim Sarnau) und seinen geistig behinderten Bruder Barnabas (David Kross), den alle nur Simpel nennen. Als die Mutter stirbt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Statt Simpel in Bens Obhut zu geben, beschießt der in Hamburg lebende Vater (Devid Striesow), ihn in ein Heim zu schicken. Doch Ben erträgt Simpels Verzweiflung nicht, als der von der Polizei abgeholt wird und kapert kurzerhand den Wagen der Cops. Gemeinsam mit Simpel, der das alles für eine „tolle Verreisung“ hält, macht sich Ben auf den Weg in die Großstadt, um den Vater umzustimmen. Dabei begegnet er nicht nur neuen Freunden wie Pfleger Enzo (Aexel Stein) und Ärztin Aria (Emilia Schüle), sondern muss sich auch einem echten Stresstest stellen, ob er Simpel wirklich versorgen kann …

Simpel: Hut ab vor Kross!

Simpel ist ein reinrassiger Schauspielerfilm, mit ihnen steht und fällt die komplette Story. Und da hat Regisseur Goller mit David Kross einen absoluten Glücksgriff getan. Wie 1993 in „Gilbert Grape„, als Leonardo DiCaprio über Nacht als geistig behinderter Arnie so überzeugend war, dass viele ihn tatsächlich für geistig behindert hielten, dürfte es dem Publikum auch in Simpel schwer fallen, Kross als Schauspieler zu sehen, so gut erledigt der 27-jährige seinen Job hier.

Dennoch ist er nicht allein für den wunderbaren Film verantwortlich, denn sein Gegenpart, der ständig besorgte und meist komplett überforderte Ben wird von Frederick Lau genauso intensiv und glaubhaft verkörpert. Erst im Gespann walzt das Duo leicht über das Gefühlschaos angesichts der eigentlich traurigen Geschichte mit vielen witzigen Momenten hinweg. Und packt den Zuschauer mit feinem Zusammenspiel dort, wo ein guter Film zupacken muss. Was bei einem bereits so oft beackterten Thema keine leichte Sache ist.

Simpel
Allein kann Simpel nicht auf sich aufpassen und so gerät er in Hamburg in eine lebensgefährliche Situation.

Simpel: Alle Teile passen

Auch das Drehbuch, das der erfahrene Autor Dirk Ahner verfasste, kann das Niveau seiner Akteure halten. In einem Moment lacht man mit Ben und Simpel, im nächsten Moment fürchtet man um deren Sicherheit oder sogar das Leben. Ahner gelingt es aber, diese Dramatik nie konstruiert oder unglaubwürdig wirken zu lassen. Stattdessen liefert er ein erdiges und gefühlvolles Script ab, das auch die vermeintlich bösen Figuren reale Menschen bleiben lässt.

Und schließlich hält Markus Goller sein Ensemble gut zusammen und kitzelt aus seinen Schauspielern tolle Leistungen heraus. Neben Lau und Kross sind da vor allem Vielfilmerin Emilia Schüle („Jugend ohne Gott„, „High Society“, „Es war einmal Indianderland“) und Axel Stein als schön entwickelte Nebenfiguren zu erwähnen und auch Striesow als überforderter Vater spielt seine unsympathische Rolle so facettenreich, dass seine Verzweiflung und Überforderung nicht nur sicht- sondern auch spürbar wird. Und dann ist da noch Anette Frier („Danni Lowinski“) mit einem grandiosen Kurzauftritt. All diese stimmigen Zutaten ergeben einen Film, der immer Spaß macht und oft berührt. Es ist zu hoffen, dass der Film nicht als Betroffenheitsschinken für Gutmenschen abgestempelt wird und sein Publikum findet. Verdient hat er es.

Fazit:

Alle Achtung, David Kross! Als behinderter Simpel liefert er eine der besten Vorstellungen seiner bisherigen Karriere ab und spielt die schönen und anstregenden Momente im Zusammenleben mit einem geistig Behinderten ergreifend gut. Und auch Frederick Lau als überforderter Bruder Ben lässt die Zuschauer herausragend an seiner schweren Situation teilhaben. Dennoch wird dank des guten Drehbuchs und der sensiblen Regie aus dem eigentlich traurigen Thema nie ein Drama, die Tragikomödie besticht immer wieder auch mit hinreißend witzigen Momenten. Denn wer möchte schließlich nicht wissen, was „Quasilorten“ sind?

Simpel startet am 9. November 2017 in den deutschen Kinos.

Simpel
Während sie sich um Simpel kümmern, lernen auch Enzo und Aria wieder, ein wenig Spaß zu haben.