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Darum sind klassische US-Serien am Ende

Eigentlich kennen wir es kaum anders: Aus den USA kommen seit Jahrzehnten pünktlich im Spätsommer oder frühen Herbst neue Folgen unserer Lieblings-US-Serien oder neue Shows, die unser Herz erobern. Diese Zeiten werden aber bald vorbei sein.

Es ist ein schleichender Prozess: Jedes Jahr verschwindet die eine oder andere lang laufende Serie der großen US-Networks. Dazu werden plötzlich Serien verlängert, die noch vor fünf Jahren aufgrund ihrer Quoten eingestellt worden wären. So hätten „Elementary“ oder „Agents of SHIELD“ mit den Zuschauerzahlen vor ein paar Jahren kaum eine weitere Staffel-Bestellung erhalten. Auch „Sleepy Hollow“ wäre früher nach zwei Staffeln beendet worden statt nach vier. Stattdessen wären neue Ideen ausprobiert worden. Doch inzwischen müssen die Networks kleinere Brötchen backen, da die Kabelsender und Pay-TV-Angebote sich jedes Jahr ein größeres Stück vom Kuchen abschneiden. Und an dieser Entwicklung wird sich auch nichts mehr ändern.

US-Serien: Sind die Kabelshows denn besser?

Ja, sind sie. Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen, die großen Networks schaffen es immer noch, US-Hits wie „This Is Us“ zu kreieren. Aber die Zahl nimmt ab. Denn die Beschneidungen und Regularien für Sender wie ABC oder CBS sind hoch. So muss eine Serie dramaturgisch Platz für Werbeblöcke bieten, möglichst, ohne den Zuschauer zu verärgern. Eine hohe Kunst der Autoren, die aber bei Sendern wie HBO oder STARZ weitgehend unbekannt, weil unnötig ist.

Dazu kommt die Schere im Kopf. Nacktheit im öffentlichen TV ist seit „Nipplegate“ wieder ein absolutes Tabu – und sehr freizügig waren die Network-Serien auch vorher nicht. Dagegen feuern die meisten Pay-TV-Angebote Brüste und Hintern aus allen Rohren: Serien wie „Spartacus“ oder „Californication“ lassen kaum noch Spielraum für Phantasie, sind mitunter kurz vor pornograpischem Inhalt. Aber eben auch realistisch. Das kommt bei vielen erwachsenen Zuschauern besser an als die klassische Sexszene in Unterwäsche, die auf Networks das höchste der Gefühle ist.

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Reichlich Blut und explizite Sexszenen wie in HBOs „Westworld“ sind für US-Networks tabu. Das geht oft zu Lasten der Qualität.

Wichtigstes Kriterium ist aber: kreative Freiheit. Bei Sendern wie HBO oder den Streaming-Anbietern wie Netflix und Amazon gibt es diesbezüglich kaum Regeln. Ist eine Staffel mit neun Folgen auserzählt, dann ist das kein Problem. Braucht sie elf, kriegt sie elf. Muss eine Folge zehn Minuten länger sein, um einen wichtigen Erzählstrang sauber zu Ende zu bringen, kann der Autor das ebenfalls so schreiben.

Dagegen haben die Networks mit ihren starren Sendeplänen, den Werbeblöcken und den Folgenlängen von 18-20 oder 41-43 Minuten keine Chance. Qualität muss hier fast zwangsläufig gegen andere Interessen hinten anstehen. So gibt es beispielsweise in einer der wenigen noch immer sehr gut laufenden Network-Serie „The Big Bang Theory“ in Staffel eins gerade einmal eine Folge, die kürzer ist als 20 Minuten, in Staffel neun ist es bereits jede zweite. Mehr Zeit für Werbung, aber nicht unbedingt gut für die Qualität der Show.

US-Serien: Die Stars wählen Freiheit (und Geld)

Das hat zur Folge, dass viele erfahrene TV- und Kino-Macher sich gern zu HBO oder Netflix locken lassen, diese Lücken können die Network-Sender nicht immer adäquat füllen. So arbeiten TV-Legenden wie David E. Kelley („Ally McBeal“ inzwischen für HBO („Big Little Lies“), Regiestars wie Steven Soderbergh („Ocean’s Eleven“) entwickeln für Cinemax (HBO-Tochter) Serien wie „The Knick“. David Fincher („Sieben“) bringt im Herbst bei Netflix die Serie „Mindhunter“ heraus. Und auch Hollywood-Stars wie Brad Pitt oder Kevin Spacey werden von hohen Gagen und kreativen Möglichkeiten zu Netflix gelockt statt zu NBC.

