Doctor Strange 2

Filmkritik: Doctor Strange 2

Ja, eigentlich heißt der Film nicht „Doctor Strange 2“, sondern „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“. Aber ist das einfach etwas lang für Suchmaschinen. Im Vorfeld fuhr Disney die bislang höchsten Sicherheitsvorkehrungen überhaupt auf, was Vorabsichtungen anging. Selbst potenzielle Interview-Partner durften vorab nur wenige Minuten sehen, die Presse-Vorführungen wurden in Deutschland alle auf wenige Stunden vor das Ende des Embargos gelegt. Ist es nicht etwas albern? Das fragt man sich vielleicht im Vorfeld, schließlich ist es doch nur ein weiterer Marvel-Film? Und die Antwort lautet gleich zwei Mal nein. Denn durch die Rückkehr von Sam Raimi zu einem Marvel-Helden (nach seinen Spider-Man-Filmen) ist Doctor Strange 2 anders. Und seine zahlreichen WTF-Momente verdienen es, bis zum Kinostart geheim zu bleiben.

Die Handlung

Doctor Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) erwacht aus einem Alptraum, in dem er vergeblich versuchte, sich und eine junge Frau namens America Chavez (Xochitl Gomez) vor dem Angriff eines Dämonen zu bewahren – in einem anderen Universum. Als er wenig später genau jene America wiedersieht, die auf den Straßen New Yorks gegen ein überdimensional großes Monster kämpft, zögert er daher nicht lange, ihr zur Seite zu stehen. Und das führt den Magier durch eine Odyssee an Universen, die er sich so nicht hatte träumen lassen. Denn ein Feind jagt die junge Frau, die ganz besondere Fähigkeiten hat, aus einem sehr nachvollziehbaren Grund …

Raimi versteht Comic

Die Inhaltsangabe ist mit Absicht deutlich kürzer als sonst, denn je weniger man weiß, wenn man ins Kino geht, desto besser. Leider geistern bereits die Namen einiger Schauspieler durchs Internet, die ich glücklicherweise nicht vorher gelesen hatte. Sie ohne vorheriges Wissen zu sehen, hatte doch einen deutlich satteren Einschlag zur Folge, als hätte ich vorher davon gewusst. Doctor Strange 2 lässt sich auch ohne Spoiler gut in einem Satz beschreiben. Für langjährige Comic-Leser und Fans ist dieser Film das genau Gegenteil von Thor Ragnarök. Während Taika Waititi, ein ansonsten großartiger Regisseur, aus einer düsteren Comic-Saga eine Komödie macht und so die Vorlage mit Füßen tritt, gelingt Sam Raimi eine Verbeugung vor dem gigantischen Comic-Fundus, wie es schöner kaum vorstellbar ist.

Denn schon seit den 60er Jahren hatte Marvel den Human Touch, der seine Helden nicht nur zu Superwesen machte, sondern auch mit Alltagsproblemen konfrontierte. Was wäre Peter Parker ohne seine Bruchbude in Queens und seine ständigen Geldsorgen? Und so wie Marvel hier einen Schuss Realismus einführte, so galt das auch für zwischenmenschliche Beziehungen. Die Helden von Marvel waren auch Freunde. Und so fand ich es als Kind schon supercool. wenn Spider-Man zum nächsten Telefon schwang und dort die Privatnummer von Johnny Storm wählte, weil er die Hilfe der menschlichen Fackel brauchte – die dann auch prompt erschien. Dieses Gefühl, das schon damals alles ein großes Comic-Universum war, hat Raimi so gut fürs Kino eingefangen wie vorher nur die Russo-Brüder mit ihrem Infinity-Saga-Schluss-Akkord.

Benedict Cumberbatch
Kaum hat Doctor Strange sein Abenteuer mit Peter Parker hinter sich, braucht ein weiterer Teenager seine Hilfe: America Chavez.

Düsterer als sonst

Und so konnte ich bereits in der Pressevorführung den Aufschrei der Fans bei bestimmten Szenen vor meinem geistigen Ohr hören, weil die entsprechenden Szenen mit „Spider-Man: No Way Home“ zumindest ebenbürtig, wenn nicht sogar noch einen Tick aufregender sind. Sam Raimi ist ein bekennender großer Comic-Nerd – und das sieht man Doctor Strange 2 in jeder Szene an. Denn der Film geizt nicht mit Anspielungen, Easter Eggs und ausgewachsenen Überraschungen, was Handlung und Figuren angeht. Obwohl das Drehbuch von Michael Waldron den typischen MCU-Humor nicht gänzlich verbannt, ist der zweite Auftritt des Marvel-Magiers im Grundton doch dunkler als alles, was Marvel bislang umsetzte – vom bald endenden Moon Knight vielleicht einmal abgesehen.

