Carnival Row

Serienkritik: Carnival Row

Auch in der modernen Fantasy gilt: Gut gegen Böse war gestern. Seit Tolkien seine Saga um den Herrn der Ringe schrieb und damit endgültig ein neues Literatur-Genre etablierte, hat sich viel getan. Momentan im Trend: die Mischung aus verschiedenen Elementen. Ob das in der Sonne glänzende Vampire in unserer Welt sind oder Fantasy-Wesen wie Elfen und Orks in Science-Fiction-Welten – heute geht alles. Mit „Carnival Row“ tritt eine neue Amazon-Serie dafür den Beweis an und bringt Feen, Faune und andere Wesen in eine viktorianische Großstadt nach dem Vorbild von London. Ist das sehenswert?

Schnell aufzugeben, das kann man Autor Travis Beacham nicht vorwerfen, denn schon 2005 arbeitete er an einem Drehbuch mit dem Titel „A Killing at Carnival Row“, das damals ein Film werden sollte. Mehr als zehn Jahre später brachte er seine Idee bei Amazon als Serie unter, aber es sollte noch einmal drei Jahre dauern, bis das fertige Werk endlich zu sehen ist. Dafür scheint Amazon an die Serie zu glauben, denn schon einen Monat vor Start bestellte das Streamingportal eine zweite Staffel. Wem könnte die Serie gefallen?

Carnival Row
Einst war Philo Soldat und verriet im Krieg seine große Liebe. Nun arbeitet er als Cop in Burgues Flüchtlingsviertel Carnival Row.

Carnival Row: Die Handlung

Nach einem blutigen Krieg, den eines der Menschenreiche gegen die Länder der Fabelwesen führte, ist die freie und mächtige Stadt Burgue von Flüchtlingen überschwemmt. Während die Faune, meist abfällig Pucks genannt, als Hausdiener und Arbeiter schuften, sind die weiblichen Feen begehrte Huren auf der Carnival Row. Hier arbeitet Polizei-Inspektor Rycroft Philostrate (Orlando Bloom), seit er das Soldatenleben aufgegeben hat. Er ist auf der Jagd nach einem Schläger, der Flüchtlinge anderer Völker brutal verprügelt.

Als die Fee Vignette Stonemoss (Cara Delevigne) in die Stadt kommt, ahnt sie nichts davon, dass „Philo“ überhaupt noch lebt. Denn ihr ehemaliger Liebhaber hatte seinen Tod vorgetäuscht und war zurück in seine Heimat gereist. Als Vignette die Wahrheit erfährt, schmiedet sie sofort Rachepläne. Doch Philo hat andere Sorgen, als die zutiefst verletzte Frau, denn eine brutale Mordserie erschüttert die Stadt. Scheinbar wahllos tötet der Mörder auf bestialische Weise. Die Jagd nach dem Killer wird für Philo allerdings persönlicher, als er dachte …

Carnival Row: Viel Stoff für acht Folgen

Eine Stadt, die sich im politischen Wandel befindet. Eine Gesellschaft, die ihre althergebrachten Werte und Normen schwinden sieht. Eine furchtbare Mordserie. Die Liebe zwischen Vignette und Philo. Ein Kult der Faune, der Böses im Schilde führt. An Erzählsträngen und Themen herrscht in Carnival Row wahrlich kein Mangel. Deutlich sichtbar eine Schwäche der Serie, denn die einzelnen Folgen ächzen förmlich unter der Menge an Handlung, die von den Autoren untergebracht werden muss. Und hetzen daher durch manchen Plot wie ein Sprinter.

Und trotzdem bleibt für die eine oder andere Geschichte innerhalb der Serie zu wenig Platz. So ist die eigentliche Hauptstory um die Mordserie aufgrund sehr weniger Verdächtiger nicht sonderlich fesselnd. Spannender geriet da schon die komplizierte Beziehung zwischen Vignette und Philo, die sogar eine ganze Folge (Episode 3) Rückblick bekommt, um sie nachvollziehbarer zu machen. Dazu ist die Folge eine der wenigen, in der die ganze Mythologie der Serie ein wenig transparenter wird – für eine Fantasyserie dringend notwendig.

Carnival Row
Als Vignette ebenfalls in Burgue eintrifft, dauert es nicht lange, bis sie Philos Betrug bemerkt – und ihn töten will.

Carnival Row: Fehlender Hintergrund

Den Showrunnern gelingt es zwar, eine glaubwürdige Welt zu erschaffen, in dem sie den Drehort Prag mit Effekten und Farbfiltern beeindruckend in eine Art Steampunk-Metropole verwandelten. Aber es fehlen immer wieder die Zusammenhänge, um das Carnival Row-Universum wirklich zum Leben zu erwecken. Burgue funktioniert sehr gut, die Welt um die Stadt herum bleibt aber zu sehr im Dunkeln, um als Zuschauer Zusammenhänge zu verstehen. Hier muss die zweite Staffel dringend nachbessern.

Besser schneidet Carnival Row bei der Atmosphäre ab. Nicht nur, dass Teile der Story ein wenig an „The Alienist“ erinnern, auch die Stimmung der Serien ist ähnlich. Die Bordelle, die dunklen Ecken am Rande der Stadt, die misstrauischen Blicke der Einwohner – hier haben die Macher beeindruckende Bilder geschaffen, die hängen bleiben. Zudem ist Orlando Bloom sehr sehenswert, der hier erneut erfolgreich gegen sein „Legolas“-Image anspielt und einen seelisch vernarbten Charakter so glaubhaft darstellt, dass man bei seinen Ermittlungen mit ihm mitfiebert.

Cara Delevigne hingegen passt zwar mit ihrem kühlen Look gut in die Rolle, mit ihrer Figur wird der Zuschauer daher aber auch nur selten warm. Und so ist Carnival Row eine gute, aber noch keine sehr gute Serie, die allerdings in ihrer Konstellation enormes Potenzial birgt und die momentane Situation der realen Welt mit ihren Flüchtlingsströmen leider nur zu genau abbildet. Wenn sich die Macher trauen, ihrer Welt ein wenig mehr Fleisch auf die Knochen zu schreiben, könnte Carnival Row ein Klassiker der modernen Fantasy werden.

Fazit:

Carnival Row macht in der ersten Staffel schon vieles richtig, leidet aber unter den vielen Storylines und fehlendem Hintergrund. Manches kann sich der Zuschauer erschließen, vieles bleibt aber auch im Dunkeln – und packt daher selten. Durch die Kürze von acht Episoden bleibt die Spannung aber zumindest hoch und in den Momenten, in denen die Welt um die Serie herum wächst, blitzt ihr großes Potenzial durch. Für Fantasy-Fans mit Appetit auf düstere Storys ohne allzu viele Klischees ist aber schon die erste Staffel ein echter Hingucker.

Carnival Row startet am 30. August 2019 auf Amazon (in Englisch, die deutsche Version kommt Ende November)

Gesehen: Acht von acht Folgen

Carnival Row
Philo sucht in Burgues Kanalisation nach dem Wesen, das seine Opfer förmlich zerreißt. Und gerät dabei in Lebensgefahr …