Stranger Things 4

Serienkritik: Stranger Things 4

Es ist die bisher mit Abstand längste Staffel der Serie: Stranger Things 4 hat fast 800 Minuten Laufzeit, keine Folge ist kürzer als eine Stunde, die meisten liegen bei rund 75 Minuten. Die Folgen 8 und 9, die am 1. Juli erscheinen, sind mit 90 und 158 Minuten sogar auf Spielfilm-Niveau. Übertreiben es die Duffer-Brüder jetzt mir der Komplexität der Serie? Oder hat diese extreme Lauflänge andere Gründe? Sind alle Helden der ersten Staffeln wieder dabei? Und bestätigt sich der Trend der Serie, dass jede Staffel düsterer und blutiger ist als die vorherige? Diese und weitere Fragen klärt die Kritik.

Die Kritik zu Staffel 3.

Die Kritik zu Staffel 2.

Sadie Sink
Max gerät durch die neue Bedrohung von der anderen Seite in akute Lebensgefahr.

Die Handlung

Wir schreiben das Jahr 1986. Familie Byers lebt seit einigen Monaten in Kalifornien, wo Elle (Millie Bobby Brown) aber gar nicht zurecht kommt und noch immer weder Freunde noch ihre Kräfte besitzt. Joyce (Winona Ryder) arbeitet als Telefonistin und ist noch nicht über den Tod von Hopper (David Harbour) hinweg. Und in der Fernbeziehung von Jonathan (Charlie Heaton) und Nancy (Natalia Dyer) kriselt es. Wie auch bei Elle und Mike (Finn Wolfhard): Die räumliche Trennung macht beiden zu schaffen, aber Mike weiß gar nicht, wie er damit umgehen soll. Und Lucas (Caleb McLaughlin) ist inzwischen lieber Teil des Basketball-Teams, als mit seinen alten Freunden „Dungeons & Dragons“ zu spielen. Die Kinder sind zu Teenagern  geworden und haben Probleme damit.

Als in Hawkins ein brutaler Mord geschieht, ist das aber bald vergessen. Dustin (Gaten Matarazzo), Max (Sadie Sink) Steve (Joe Keery) und Robin (Maya Hawke) machen sich deshalb auf die Suche nach Eddie (Joseph Quinn), dem D&D-Spielleiter und Metal-Fan, in dessen Wohnwagen die Leiche gefunden wurde. Joyce erhält derweil ein Paket aus der Sowjetunion, dessen Inhalt darauf schließen lässt, dass Hopper noch lebt. Und Elle leidet schwer darunter, dass ihre Kräfte sie verlassen haben und greift zu rabiaten Mitteln, um sich gegen die Schikanen einer Mitschülerin zu wehren – mit erschreckenden Folgen. Gibt es in Hawkins eine neue Bedrohung von der „anderen Seite“? Und wenn ja, können die jungen Helden ohne Elle dagegen bestehen?

So lang wie nie, so gruselig wie nie

Eine Sorge kann den Fans gleich genommen werden. Stranger Things 4 ist nicht so lang, weil die Handlung so komplex wird. Sondern sie braucht die Zeit, weil sie so viele verschiedene Handlungsstränge entwickelt. Streckenweise teilt sich die Story auf sechs verschiedene Gruppen und Orte der Handlung auf und selbst, wenn jede davon nur zehn Minuten pro Folge bekäme, wäre schon eine Stunde voll. Tatsächlich sind einzelne Teile der Story in den Episoden aber deutlich länger zu sehen. So erklärt sich die lange Laufzeit im Vergleich zu den früheren Staffeln. Die sind aber kein Problem, ganz im Gegenteil. Dann alle Storys sind für sich genommen absolut sehenswert und spannend. Allerdings ist Stranger Things 4 tatsächlich gruseliger und blutiger als seine Vorgänger.

Und das liegt an Versatzstücken, die sich die Duffer-Brüder diesmal von großen Ikonen des Horrors entliehen haben. So spielt diesmal nicht nur Legende Robert Englund eine kleine, aber wichtige Rolle. Auch der Grund, warum er eine solche Legende ist, findet sich in der Serie wieder. Denn der Bösewicht der vierten Staffel erinnert schon mehr als nur ein wenig an den Traumkiller Freddy Krueger. Damit sind die Parallelen aber noch nicht beendet. So hat Stranger Things 4 in der Haupthandlung in Hawkins deutliche Überschneidungen zu vielen Werken von Stephen King. Elle ist ohnehin schon immer eine Variation von „Carrie“ gewesen, diesmal hat die Staffel aber vor allem starke Ähnlichkeiten zu Kings Meisterwerk „ES“. Denn der Kampf einer zusammengewürfelten Gruppe vermeintlicher Looser gegen einen scheinbar übermächtigen und intelligenten Gegner dürfte vielen Horrorfans bekannt vorkommen.