Und auch bei einer anderen Aussage macht Marvel ernst. Wer „Wandavision“ auf Disney+ nicht gesehen hat, der wird mit vielen Aspekten der Handlung hier nichts anfangen können. Der Konzern hatte vor Beginn der ersten Serie bereits angekündigt, dass die Shows auf Disney+ wichtiger Teil des MCU sein würden – und Doctor Strange 2 ist der Beweis, dass sie nicht übertrieben haben. Denn sonst versteht man die Intention und die Kräfte von Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen), die im Film eine wichtige Rolle spielt, eigentlich gar nicht. Und bringt sich so um eine menge Spaß im Kino. Wer die Serie noch nicht kennt, dem sei das vorherige Ansehen dringend empfohlen. Lediglich Comic-Leser können sich die Serie theoretisch schenken, denn sie kennen die tragischen Entwicklungen der Scarlet Witch und welche Folgen sich daraus ergaben.

Benedict Cumberbatch
Das Mädchen wird auf offener Straße von Monstern attackiert. Und Strange und Wong können nur mit Mühe das Schlimmste verhindern.

Bilderrausch vom Feinsten

Sam Raimi macht seit mehr als 40 Jahren Filme, und das merkt man Doctor Strange 2 auch an. Hier ist ein erfahrener Regisseur am Werk, der sich und seine Filme schon immer über Bilder definiert hat. Und so erschafft er auch hier Optiken, die mit den abgedrehten Momenten aus dem ersten Film locker mithalten können. Und sich dabei noch ausgiebig aus dem Ideen-Topf der von manchen Fans leider verschmähten Animations-Serie „What if…?“ bedient. Ein großer Spaß also? Nicht ausschließlich. Denn Raimi ist nicht nur ein Comic-Nerd. sondern auch ein Horrorfan. Und das brachte er in einem Maße ein, das Doctor Strange 2 deutlich zum unheimlichsten und schockierendsten Marvel-Film bisher macht. Hier sterben Menschen, tauchen gruselige Monster auf, gibt es Zombies.

Perfekt ist die Story nicht. Denn es gibt im Finale doch viel Erwartbares und in einigen Situationen fragt man sich schon, warum die entsprechende Figur das nicht schon etwas früher versucht oder getan hat. Aber auf Logik sind die Fantasy-Superhelden-Abenteuer auch nicht unbedingt aufgebaut. Benedict Cumberbatch ist wie eigentlich immer großartig, diesmal sogar in mehr als einer Rolle. Und die Handlung reißt das Publikum über die vollen zwei Stunden mit, Leerlauf gibt es hier nicht. Und zur Info: Es gibt zwei Post-Credit-Szenen. Also sitzenbleiben, bis beide gelaufen sind.

Elizabeth Olsen
Strange bittet Magie-Expertin Wanda um Hilfe. Doch die Scarlet Witch hat eigene Pläne.

Fazit:

Mit Doctor Strange in the Multiverse of Madness liefert Marvel-Rückkehrer Sam Raimi einen der besten MCU-Filme überhaupt ab, jedenfalls für langjährige Comic-Leser. Denn die Grundidee von Stan Lee, alle Serien in einem gemeinsamen Universum spielen zu lassen, in der jederzeit auch Charaktere aus anderen Serien zu Gast sein konnten, treibt Raimi hier auf eine ganz besonders gelungene Art auf die Spitze. Wer schon den letzten Spider-Man-Film für die Rückkehr bestimmter Charaktere feierte, der wird hier so richtig die Korken knallen lassen. Allerdings ist Raimis Beitrag zum MCU auch der bislang gruseligste. Ob es eine gute Idee ist, mit seinen deutlich unter 12-jährigen in diesen Film, zu gehen, ist daher fraglich. Der Rest wird hier aber auf seine Kosten kommen. Je mehr Fan, desto besser!

Doctor Strange and the Multiverse of Madness startet am 4. Mai 2022 in den deutschen Kinos.

Doctor Strange and the Multiverse of Madness
Im Kampf um Americas Leben landet Doctor Strange in seltsamen Universen.