Lincoln Rhyme

Serienkritik: Lincoln Rhyme

Das erste Opfer war die Serie selbst. Eigentlich wollte Sat 1 das gelähmte Forensik-Genie schon Ende März an die Arbeit schicken, doch Corona bremste das Synchronstudio aus. Und so startet die zehnteilige, erste Staffel der Serie um „Lincoln Rhyme“ und seine Partnerin Amelia Sachs erst jetzt. Ab dem 28. Mai 2020 ermittelt das Team um den eigenwilligen Tatort-Spezialisten immer um 20:15. Ob sich die Serie eher an Fans des Romans, der Verfilmung von 1999 oder an eine ganz andere Zielgruppe richtet, verrät die Kritik.

Aktuelle Info: Die Serie wurde in den USA nach der ersten Staffel abgesetzt.

Jeffery Deaver gehört zu den erfolgreichsten Thriller-Autoren der USA. Obwohl er in seiner Karriere einige Ermittler geschaffen hat, ist Lincoln Rhyme sein erfolgreichster. 14 Romane und einige Kurzgeschichten existieren bereits mit dem ungewöhnlichen Duo Rhyme/Sachs. Aber alles begann mit dem ersten Roman, der auf deutsch „Der Knochenjäger“ heißt, wie auch dessen Verfilmung mit Denzel Washington und Angelina Jolie – eine falsche Übersetzung des Originaltitels „The Bone Collector“ (also Der Knochensammler). Macht auch die Serie etwas falsch?

Lincoln Rhyme
Seit der Knochenjäger ihn in eine Falle gelockt hat, ist Top-Forensiker Lincoln Rhyme gelähmt.

Lincoln Rhyme: Die Handlung

Vor drei Jahren versuchte New Yorks Top-Forensiker Lincoln Rhyme (Russell Honsby) im Alleingang, ein Opfer des berüchtigten Serienkillers, den man den Knochenjäger nennt, zu retten. Das Opfer starb und Rhyme stürzte in die Tiefe. Er überlebte, sitzt seitdem aber im Rollstuhl. Als sein Ex-Kollege Sellito (Michael Imperioli) ihn um Hilfe bittet, will er zunächst nichts davon hören. Bis sich herausstellt, dass der Knochenjäger nach langer Pause wieder in New York unterwegs ist. Beweise dafür hat die junge Polizistin Amelia Sachs (Arielle Kebbel) gesichert.

Deshalb nimmt Rhyme sie in sein neues Team auf, stattet sie mit Mikro und Kamera aus und lässt Sachs seine Augen und Ohren an Tatorten sein. Und die Beweise, die sie als Duo finden, scheinen tatsächlich darauf hinzudeuten, dass der hochintelligente Psychopath erneut mordet. Was allerdings weder Rhyme noch Sachs ahnen: Die Sache soll bald sehr viel persönlicher werden, als beiden Beamten lieb ist. Denn der Killer schreckt nicht davor zurück, seine Jäger in ihrem eigenen Privatleben zu attackieren. Können Rhyme und Sachs ihn diesmal schnappen?

Lincoln Rhyme: Mogelpackung

Obwohl die Serie nicht schlecht ist, waren die Quoten in den USA mäßig. Ein Grund dafür könnte sein, dass Lincoln Rhyme eine Erwartungshaltung weckt, die die Serie nicht erfüllt. Denn bei zehn Episoden könnte ein Fan darauf hoffen, der Roman werde in epischer Länge umgesetzt. Tatsächlich kommt der Knochenjäger zwar in jeder Folge vor, allerdings nur in wenigen Szenen, die offenbar auf das Finale hinarbeiten. Ansonsten bietet die Serie ab Folge zwei den Fall der Woche, der dann auch gelöst wird, allerdings nicht unbedingt auf die typische Rhyme-Weise.

Denn die sind von neuen Autoren geschrieben und haben mit den weiteren Deaver-Geschichten nichts zu tun. Wer sich also als Fan der Romane auf eine adäquate Umsetzung gefreut hat, dürfte enttäuscht sein. Nicht-Leser dürften Lincoln Rhyme dagegen mit sehr viel mehr Interesse begegnen, denn die Serie nimmt viele Trends der vergangenen Jahre auf und setzt sie gut um. So dürften beispielsweise „Sherlock“-Fans das Visualisieren von Rhymes Wissen und Gedanken in Bildern durchaus wiedererkennen.

Lincoln Rhyme
Mit der neuen Kollegin Amelia Sachs will Rhyme den Killer nach drei Jahren Pause nun schnappen.

Lincoln Rhyme: Typische Krimi-Kost

Allerdings weist die Serie sonst keine deutlich sichtbaren Unterschiede zu anderen US-Serien ähnlichen Kalibers auf. Die Charaktere erhalten gerade so viel Tiefe und Privatleben, wie es für eine Story nötig ist, ansonsten arbeitet das Autoren-Team mit Stereotypen, die fleißige Krimi-Konsumenten schon häufig gesehen haben. Actionsequenzen wirken mitunter recht lieblos in die Story gewoben und sorgen selten für weitere Erkenntnisse im Fall. Ein wenig über sonstigem Niveau sind hingegen die Schauspieler der Hauptrollen.

Russell Hornsby gibt einen würdigen Denzel Washington-Ersatz ab und spielt die Rolle des verbitterten und oft fast bösartigen Perfektionisten sehr überzeugend. Und Arielle Kebbel findet ebenfalls einen Zugang zur Figur der Amelia Sachs, die sich als gut aussehende Polizistin in einer Männerwelt für das behaupten muss, was sie sein will – eine gute Ermittlerin. Zudem stimmt die Chemie zwischen den beiden, die in späteren Romanen (und vielleicht auch in zukünftigen TV-Staffeln) zum Liebespaar werden. Sie sind das große Plus der Serie – und ein Grund zum Einschalten.

Wenig hilfreich sind die auf 40 Minuten gepressten Fälle, wovon die Auftritte für den Knochenjäger noch abgehen, hingegen für die Spannung. Während in den Romanen winzige Spuren mühsam ausgewartet werden und selten sofort echte Hinweise liefern, geht es in Lincoln Rhyme immer schnell. Ein Mitarbeiter nennt die gefundene Substanz und Rhyme weiß sofort, an welchen Ort in der Stadt dieser Hinweis führt. Wer also eine adäquate Umsetzung des Romans erhofft, wird enttäuscht. Fans der typischen Donnerstags-Serien bei Sat 1 sollten aber einschalten, sie bekommen die lockere Krimikost, die sie mögen.

Fazit:

So richtig überzeugend ist die Umsetzung des ersten Romans der Lincoln Rhyme-Reihe nicht geworden. Was daran liegt, dass die Story nur als übergeordneter Handlungsfaden dient, in den meisten Folgen aber kaum eine Rolle spielt. Dafür ist das Ermittlerteam gut gecastet und harmoniert vor der Kamera ausgezeichnet miteinander, vor allem die beiden Hauptcharaktere. Zwar weisen die Fälle nicht die Raffinesse der Vorlagen auf, dennoch bietet Sat 1 seinen Zuschauern mit diesem Zehnteiler solide Krimikost am Donnerstag.

Lincoln Rhyme startet am 28. Mai 2020 mit einer Doppelfolge ab 20:15 und geht dann immer donnerstags mit einer neuen Folge weiter.

Gesehen: Vier von zehn Episoden.

Die Bestellung einer zweiten Staffel steht momentan (Stand: 26. Mai 2020) noch aus.

Lincoln Rhyme
Den Killer bekommt das Publikum schon nach wenigen Sekunden zu sehen, seine Identität erfährt man erst später.