Verachtung

Filmkritik: Verachtung

Der dänische Erfolgsautor Jussi Adler-Olsen erfand 2007 das Sonderdezernat Q, in dem seine Helden Carl Mørck und Hafez el-Assad eigentlich bereits aufgegebene Fälle neu aufrollen und alten Spuren nachgehen. Inzwischen hat Adler-Olsen bereits acht Romane mit diesen Figuren geschrieben, vier davon wurden schon verfilmt. „Verachtung“, der vierte Film, lief bereits 2018 in Dänemark und kommt jetzt endlich auch in die deutschen Kinos – erneut mit den gleichen Schauspielern. Ist er so gut wie die Vorgänger?

Der dänische Schriftsteller erfand mit seinen Helden Carl Mørck und Assad auch deshalb ein echtes Erfolgsduo, weil er neben guten Krimihandlungen auch ein wenig Humor in seine Romane schrieb. Der ewig nörgelnde Carl und Assad, der noch immer mit der Sprache kämpft, sorgen hin und wieder beim Leben auch für ein Schmunzeln – eigentlich eher untypisch für die nordischen Krimis. Hat es der Humor auch in die Filme geschafft? Oder blieben die Ermittlungen auf der Leinwand so todernst wie der der meisten Kollegen?

Verachtung
Carl und Assad finden in ihrem neuesten Fall einen extrem gruseligen Tatort vor.

Verachtung: Die Handlung

Carl (Nikolaj Lie Kaas) und Assad (Fares Fares) werden zu einem makaberen Tatort gerufen. In einem zugemauerten Raum einer Wohnung finden Beamte einen noch immer gedeckten Kaffeetisch – an dem drei mumifizierte Leichen sitzen. Was Carl an dem Fund aber am meisten Sorge macht: Ein Stuhl ist noch leer. Gibt es dort draußen noch ein potenzielles Opfer, dass nichts davon weiß, in Lebensgefahr zu schweben? Bei den Ermittlungen stoßen die beiden bald auf eine ältere Dame, der die Wohnung gehörte, doch die ist spurlos verschwunden.

Ist sie das vierte Opfer? Oder die Mörderin, die drei Menschen vergiftet hat? Auf der Suche nach der Frau entdecken Carl und Assad alte Spuren, die auf die Insel Sprogø führen. Dort hatte Dänemark in den 50er Jahren ein Heim für schwer erziehbare Mädchen eröffnet. Nach dem Bekanntwerden von Gräueltaten, die dort im Namen des Staates verübt worden waren, wurde das Heim geschlossen. Ist die unbekannte Frau dort auch ein Opfer geworden? Hat sich sich für erlittenes Unrecht gerächt und ihre damaligen Peiniger umgebracht?

Verachtung: Viele Änderungen

Auch wenn der Grundplot des Romans erhalten bleibt, hat Regisseur Christoffer Boe mit einem Team aus Autoren viel geändert. Und das leuchtet ein, denn im Roman werden Carl und Assad zu Nebenfiguren, während die geheimnisvolle Frau den Löwenanteil der Story erlebt und erzählt. Das konnte aber als Film – und schon gar nicht als vierter Teil einer Serie – funktionieren. Deshalb haben Carl und Assad in der Verfilmung auch deutlich mehr zu tun und sind sehr viel aktiver als in der Romanvorlage. Und das tut dem Ergebnis außerordentlich gut.

Jussi Adler-Olsen wollte die damaligen Machenschaften, die historisch korrekt sind, in seinem Roman anprangern. Wie in vielen seiner Romane beschäftigt er sich auch hier mit Unrecht, bei dem das System einfach weggeschaut hat. Sein Buch ist allerdings zu weiten Teilen lediglich ein Rückblick auf vergangene Zeiten. Und diese Flashbacks in die Jugend der Frau, um deren Lebensgeschichte es geht, werden im Film sehr konsequent auf das Nötigste eingedampft, um Carl und Assad mehr Platz zu geben. Und einen unangenehm aktuellen Ansatz einzubauen.

Verachtung
Eine Spur führt das Sonderdezernat Q auf eine kleine Insel, auf der in den 50er Jahren ein Heim für „gefallene Mädchen“ stand.

Verachtung: Thriller mit starker Botschaft

Denn mit der Geschichte von Assads Landsfrau Nour, die ungewollt schwanger geworden und damit in eine schlimme Situation geraten ist, schlägt der Film gekonnt den Bogen aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Und deckt auf, wie wenig sich im angeblich so modernen Europa an manchen Stellen in den letzten 50 Jahren getan hat. Dazu inszeniert Boe einen besonders dämonischen Bösewicht, der es zwar an psychologischer Tiefe vermissen lässt, dafür aber sehr effektiv schockiert. Auch diese Figur spielt im Roman nur eine kleine Rolle und wird im Film wesentlich prominenter genutzt.

Boes Regie ist wie bei seinen Vorgängern schnörkellos, aber immer auf Zug. Mit gutem Tempo und ohne Längen bringt er die düstere Story in knapp zwei Stunden ans Ziel. Die beiden Hauptdarsteller Kaas und Fares sind mittlerweile ein so eingespieltes Team, dass sie vor der Kamera wie ein altes Ehepaar wirken. Dass sich sich trotzdem manchmal streiten wie die Kesselflicker, gehört einfach zu ihrem besonderen Charme. Dass ihnen trotz ihres Berufs das Grauen noch etwas anhaben kann, sieht der Zuschauer deutlich in ihren Gesichtern. Das macht sie so menschlich.

Wie Adler-Olsen im Roman etabliert auch Boe in seinem Film Carl und Assad nicht nur als Cops, die ein Verbrechen aufklären, sondern als Gewissen eines Landes. Dass sie stets untrüglich wissen, was das Richtige ist, überhöht sie einerseits zur moralischen Instanz, macht sie andererseits aber auch so glaubhaft in dem, was sie tun. Und so ist auch Verachtung, der vierte Filme der Reihe (Teil fünf ist bereits in Arbeit), wieder ein Paradebeispiel für einen guten Thriller, der mehr kann als nur Spannung aufbauen.

Fazit:

Aus einer weitgehend spannungsarmen Romanvorlage zaubert Regisseur Christoffer Boe einen packenden Thriller, der zu gleichen Teilen anrührt und wütend macht. Nikolaj Lie Kaas und Fares Fares spielen ihre Rollen schon zum vierten Mal, und diese Sicherheit merkt man dem Film wohltuend an. Als fester moralischer Kompass kämpfen sich die zwei Cops erneut durch einen Dschungel aus Schuld, Ungerechtigkeiten und böser Rache. Wer die Vorgänger schon mochte, wird auch hier wieder komplett abgeholt. Teil fünf kann kommen!

Verachtung startet am 20. Juni 2019 in den deutschen Kinos.

Verachtung
Dort erlebte die junge Nete grauenvolle Dinge. Hat sie sich deshalb nach all den Jahren an ihren Peinigern gerächt?