Jessie Buckley pflückt einen Apfel

Filmkritik: Men

Alex Garland ist sicher einer der spannendsten britischen Multitalente des neuen Jahrtausends. Der Buchautor, Drehbuchschreiber, Regisseur und Produzent fiel erstmals durch seinen Roman „The Beach“ auf, der dann mit Leonardo DiCaprio verfilmt wurde. Mit dem Script zu „28 Days Later“ verbeugte er sich vor Romeros Zombiefilmen und verpasste ihnen einen zeitgemäßen Anstrich. Und sein Regiedebüt „Ex Machina“ machte nicht nur Alicia Vikander zum internationalen Star, sondern räumte auch zahlreiche Preise ab. Nach dem dem enigmatischen Sci-Fi-Thriller „Auslöschung“ für Netflix, drehte er nun mit „Men“ (dt. Zusatz: Was dich sucht, wird dich finden“) einen Arthaus-Horror der ganz besonderen Art. Für wen dieser Film eventuell geeignet ist – und für wen nicht, das klärt die Kritik.

Men
Harpers Ehe ist am Ende, doch ihr Mann will das nicht wahrhaben – und springt in den Tod.

Die Handlung

Nach einem furchtbaren Streit muss Harper (Jessie Buckley) miterleben, wie sich ihr Gatte (Paapa Essiedu) zu Tode stürzt. Um mit ihren Gefühlen fertig zu werden und ein wenig zur Ruhe zu kommen, mietet sich die junge Frau ein altes Landhaus irgendwo im ländlichen England. Der etwas kauzige Vermieter (Rory Kinnear) erwartet sie bereits mit dem Schlüssel und vielen Fragen zu ihrem Aufenthaltsgrund und ihren Plänen. Das tut Harper noch als lokalen Brauch ab. Als ihr beim Spaziergang in einem Tunnel allerdings ein Unbekannter begegnet, den sie als bedrohlich empfindet, macht sie sich zügig auf den Heimweg.

Später am Abend taucht dann eine männliche, nackte Gestalt (Rory Kinnear) an ihrem Fenster auf und erschreckt sie fast zu Tode. Zwar nehmen die herbeigerufenen Polizisten den Mann in Gewahrsam, doch Harpers Unruhe ist geweckt und sie fühlt sich in der scheinbaren Idylle zunehmend unwohl. Auch der Priester des Dorfes (Rory Kinnear) und ein sehr ungezogener Junge (Rory Kinnear) machen die Situation nicht besser. Welche unheimliche Macht versucht, die junge Frau zu schockieren und mit Anschuldigungen und Angriffen in den Wahnsinn zu treiben?

Schrecklich-schöne Bilder

Um sich Men in der richtigen Art zu nähern, sollte man wissen, was eine Allegorie ist. Das bezeichnet eine bildliche Darstellung eines abstrakten Begriffes. Alex Garland trifft in seinem Film Aussagen über das titelgebende Geschlecht und befasst sich mit traditioneller oder auch toxischer Männlichkeit. Die Story nutzt der Regisseur und Autor dabei lediglich als Transportmittel für seine zum Teil verstörenden und Angst machenden Bilder, drehte im engeren Sinn aber keinen Horrorfilm. Denn die Aussage ist Garland hier deutlich sichtbar wichtiger als der Schrecken. Für den 52-jährigen steht Men damit am momentanen Ende einer Entwicklung vom Geschichtenerzähler hin zum Künstler, der über Bilder und Emotionen seine Gedanken vermittelt – und das mitunter ganz schön sperrig.

Und diese Bilder sind zum Teil wunderschön, wie die idyllische Waldlandschaft um das Haus herum, die aber in Sekundenschnelle durch diffuse Veränderungen in Licht oder Blickwinkel plötzlich bedrohlich werden können. Garlands Stamm-Kameramann Rob Hardy leistet hier ganze Arbeit und irritiert das typische Sehverhalten des Publikums mit Fremdkörpern, die in normale Bilder eindringen und sie so unheimlich machen – wie den nackten Mann mitten im Wald. Aber wie es sich für eine Allegorie gehört, verbergen sich hinter diesen Bildern oft ganz andere Themen. Wenn Harper bei ihrer Ankunft einen Apfel vom Baum im Hof pflückt und sich dafür einen Kommentar des Vermieters einfängt, ist damit natürlich der christliche Sündenfall im Paradies gemeint.

