Der Schacht

Filmkritik: Der Schacht

Filme dürfen und sollen unterhalten, aber ist das ihre einzige Aufgabe? Diese Diskussion dürfte so alt sein wie das Medium selbst. Mit dem spanischen Filme „Der Schacht“ nimmt Netflix nun eine Produktion ins Programm, die mit Sicherheit für Gesprächsstoff sorgen wird – wenn es denn jemand ansieht. Der fiese und blutige Film über einen Knast der Zukunft stellt seine Fragen nach dem politischen System und seinen Nachteilen alles andere als subtil. Wie gut ist die Allegorie auf die heutige Gesellschaft ausgefallen?

Da hat sich Regisseur Galder Gazteru-Urrutia für sein Langfilm-Debüt ja einen schweren Stoff gesucht. Was gleich zu Beginn auffällt, wenn Netflix den Sicherheitscode für Erwachsene abfragt, Der Schacht hat eine Freigabe ab 18 Jahren erhalten. Und das ist heutzutage durchaus eine Seltenheit und wird meist nur dann vergeben, wenn Menschen auf blutigste Art und Weise zu Tode kommen. Zuschauer seien also gewarnt: Auch wenn dieser Film kein Splatter-Horror ist, so bietet er genug Szenen, die empfindlichen Zuschauern auf den Magen schlagen könnten.

Der Schacht
Jeder Insassse darf einen Gegenstand mitbringen. Goreng entscheid sich für ein Buch. Trimagasi für ein Messer.

Der Schacht: Die Handlung

Weil er in der Gesellschaft nach oben kommen und seinen Studiumsabschluss erringen möchte, willigt Goreng (Ivan Massague) ein, für sechs Monate in den Schacht zu gehen. Hier seitzen Freiwillige mit Verbrechern zusammen, immer zwei Gefangene auf einer Ebene. In der Mitte verläuft ein Schacht, in dem jeden Tag eine Plattform mit Essen anhält – für wenige Sekunden. Wer weit oben ist, kann sich satt essen, wer weiter unten eingekerkert ist, bekommt so gut wie nichts mehr. Jeden Monat werden die Ebenen gewechselt, so dass jeder mal oben, mal unten ist.

Goreng wacht mit Trimagasi (Zorion Eguileor) auf, einem Zyniker, der bereits seit einigen Monaten im Schacht sitzt und beide Extreme schon erlebt hat. Er warnt Goreng davor, hier drin seinen Anstand und seine Menschlichkeit bewahren zu wollen und sich stattdessen zu nehmen, was er kriegen kann. Doch der intellektuelle Goreng will davon zuerst nichts wissen. Bis ihn nach einigen Tagen der Hunger plagt. Bald isst er Dinge, die er früher nicht einmal angefasst hätte. Und im nächsten Monat wacht er mit Trimagasi weit unten im Schacht wieder auf …

Der Schacht: Unappetitliche Bilder

Subtil sieht anders aus! Das Drehbuch-Autorenduo Pedro Rivero und David Desola legt seine Sicht über die heutige Gesellschaft, in der wenige im Überfluss leben und viele andere dafür hungern müssen, in drastischen Szenen dar. Und Gazteru-Urrutia wählt ebenso drastische Bilder davon, wie das im Einzelfall aussieht. Wenn Trimagasi wie ein Tier in den Essensresten herumwühlt, um noch Nahrung zu finden, ist das ein Anblick, den sicher nicht jeder appetitlich findet. Und das ist erst der Anfang dessen, was der Film seinem Publikum zumutet.

Denn das Prinzip des „Die da oben, wir hier unten“ denkt der Film konsequent zu Ende. Wenn man nichts zu Essen hat außer seinem Zellengenossen, dann wird aus dem eigentlichen Kumpel schnell nur noch die einzige Möglichkeit zu überleben. Diese Momente, auch wenn sie lange nicht so reißerisch gezeigt werden wie in einem Kannibalen-Horrorfilm, dürften der Grund sein, warum Der Schacht eine Freigabe ab 18 erhalten hat. Die Botschaft, die darin steckt, ist jedenfalls kaum misszuverstehen.

Der Schacht
Essen ist da! Allerdings hält die Plattform auf jeder Ebene nur wenige Sekunden und Nahrung bunkern ist verboten.

Der Schacht: Politik-Lehrstunde

Doch damit sind Rivero und Desola noch nicht am Ende. Denn der Schuldige ist – natürlich – eine nicht greifbare Macht namens Verwaltung, die unmenschlich die Regeln durchzieht und dafür sorgt, dass der Status Quo aufrecht erhalten wird. Doch als ein höchst menschliches Mitgleid dieser Veraltung zu Goreng kommt, sieht die Sache bald anders aus. Denn auch dieses kleine Rädchen kann dem zunehmend zornigen Goreng nur sagen, dass es nie wusste, was es da eigentlich tat.

Hier wird mehr als deutlich, dass sich da mit dem Raubtier-Kapitalismus ein System etabliert hat, dass offenbar niemand mehr kontrolliert. Und es zeigt sich, wie viel Goreng in seiner Zeit im Schacht bereits gelernt hat. Denn während Verwaltungsfrau Imoguiri (Antonia San Juan) an die Mitmenschlichkeit und den Anstand der anderen Gefangenen appelliert, um jeden im Schacht die Chance zum Überleben zu bieten, weiß Goreng schon besser, welche Mittel die Menschen dazu bringen, das zu tun, was von ihnen verlangt wird.

Neben der politischen Dimension kann der Film aber auch durch seinen Handlung fesseln. Denn Fragen nach der Tiefe des Schachtes und seiner Beschaffenheit sind bald genauso spannend für den Zuschauer wie für Goreng. Gibt es tatsächlich eine Möglichkeit, etwas zu verändern? Oder ist jeder Versuch nur eine Illusion in einem System, das längst von niemandem mehr kontrolliert zu werden scheint? Rivero und Desola finden hier eine klare Antwort, die Gazteru-Urrutia in passende Bilder kleidet. Ein derbes Stück Film mit klarer Botschaft!

Fazit:

Dem Film Der Schacht gelingt das Kunststück, seine feinsinnigen und durchaus anspruchsvollen Aussagen mit derben Bildern sehr klar zu machen. Ausgezeichnet gespielt und gut synchronisiert, stellt der Film unangenehme Fragen nach dem Sinn einer Gesellschaft, in der die Unterschicht nur von Resten lebt. Neu ist das sicher nicht, schon 1927 hat Fritz Lang mit „Metropolis“ ein ähnliches Szenario entworfen. Aber die bitterböse Sci-Fi-Satire ist in seiner Umsetzung so konsequent wie zuletzt „Brazil“. Und das ist schon eine Seltenheit.

Der Schacht startet am 20. März 2020 bei Netflix.

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Der Schacht
Manchmal transportiert die Plattform auch etwas anderes als nur Essen.