I See You

Filmkritik: I See You

Nachdem Helen Hunt in den 90er Jahren ein Star wurde und das durch den Oscargewinn als beste weibliche Hauptrolle für „Besser geht’s nicht“ untermauerte, wurde es im neuen Jahrtausend stiller um sie. Zwar drehte sie fleißig weiter Filme, aber die großen Erfolge blieben aus. Nun ist sie in „I See You“ zu sehen, einem Thriller, der es in Deutschland nicht in die Kinos geschafft hat. Dass das kein Qualitätsurteil ist, beweisen Filme wie „The Autopsy of Jane Doe“. Ist auch Hunts neues Werk ein echter Geheimtipp?

Das Thriller-Genre lebt meist von guten Twists, also Momenten oder Szenen, die der Zuschauer nicht kommen sieht – obwohl er als Kenner vielleicht sogar ständig nach Anhaltspunkten sucht. Nach dieser Definition ist auch I See You ein Thriller, denn er spielt geschickt mit scheinbaren Wirklichkeiten und Fakten. Regisseur Adam Randall, der bislang noch keinen echten Hit vorzuweisen hat, verfilmt hier ein Drehbuch des Schauspielers Devon Graye, der als Autor damit sein Debüt gibt. Hat diese Kombination einen guten Thriller abgeliefert?

I See You
Ist Connor aus Wut über seine Mutter zum Verbrecher geworden? Oder selber ein Gejagter im eigenen Heim?

I See You: Die Handlung

Cop Greg Harper (Jon Tenney) wird mit dem Fall eines verschwundenen Jungen betraut. Bald wird klar, dass die Entführung nach einem Verbrecher aussieht, der bereits vor 15 Jahren in der Gegend zugeschlagen hat. Damals hatte er zwei Jungen entführt, missbraucht und teilweise entstellt. Harper übernimmt den Job eher halbherzig, denn er hat zurzeit private Probleme. Seit seine Frau Jackie (Helen Hunt) eine Affäre gebeichtet hat, ist das Familienleben mit Sohn Connor (Judah Lewis) massiv geschädigt. Der zornige Teenager ist anstregend und gemein.

Und auch Greg hat Probleme, mit seiner Frau auch nur normale Gespräche zu führen. Als sich im ihrem Haus plötzlich seltsame Dinge ereignen, nimmt daher jeder der drei Bewohner an, dass einer der anderen beiden dafür verantwortlich ist, Aber stimmt das auch? Als Jackies Affäre plötzlich auftaucht und es zu einem Verbrechen kommt, überschlagen sich die Ereignisse. Stehen Greg und seine Familie möglicherweise im Visier des Kindesentführers, weil er den Fall bearbeitet? Oder haben die unheimlichen Geschehnisse doch andere Gründe?

I See You: Wenn das Script passt …

Bei einem Thriller, der auf unerwartete Wendungen setzt, kommt es vor allem auf eines an – das Drehbuch. Nur wenn die gezeigten Ereignisse so glaubwürdig oder zumindest gut erklärt sind, das der Zuschauer die Reise mitmacht, kann ein Thriller überzeugen. Und I See You besitzt glücklicherweise ein solches Script. Denn auch wenn hier Kommissar Zufall mächtig wirbelt, so ist doch die Grundausrichtung der Story nicht nur stimmig, sondern auch sehr offen. Spukt es hier? Hat eine der Figuren paranormale Fähigkeiten? Ist das alles überhaupt real?

Devon Graye lässt das Publikum hier in den ersten 30 Minuten weitgehend im Dunkeln tappen, ohne dass das dem Unterhaltungswert abträglich wäre. Allerdings bewegt die sich trotz einer Handvoll Jump-Scares weitgehend im Krimibereich und weist nicht wirklich die Qualitäten eines Horrorfilms auf. So richtig an die Nerven geht I See You nicht, dafür macht aber das Miträtseln darüber, was man denn hier zu sehe bekommt, auf einer intellektuellen Basis viel Spaß. Denn vorstellbar ist hier vieles, selbst wenn der Film nach der Hälfte quasi neu beginnt.

I Se You
Hat Cop Greg den Kindesentführer vor dem Lauf? Oder spielt sich in seinem Haus etwas ganz anderes ab?

I See You: Ein starke Hunt

Denn auch das Angebot, das Randall und Graye dem Zuschauer dann machen, hat noch einen doppelten Boden und ist längst nicht so eindeutig, wie es zu Beginn scheint. Das steht und fällt allerdings auch mit den Schauspielern. Und die machen in I See You alle einen guten Job, allen voran Helen Hunt. Die von Schuld zerfressene Ehefrau und Mutter, die den Verdacht hegt, ihr eigener Sohn könnte aus Rache kriminell geworden sein, kauft ihr das Publikum jederzeit ab. Dennoch bleibt sie ambivalent genug, um als möglicher Schurke nicht auszuscheiden.

Jon Tenney überzeugt ebenfalls als genervter Cop, dem Fall und Privatleben offenkundig über den Kopf wachsen. Und Judah Lewis ist als wütender Teenager sehr sehenswert – wie auch Owen Teague und Libe Barer, über deren Rollen hier allerdings nicht gespoilert werden soll. Aber auch ihre Figuren, so unvermittelt sie auch auftauchen, werden mit jeder Minute, die der Film läuft, interessanter und gleichzeitig rätselhafter. Denn auch sie verstrickt Graye sehr gelungen in sein Gespinst aus Schuld, Misstrauen und Hoffnung auf Vergebung.

Lediglich bei den Bildern erweist sich I See You als etwas zurückhaltend. nach einem furiosen Beginn, der den Zuschauer durchaus erschrecken kann, bleibt der Rest des Films optisch auf gehobenem TV-Niveau und drängt sich nicht für eine Leinwand-Auswertung auf. Vielleicht ein Grund, warum er in Deutschland lediglich im Heimkino-Bereich veröffentlicht wurde und wird. Trotzt dieses kleinen Mangels kann sich I See You, durch den man im Gegensatz zu seinem Titel lange nicht durchblickt, durchaus sehen lassen.

Fazit:

Mit seiner guten, aber unaufdringlichen Inszenierung und einem feinen Ensemble gelingt Adam Randall hier ein kleiner, aber feiner Thriller, bei dem vor allem die Unklarheit über die wahren Ereignisse und Personen die Spannung hochhalten. I See You ist zwar ein typischer, aber dennoch gelungener Thriller, dessen Wendungen, hat man den einen oder anderen Zufall erst einmal verdaut, gut unterhalten, weil sie ebenso schwer zu durchschauen sind, wie sie hinterher auf der Hand liegen. Thrillerfans sollten hier unbedingt einen Blick riskieren.

I See You ist digital bereits erhältlich und erscheint am 12. Juni 2020 auf DVD und Blu-Ray.

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