Schon häufiger konnten günstig produzierte Horror-Filme in den USA die Charts aufmischen, wenn kein Blockbuster am gleichen Tag startete. Dass „The Witch Next Door“ allerdings gleich sechs Wochen die Spitzenposition einnimmt, lässt sich dann doch nur mit den wenigen Film-Starts in Corona-Zeiten erklären. Ist der für nur 66000 Dollar gedrehte Horror-Film also doch nicht so gut, wie der Erfolg Fans glauben machen könnte? Das klärt die Kritik.
Hexen haben sein ein paar Jahren ein Horror-Revival im Kino. Ob die Neuinterpretation „Gretel und Hänsel“, der Arthouse-Versuch „The Witch“ oder der russische Dark-Fantasy-Thriller „Baba Yaga“ – die kinderfressende Monstrosität gehört zum kleinen Einmaleins der Horrorwelt im neuen Jahrtausend. Vergleiche gibt es also genug für The Witch Next Door, für den sich die Regisseure und Drehbuchautoren The Pierce Brothers auch ausgiebig bei anderen Storys und Filmen bedient haben. Ist er trotzdem gut?
The Witch Next Door: Die Handlung
Teenager Ben (John-Paul Howard) macht die Trennung seiner Eltern so schwer zu schaffen, dass er sich mit Drogen betäubt. Als er sich beim Einbruch ins Nachbarhaus auf der Suche nach Schmerzmitteln den Arm bricht, landet er samt Gipsarm in der Provinz bei seinem Vater Liam (Jamison Jones). Der betreibt einen Bootsverleih, in dem Ben mithelfen soll. Schnell macht er unrühmliche Bekanntschaft mit den Dorfschnöseln, aber auch mit Mallory (Piper Curda), die ebenfalls im Bootsverleih jobbt. Eigentlich könnte der Sommer trotz Gips noch ganz nett werden.
Wäre da nicht die Nachbarsfamilie, mit der offenbar schräge Dinge geschehen. Mutter Abbie (Zarah Mahler) benimmt sich plötzlich sehr seltsam. So seltsam, dass Sohn Dillon Angst vor seiner eigenen Mum hat und sich lieber bei Ben im Haus versteckt. Und Vater Ty scheint von einem Tag auf den anderen auch nicht mehr er selbst zu sein. Bald hat Ben den Verdacht, dass hier eine böse Macht am Werk ist. Aber wer sollte ihm schon glauben? Und so macht er sich allein daran, die Bedrohung zu untersuchen. Doch das ist keine gute Idee, denn sein Gegner ist tödlich …
Nicht neu, aber spannend
Nein, so richtig neu ist das alles nicht, was die Pierce-Brüder ihrem Publikum mit The Witch Next Door präsentieren. Vor allem die Baba Yaga-Saga hat in Sachen Handlung sehr deutlich Pate gestanden, ohne namentlich erwähnt zu werden. Und die Machart des Films hat das Brüderpaar auch nicht erfunden. Aber eben sehr sauber und gut kopiert. Schon die erste Szene, die 30 Jahre vor dem Rest des Films spielt, setzt in Sachen Schocks und Atmosphäre Maßstäbe, die der Film in den restlichen 90 Minuten jederzeit aufrecht erhält.
Die Pierce-Brüder scheuen Blut deutlich sichtbar nicht, nutzen es aber auch nicht als Spannungsersatz mit der Gießkanne. Dazu zeigen sie für das absurd niedrig anmutende Budget ansprechenden Body-Horror, bei dem besonders die Tonspur hervorzuheben ist. Die Geräusche, die das Publikum zu hören bekommt, wenn die Hexe sich in einem neuen Körper einnistet und ihn verformt, wären ohne Bilder bereits abschreckend genug. Mit den dunklen, aber nicht zu dunklen Aufnahmen dazu, dürften Horrorfans auf ihre Kosten kommen.
Horror mit Suspense
Neben blankem Horror, der sich selbst im Finale sehen lassen kann, beherrschen die Pierce-Brüder aber auch die etwas feinere Klinge des Suspense. Wenn der Zuschauer immer wieder Bens Vorstöße ins Nachbarhaus begleiten muss und dabei weiß, dass die Hexe bereits auf dem Heimweg ist – Wissen, das dem Helden fehlt, – dann zerren diese Momente gekonnt an den Nerven. Neben den einschlägigen Horror-Regisseuren haben die Brüder definitiv auch ihre Lektionen von Alfred Hitchcock gelernt, dessen „Fenster zum Hof“ nicht nur wegen des Gipses des Helden immer wieder aufblitzt.
Weil der Film gleich mit einem fiesen Paukenschlag beginnt, ist das Publikum auch auf einiges gefasst, was da kommen könnte. Die Pierce-Brüder variieren klug zwischen scheinbaren und echten Bedrohungen und entziehen dem Zuschauer so jegliche Ruhepausen, weil nie ein Charakter im Film wirklich in Sicherheit scheint. Und wie sehr das stimmt, beweist der finale Twist des Films, der zwar nicht neu ist, aber doch so gekonnt eingesetzt wird, dass er volle Wirkung zeigt. Vor allem, weil er im Nachhinein sehr glaubwürdig ist.
Auch die Darsteller schlagen sich gut. John-Paul Howard ist als Hexenjäger wider Willen sympathisch genug, um mit ihm mitzufiebern. Piper Curda gibt einen klugen Sidekick ab und Zarah Mahler ist als Hexe ebenfalls sehr sehenswert. Die Kälte, die sie verströmt, trägt einen guten Teil zur stets gelungenen Atmosphäre von The Witch Next Door bei. Und die in letzter Zeit häufig in Horrorfilmen verbaute Meta-Ebene lässt dieser Film erfreulicherweise weg und ist nur, was er ist: ein sehr ordentlicher Horrorfilm, ganz ohne gesellschaftliche Aussage.
Fazit:
The Witch Next Door erfindet das Rad nicht neu und fährt sogar in tiefen Spurrillen. Trotzdem ist die Fahrt nie langweilig, denn statt innovativer Handlung bieten die Pierce-Brüder ihrem Publikum gelungene Schocks und guten Suspense. Mit guten Darstellern und für das niedrige Budget erstaunlich guten Spezial-Effekten bietet der Film Genre-Fans gute Unterhaltung der altmodischen Art. Hier geht es um Schocks und gruselige Atmosphäre – und mehr nicht. Wem eine Horrorstory reicht, der es reicht, eine Horrorstory zu sein, ist hier richtig.
The Witch Next Door startet am 13. August 2020 in den deutschen Kinos.