Erste Tendenzen zur Veränderung gibt es inzwischen auch bei den Networks, so kommen die so genannten Sommerserien häufig schon mit kürzeren Staffeln, hier sind 13 Episoden keine Seltenheit. Auf lange Sicht bleibt den Sendern aber kaum eine andere Möglichkeit, als eigene Bezahlportale einzurichten, wie CBS das mit ihrem „All Access“ getan hat. Dort soll ab Herbst unter anderem die neue Star Trek-Serie „Star Trek: Discovery“ laufen. Gegen die Platzhirschen haben sie hier aber durch den späten Start einen klaren Wettbewerbsnachteil.

Ende der Serien in Sicht

Bereits jetzt fällt es den großen Network-Sendern immer schwerer, noch neue Shows zu entwickeln, die ihr Publikum finden. So wurden bis Mai 2017 insgesamt 38 Serien bei ABC, NBC, CBS, Fox und CW eingestellt, viele davon waren erst im Herbst 2016 gestartet. Und nur wenige endeten aus kreativen Gründen. Oftmals ist es billiger, eine mäßig laufende Serie mit bekannten Kosten zu verlängern, als das Risiko einer neuen Serie einzugehen. Und die Megahits wie „The Big Bang Theory“, „Grey’s Anatomy“ oder „Navy CIS“ lassen sich inzwischen fast an einer Hand abzählen.

Kein Wunder also, dass die Sender um diese US-Serien kämpfen wie die Löwen. Für die Schauspieler bedeutet das Spitzengagen, die Kosten werden aber durch mehr Werbung und kürzere Folgen wieder hereingeholt. Dazu kommt, dass in der Winterpause, die manchmal von November bis März dauert, nur Wiederholungen laufen und viele Zuschauer nach drei Monaten schlicht das Interesse an einer Story verlieren. Das wirkt gegen das Angebot von Netflix, alle Folgen auf einmal zu bekommen, auch geradezu steinzeitlich.

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Top-Angebot: Alle Folgen sehen, wann man will – wie hier bei der Netflix-Serie „Iron Fist“ – kostet klassische Sender immer mehr Zuschauer. Das gilt längst auch für den deutschen Markt.

Da die Networks bedingt durch viele Faktoren wie Urlaubszeit, Feiertage und jahreszeitlich bedingtes Werbeaufkommen nicht aus ihrem klassischen Sendeschema September bis Mai ausbrechen können, müssen die Serien auch entsprechend viele Folgen liefern – und nicht immer ist das dramaturgisch sinnvoll. Wohl jeder wird sich an Episoden erinnern, die wenig bis keinen Inhalt boten. Besonders schwierig wird das bei Serien, die eine lange, zusammenhängende Geschichte erzählen, hier sind Füllfolgen leider häufig. Und im Vergleich zu knackigen Kurzserien wie der achtteiligen „Stranger Things“ wirken solche Staffeln dann behäbig und wenig spannend. Kein Wunder, dass die paar Network-Hits fast alle „procedurals“ sind, also Serien, die entweder keine große Story erzählen oder zumindest nicht ausschließlich.

Kaum Möglichkeiten zur Änderung

Experimente gibt es zwar – so bringt ABC im Herbst die achtteilige Serie „Inhumans“ heraus, auf deren Sendeplatz dann „Agents of SHIELD“ folgt – aber flächendeckend hat sich dieser Trend bei den Networks noch nicht durchgesetzt. Und wird das angesichts der Entwicklungskosten für jede neue Serie wohl auch nicht. Denn drei Achtteiler kosten eben nicht das gleiche wie eine Serie mit 23 Folgen – sondern viel mehr.

Der Siegeszug der Streamingportale und Kabelsender hingegen geht unbeirrt weiter. Netflix und Amazon sowie HBO und AMC produzieren einige oder viele Hitserien und müssen sich häufig um die Kosten nur wenig Sorgen machen. Zudem scheren sie sich nicht um Jahreszeiten, so stellt Netflix seine Marvelserie „The Defenders“ Mitte August online. Und wer es erst im Oktober sehen will, der sieht es eben im Oktober. Freiheiten bei Episodenanzahl und Länge der Episoden kommen hinzu. Diese ganzen Vorteile bei guter Kostenkontrolle wird den Network-US-Serien auf lange Sicht den Garaus machen. In zehn Jahren sind Erfolgsserien bei CBS, NBC und Co. sicherlich Mangelware. Netflix, Amazon und die Pay-TV-Sender werden den Markt dann endgültig beherrschen.  

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CW produziert günstig, braucht deshalb keine Top-Quoten, und verlängert jedes Jahr die meisten Serien von allen Networks.