Stranger Things 4
Joyce und Murray versuchen alles, um Hopper aus russischer Gefangenschaft zu befreien.

Überlebenskampf zwischen Akne und erster Liebe

Dennoch ist Stranger Things 4 weit davon entfernt, ein plattes Plagiat der großen Vorbilder zu sein. Denn den Duffer-Brüdern fallen genug frische und eigene Ideen ein, um aus der vierten und damit vorletzten Staffel der Serie erneut einen gelungenen Mix aus Coming of Age-Themen, feinem Humor und spannender bis unheimlicher Horrorstory zu machen. Zwar zeigen sich bei der einen oder anderen Figur erste Ermüdungserscheinungen, so verliert Elle doch langsam an Faszination. Aber mit anderen Handlungssträngen machen die Autoren das mehr als wett. So ist die skurrile Rettungsaktion für Hopper, dessen Überleben bereits seit mehr als einem Jahr angeteasert wurde, auch ein komödiantisches Highlight der vierten Staffel, obwohl es hier durchaus hart zur Sache geht.

Das gilt auch für Maya Hawke, deren Charakter Robin wohl die meisten Lacher in den ersten sieben Folgen für sich verbuchen kann. Heimlicher Star der Serie wird aber immer mehr Joe Keery als Steve, der nicht nur für lustige, sondern auch für einige sehr unheimliche und heroische Momente zuständig ist. Und wie bei Stranger Things üblich, baut auch die neue Staffel nach gefälligem, aber nicht übermäßig packenden Start schnell einen Sog aufbaut, dem man sich beim Zusehen kaum zu entziehen vermag. Glaubhaft und geschickt bringen die Duffers beispielsweise liebgewonnene Hauptfiguren der Serie in Lebensgefahr, ohne dass gleich in der nächsten Folge wieder in Wohlgefallen aufzulösen. Und die Cliffhanger zum Ende der meisten Episoden sind ebenfalls nicht von schlechten Eltern.

Robert Englund
Was weiß der angebliche Serienkiller Victor über die neue Gefahr?

Eine Frage wird gelöst

Zwar haben die Duffers – oder Netflix – insofern Mitleid mit den Zuschauern, dass sie eine der großen Fragen der Staffel am Ende der siebten und vorerst letzten Episode auflösen, die Spannung ist damit aber noch lange nicht raus – ganz im Gegenteil. Wieder wird Stranger Things zum echten Nägelkauer und die Staffel ist derart düster, dass man den Machern durchaus den Tod einer Hauptfigur zutraut. Gerade weil die klugen Anleihen bei „Nightmare on Elm Street“ andeuten, dass die Teenager sich in ihrem Gefühls-Chaos manchmal selbst ihr größter Feind sind. Und inszenatorisch sind vor allem die wundervollen Überblendungen von Szene zu Szene ein absoluter Genuss. Ob Stranger Things 4 nun die beste oder schwächste Staffel bisher ist, dürfte vor allem Geschmackssache sein. Es ist in jedem Fall die mit den meisten Horrorelementen bisher. Die Wartezeit bis zum 1. Juli und den Folgen 8 und 9 wird jedenfalls sehr hart.

Fazit:

Anleihen bei Nightmare on Elm Street, etwas Body-Horror und viel Coming of Age und Teenage Angst wie die besten Romane von Stephen King, so präsentiert sich Stranger Things 4. In ausladender Laufzeit von fast 800 Minuten bauen die Duffer-Brüder in der vorletzten Staffel der Hit-Serie schnell eine unheimliche und bedrohliche Atmosphäre auf, die sie dann und wann gekonnt mit feinem Humor brechen. Nur um im nächsten Moment die Schrauben wieder fest anzuziehen. Viele abwechslungsreiche Handlungsstränge und eine intelligente Story, die sich gut ins Gesamtbild der Serie einführt und sie glaubhaft weitererzählt, runden den starken Eindruck ab. Stranger Things bleibt zurecht eines der absoluten Zugpferde für Netflix, die dafür angeblich 30 Millionen Dollar pro Folge lockermachten. Eine gute Investition!

Stranger Things 4 startet am 26. Mai 2022 bei Netflix, die beiden abschließenden Folgen sind ab dem 1. Juli zu sehen.

Stranger Things 4
Mike, Elle und Will sind tausende Kilometer von Hawkins entfernt – und werden doch ins Geschehen dort gezogen.