Daniel Brühl

Filmkritik: Nebenan

Daniel Brühl ist seit seinen schauspielerischen Anfängen Mitte der 90er Jahre weit gekommen. Momentan gibt es wohl keinen deutschen Schauspieler, der so oft in internationalen Produktionen zu sehen ist, wie der 43-jährigen Deutsch-Spanier. Neben Blockbustern wie „Falcon and the Winter Soldier“ spielt er aber auch in kleineren, anspruchsvolleren Filmen mit. Und nun hat er beschlossen, erstmals selbst Regie zu führen – bei der schwarzen Komödie „Nebenan“. Und konnte als Drehbuchautor nach einer eigenen Idee auch noch den großartigen deutschen Schriftsteller Daniel Kehlmann gewinnen. Als Counterpart für seine eigene Hauptrolle holte er sich „Babylon Berlin„-Star Peter Kurth. Da kann ja eigentlich nichts schiefgehen – oder doch ? Das klärt die Kritik.

Nebenan
Was ziehe ich an? Daniel muss zu einem wichtigen Casting nach London.

Die Handlung

Der erfolgreiche deutsch-spanische Schauspieler Daniel (Daniel) Brühl muss zu einem Casting nach London – eine Rolle in einem Big Budget-Superheldenfilm in den USA winkt. Als eine Art Ritual kehrt Daniel vor Abflug noch in seine Stammkneipe ein, um schnell einen Kaffee zu trinken und die Nerven noch ein wenig zu schonen, bevor er sich in den stressigen Tag wirft. Doch an diesem Vormittag ist etwas anders als sonst. Ein Mann sitzt an der Theke und lässt scheinbar wahllos immer wider Kommentare zu Daniels Telefonat fallen, das er gerade führt. Leicht genervt stellt Daniel den Rüpel zur Rede – und erlebt sein blaues Wunder. Denn der scheinbar so harmlose Kneipengast entpuppt sich als jemand völlig Anderes.

Bruno (Peter Kurth) beginnt, Details aus Daniels Leben zu erzählen, die der Schauspieler gern privat gehalten hätte. Offensichtlich beobachtet ihn Bruno schon seit längerer Zeit. Und bald beginnt Daniels joviale und freundliche Fassade zu bröckeln, denn Bruno bedroht ihn versteckt mit Informationen, die Daniels Karriere ernsthaft bedrohen könnten. Schnell gerät das wichtige Casting in den Hintergrund, denn für Daniel stehen noch wichtigere Dinge auf dem Spiel – auch seine Ehe …

Gute Idee, stark umgesetzt

Als Nebenan im Winter als Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale lief, straften ihn internationale Kritiker mit dem letzten Platz ab. Warum? Das lässt sich nur vermuten. Denn Daniel Brühl macht bei seinem Debüt als Regisseur, bei dem er auch die Hauptrolle spielt, ganz viel richtig. Für so ein Kammerspiel, der Film spielt zu 90 Prozent in der Kneipe, braucht man eine passende Location. Und die könnte kaum besser mit der Story harmonieren als diese herzliche, aber manchmal auch schroffe Eck-Kneipe mit typischer Berliner Schnauze. Und um ein Psycho-Duell glaubhaft und spannend zu inszenieren, sind zwei Schauspieler von Format nötig, die sich gegenseitig nichts schenken und sich die Bälle traumhaft sicher zuspielen können. So einen hat Brühl in Peter Kurth gefunden.

Wer die ersten beiden Staffeln von Babylon Berlin gesehen hat, muss eigentlich seitdem ein Fan des 64-jährigen sein, so grandios spielte Kurth die undurchsichtige Rolle des Bruno Wolter, dem erfahrenen Kollegen von Gereon Rath. Ob es ein Zufall ist, dass er auch in Nebenan Bruno heißt? Jedenfalls ist sein Charakter genauso undurchsichtig. Und weil Bruno die Urgewalt ist, die über Daniel hereinbricht, kommt Kurths Spiel eine ganz besonders wichtige Bedeutung zu. Er darf das Publikum weder ganz auf seine Seite ziehen, es aber auch nicht wegstoßen,  indem er zu unsympathisch und fies wirkt. Peter Kurth spielt das allerdings meisterhaft. Immer wieder kochen Aggressionen im Zuschauer hoch, hin und wieder aber kommt man nicht umhin, auch Mitleid für Bruno zu empfinden, dem das Leben übel mitgespielt hat.