Jessie Buckley
Ein Tunnel wird in Harpers Urlaub auf dem Land zum ersten Stresstest.

Subtil ist anders

Und das ist so unsubtil wie es klingt. Garland hat offenbar keinerlei Interesse daran, in seinen Aussagen missverstanden zu werden und liefert entsprechend deutliche Bilder zur Thematik toxische Männlichkeit. Ob das der Apfel ist oder die Tatsache, dass alle männlichen Wesen im Film vom gleichen Schauspieler verkörpert werden, um zu zeigen, wie allumfassend das Problem ist, Garland legt keinen Wert auf zu viel Interpretationsspielraum. Was nicht heißt, dass der Zuschauer zum einen oder anderen Punkt von Garlands Erzählung nicht eine andere Meinung haben könnte. Was Garland dazu denkt, macht er aber mehr als deutlich.

Das gipfelt dann in einem derben Body-Horror-Finale, über das hier aus Spoilergründen keine genaueren Angaben gemacht wird, aber Fans von blutigeren Momenten durchaus entgegenkommen dürfte. Wer sich Men also eher als Arthaus-Film ansehen möchte, muss sich auf ein paar verstörende Momente einstellen. Bei Arthaus-Horror werden manchem sofort die Namen Ari Aster und Robert Eggers einfallen, zumal auch Men in den USA von A24 verliehen wird, der die Filme dieser beiden Regisseure ermöglicht hat. Doch der Vergleich hinkt. Denn Aster und Eggers lassen viele Aspekte ihrer Geschichten gezielt im Dunkeln – und davon hält Garland eben gar nichts.

Rory Kinnear
Der Priester des Dorfes hat eigenwillige Ansichten zu Schuld und Sühne.

Ob nun Men dafür geeignet ist, Männern tatsächlich den Spiegel vorzuhalten oder nicht, das dürfte vom Zuschauer abhängen. Als Beitrag über männliches Verhalten aus der Sicht einer tief verletzten weiblichen Seele ist Men aber ein absolut sehenswerter Film, den zwar manche sicher ein wenig plump finden, der dafür aber emotional bereits in kleinen Gesten und Blicken außerordentlich gut funktioniert. Was Jessie Buckley und Rory Kinnear hier abliefern, ist definitiv großes Kino und lohnt bereits die Sichtung. Selbstverständlich bietet Men in Sachen männliches Verhalten nun keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse – aber das muss er ja auch nicht. Auch Rassismus-Dramen haben in der Regel nichts Neues zu erzählen. Müssen sie auch nicht, solange das Problem noch existiert. Gleiches darf man auch Garland zugestehen.

Fazit:

An Men werden sich die Geister scheiden. Denn Regisseur und Autor Alex Garland geht mit seinem eigenen Geschlecht hart ins Gericht und vermittelt mit seinem Film einen guten Einblick, wie sich typische männliches Verhalten auswirkt, vor allem, aber nicht nur, auf Frauen. Das verpackt der Brite in wenig subtile, aber zum Teil wunderschöne, zum Teil erschreckende Bilder. Und traut sich Finale, mal richtig die Sau rauszulassen. Eine klare Botschaft, eindeutig vermittelt, damit belegt Garland auch innerhalb der Arthaus-Horrorfilme der vergangenen Jahre eine Sonderstellung. Fans von typischem modernen Horror wie „Scream“ oder „The Conjuring“ sind in Men aber vermutlich falsch. Denn Garland drehte eigentlich ein allegorisches Drama und nutzt die Standards des Genres nur selten.

Men startet am 21. Juli 2022 in den deutschen Kinos.

Men
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