Die Romane des Sonderdezernats Q aus der Feder des dänischen Autors Jussi Adler-Olsen wurden in Deutschland allesamt zu Hits. Für die bisher vier Verfilmungen aus Adler-Olsens Heimat gilt das nur bedingt. Auch wenn Fans der Bücher in der Regel nicht unzufrieden waren, richtige Erfolge wurden die Adaptionen zumindest im Kino nicht. Mit der Umsetzung des fünften Romans „Erwartung – der Marco-Effekt“ kommt nun eine andere Produktionsfirma zum Zug, die gleich alle bisherigen Darsteller austauschte. Statt wie bisher Nikolaj Lie Kaas spielt nun Ulrich Thomsen den sensiblen, aber mürrischen Ermittler Carl Mørck. Macht das den neuen Film besser oder schlechter? Oder bleibt alles, wie es ist? Das klärt die Kritik.

Die Handlung
Es ist keine gute Zeit für Carl Mørck (Ulrich Thomsen). Nachdem er den Selbstmord eines Kollegen nicht verhindern konnte, soll der ohnehin meist übellaunige Chef des Sonderdezernats Q ein paar Wochen Pause machen und mit einem Psychologen reden. Doch Mørck denkt gar nicht daran und stürzt sich mit seinem Assistenten Assad (Zaki Youssef) lieber in einen Fall. Als der 15-jährige Marco (Lubos Olah) beim Schwarzfahren in einem Zug aufgegriffen wird, hat er eine Seite aus dem Reisepass eines angeblichen Pädophilen bei sich, der seit Jahren verschwunden ist. Hat sich der verschwundene Mitarbeiter des dänischen Entwicklungshilfe-Ministeriums an Marco vergangen? Hat der Junge ihn getötet oder weiß zumindest, wo sich der Mann jetzt befindet?
Carl und Assad geben zwar ihr Bestes, um den Jungen zum Reden zu bringen, doch der schweigt eisern. Aber auch ohne die Aussage von Marco findet das mittlerweile in kalten Fällen erfahrene Dezernat einige neue Fakten heraus – was offensichtlich irgendjemanden nervös macht. Denn bald kommt es zu neuen Verbrechen, die mit dem Verschwinden des Mannes vor einigen Jahren in Verbindung stehen und die Ereignisse von damals in einem völlig neuen Licht zeichnen. Aber der Schlüssel zur Lösung scheint Marco zu bleiben. Können Carl und Assad sein Vertrauen gewinnen, bevor der Junge selbst in die Schusslinie der Killer gerät?
Zuviel Wechsel kostet Qualität
Nachdem das Produktionsfirma Zentropa die Rechte für die ersten vier Adler-Olsen-Thriller besaß und umsetzte, holte sich Nordisk Film die Filmrechte für die Bände fünf bis zehn. Und setzte sowohl vor als auch hinter der Kamera auf einen kompletten Neustart. Dass die Regie wechselt, diesmal zu Martin Zandfliet, ist dabei gar nicht so entscheidend, denn bis auf die ersten beiden Filme waren immer neue Regisseure für die nachfolgenden Teile verantwortlich. Aber Nordisk Film hat auch die bisherigen Darsteller an die Luft gesetzt und die wichtigen Rollen neu besetzt. Und das merkt man Erwartung auch deutlich stärker an als den Wechsel auf dem Regiestuhl, denn die Filme waren ohnehin meist eher auf TV-Niveau inszeniert als großes Kino.
Ulrich Thomsen spielt die Hauptrolle des Carl Mørck zwar ein wenig ruhiger als Nikolaj Lie Kaas, aber die Grundtendenz des Charakters trifft er genauso wie sein Vorgänger. Ganz anders verhält es sich aber mit der Chemie zu seinem Co-Star. Kaas und Fares Fares als Assad spielten sich die Bälle nicht nur inhaltlich, sondern auch schauspielerisch gut zu. Und funktionierten als Team auf Augenhöhe auch deshalb so stark, weil der leise Humor der Vorlagen bei ihnen stets Teil der Rollen war. Thomsen und Zaki Youssef erreichen dieses Zusammenspiel in keinem einzigen Moment. In Erwartung steht Thomsen deutlich stärker im Fokus als Youssef, der zwar zu einer wichtigen, aber dennoch deutlich spürbaren Nebenrolle degradiert wird.

Der Adler-Olsen-Faktor fehlt
Thomsen muss diesmal also relativ allein die Ideen des Autors verkaufen – und doch lässt das überaus düstere Drehbuch das kaum zu. Mit Erwartung wird die Reihe so bitterernst wie die meisten skandinavischen Krimis. Und nähert sich eher einem Wallander an, als die gut gesetzten witzigen Momente der Romane einzubringen. Damit verliert sie nicht nur ein Stück eigene Identität, sondern versinkt auch ein wenig in der Masse der Krimis aus dem Norden. Dass der fünfte Teil der Reihe im Kino in Dänemark nicht überzeugte, wo der Vorgänger zu einem der erfolgreichsten dänischen Filme überhaupt wurde, liegt aber auch an der Story.
Denn Adler-Olsen variiert hier lediglich Plots, die er schon mehrfach genutzt hat. Dass reiche und mächtige Männer über Handlanger Verbrechen verüben, ist keine ganz neue Idee. Und weder der Autor noch Regisseur Zandfliet können diesem Thema eine frische Seite abgewinnen. Die Besetzung und Inszenierung bringt den Zuschauer schnell auf die richtige Spur, auch wenn die Ermittler deutlich länger im Dunkeln tappen. Manchmal trägt es extrem zur Spannung bei, wenn das Publikum einen Wissensvorsprung bekommt. Und dann ohnmächtig mitansehen muss, wie sich die Helden in Gefahr bringen. Hier gelingt das nicht. Zandfliet erzählt die Story in biederen Bildern ohne Esprit. Und wenn es einmal Action gibt, ist auch die seltsam unemotional geraten.

Das macht Erwartung nicht zu einem schlechten Film, denn das Drehbuch schlägt durchaus gekonnt einige Haken und baut temporär auch Spannung auf. Aber man nie das Gefühl, hier mehr zu sehen als einen ordentlich gemachten TV-Krimi. Um Zuschauer zurecht ins Kino zu locken, bietet der Film hingegen eindeutig zu wenig, lediglich Thomsen ist mit seiner neuen Interpretation des Helden kinoreif. Um ein Publikum zwei Stunden gut zu unterhalten, reicht das aber nicht.
Fazit:
Erwartung – der Marco-Effekt bleibt auf vielen Ebenen hinter den bisherigen Verfilmungen der Adler-Olsen-Romane zurück. Der Plot wirkt wenig frisch, die Erzählweise des Regisseurs Martin Zandfliet ist bestenfalls als routiniert zu bezeichnen. Und schafft es daher kaum, das Publikum auch emotional in die Story um Clan-Kriminalität und Korruption hineinzuziehen. Ulrich Thomsen, dem neuen Darsteller der Hauptrolle, lässt sich da noch am wenigsten vorwerfen. Ihm gelingt es, den Charakter etwas anders zu spielen als sein Vorgänger Nikolaij Lie Kass, und dennoch als Carl Mørck erkennbar zu bleiben. Insgesamt ein ordentlicher Krimi, der allerdings keinen Grund liefert, ihn wirklich im Kino zu sehen. Das ZDF als Mitproduzent dürfte ihn spätestens 2023 ins Programm nehmen.
Erwartung – der Marco-Effekt startet am 2. Juni 2022 in den deutschen Kinos.