Nebenan
In der Stammkneipe noch schnell einen Kaffee – dabei trifft Daniel auf den undurchsichtigen Bruno.

Großes Schauspieler-Kino

Dieser Mann, dem man trotz seiner ruhigen Art die stille Wut auf ein verlorenes Leben jederzeit anmerkt, braucht einen Gegenpart, der seinerseits den Zuschauer auf eine emotionale Achterbahn schickt. Und Daniel Brühl meistert diese Herausforderung ebenfalls bravourös. Denn sein Alter Ego Daniel ist zwar auf den ersten Blick nett und sympathisch. Aber schon früh zeigt Brühl auch Risse in dieser Fassade und lässt den zutiefst unzufriedenen Hedonisten durchscheinen. Im Gegensatz zu Kurth, der die meiste Zeit des Films über seine Beherrschung nicht verliert, darf und muss Brühl den Zuschauer durch emotionale Spitzen hindurchführen – und das macht er tadellos. Nur hin und wieder darf der Zuschauer durchatmen, weil Kehlmanns Drehbuch einen skurrilen Charakter auftauchen lässt.

Ein solches Duell sollte optimalerweise auch glaubwürdig sein. Hier kann die Kritik am ehesten ansetzen, denn Kehlmann und Brühl schießen hier manchmal übers Ziel hinaus. Die Art und Weise, wie Bruno nach eigenen Erklärungen an das brisante Wissen über Daniel gelangte, ist schon mit glücklichen Zufällen gespickt und nicht immer ganz realistisch. Dafür bietet das Script Ebenen an, die sich auf interessante Art interpretieren lassen. So ist Bruno nicht einfach nur von Daniel genervt. Als um seine Chancen betrogener Ossie steht Bruno auch kollektiv für ein Lebensgefühl. Und der Zorn auf den erfolgreichen Wessie, der das tolle Leben in Brunos Augen nicht verdient hat, zeigt viel von den noch immer nicht zugeschütteten Gräben im Land im Mikrokosmos der Kneipe. Das Gute an Nebenan ist aber: Auch ohne diese Interpretation funktioniert Nebenan auf dieser Mikro-Ebene ausgezeichnet.

Nebenan
Bald staunt nicht nur die Wirtin, welche intimen Geheimnisse aus Daniels Leben Bruno kennt.

Man muss den Film nicht als Allegorie auf das deutsche Befinden sehen, um ihn zu genießen. Denn Daniel Kehlmanns Charakterzeichnung ist so gut gelungen, dass Daniel und Bruno bald sehr lebendig vor dem Zuschauer stehen und man beide Seiten verstehen kann. Weil beide Figuren zutiefst menschlich sind. Und es bis zum Ende wirklich schwerfällt, selbst zur moralischen Instanz zu werden. Zurück zu den schlechten Kritiken. War Daniel Brühl zu arrogant, indem er sein eigenes Leben als Vorlage für seine Idee nahm und sich selbst auch noch in der Hauptrolle inszenierte? Vielleicht haben manche so etwas in der Art in Nebenan gesehen. Nachvollziehbar ist es nicht.

Fazit:

Mit Nebenan kommt ein deutscher Film in die Kinos, der auf einer feinen Linie zwischen Psycho-Thriller und schwarzer Komödie balanciert, ohne je ins Straucheln zu kommen. Daniel Brühl inszeniert sich und seinen Kollegen Peter Kurth zurückhaltend und lässt so die beiden Schauspieler ihre maximale Wirkung entfalten. Ein kleiner, aber feiner Film über Lebenslügen, geplatzte Träume, Neid und Rache, ohne moralischen Zeigefinger und mit teils geschliffenen Dialogen. Dass die Ausgangslage und manch ein glücklicher Zufall ein wenig konstruiert wirken, fällt dann auch nicht mehr sonderlich ins Gewicht. Für Fans von Brühl und Kurth ein Muss, aber hier dürfte jeder Spaß haben, der gern guten Schauspielern bei der Arbeit zusieht.

Nebenan startet am 15. Juli 2021 in den deutschen Kinos.

Peter Kurth
Schließlich wird sogar Daniels Ehe zum Thema von Brunos Vorträgen.