Netflix mag Weltuntergänge. In den vergangenen Jahren gab es regelmäßig Versionen von unterschiedlichen Ende der Menschheit. Mal war es eine natürliche Katastrophe wie in „How It Ends„, mal griffen seltsame Wesen an und trieben jeden Menschen, der sie ansah, in den Selbstmord („Bird Box„). Oder das Sonnenlicht wurde plötzlich zur tödlichen Bedrohung wie in „Into the Night„. Die neueste Version des Streaming-Dienstes, den Planeten zu entvölkern, passiert mit Anlauf: Die Menschheit ist auf Schlafentzug und dämmert deshalb langsam in den Wahnsinn ab. Mittendrin steckt eine kleine Familie, die um ihr Leben kämpft – und ein ganz besonderes Kind behütet. Kann „Awake“ mit den gelungenen Dystopien von Netflix mithalten?

Die Handlung
Jill (Gina Rodriguez, „Jane the Virgin“) hat kein leichtes Leben. Sie arbeitet bei einer Security-Firma, versucht ihr Leben nach einem Drogenproblem wieder in den Griff zu bekommen. Ihre Kinder Noah (Lucius Hoyos) und Matilda (Ariana Greenblatt) leben bei ihrer Großmutter Doris (Frances Fisher). Und mit ihr hat Jill nicht gerade das beste Verhältnis. Doch das alles spielt von einer Sekunde zur anderen keine Rolle mehr. Denn plötzlich wird sämtliche Energie auf dem Planeten ausgeschaltet, Automotoren funktionieren nicht mehr und es gibt zahlreiche Unfälle. Einer davon schleudert Jills Wagen mit ihr und ihren Kindern darin in einen See. Ein Unfall, den Jill, Noah und Matilda nur knapp überleben. In der Nacht wird dann das ganze Ausmaß des Problems deutlich: Die Menschen können nicht mehr schlafen!
Allerdings gilt das nicht für Matilda. Das kleine Mädchen schläft wie jeden Abend problemlos ein. Als Jill zur Universität zurückkehrt, um für einen Kunden Drogen zu besorgen, trifft sie auf ihre Chefin Murphy (Jennifer Jason Leigh, „Liseys Story“), die siech als Psychiaterin mit dem Problem beschäftigt und in ein besonderes Labor fahren will, um dort zu forschen. Obwohl Jill fürchtet, dass Matilda dort möglicherweise als Versuchskaninchen missbraucht werden könnte, macht sie sich mit ihren beiden Kindern doch auf den Weg dorthin. Getrieben von der Hoffnung, dass ihre Kinder dort zumindest sicher sind, stellt sie sich etlichen Gefahren, die auf dem Weg lauern …
Gute Grundidee
Immer wieder versuchen Filmemacher, das Ende der Welt glaubhaft und bedrohlich darzustellen. Das Problem ist nur, dass nicht jeder von ihnen 100 Millionen Dollar oder mehr bekommt, um dieses Vorhaben umzusetzen. Deshalb ist oftmals inszenatorisches Geschick gefragt, um die globale Katastrophe auch in einem kleineren Rahmen umzusetzen. Regisseur und Drehbuch-Co-Autor Mark Raso hat diese Fähigkeit. In Awake schafft er Momente, die das Potenzial der Bedrohung und den galoppierenden Verfall der Zivilisation eindrücklich zeigen und sich ohne Schwierigkeiten auch in einem größeren Rahmen vorstellen lassen. Und dabei legt Raso eine erstaunliche Phantasie an den Tag. So variiert er geschickt unterschiedliche Gruppen von Verrückten auf dem Weg von Jill und ihren Kindern, die jede für sich dennoch schockieren.
So schafft er eine Atmosphäre, die sich relativ zügig von einer leichten Krise in eine Apokalypse verwandelt, in der buchstäblich nichts mehr sicher ist. Nicht einmal die eigene Wahrnehmung. Denn durch den Schlafentzug stellen sich über kurz oder lang Halluzinationen ein. Ein Punkt, den Raso gekonnt nutzt, um einen besonders gruseligen Moment zu schaffen. Zudem macht der Regisseur und Autor auch nicht den momentan beliebten Fehler, den Grund für all die Vorkommnisse nicht zu erklären und als großes Fragezeichen über den ganzen Film aufrecht zu erhalten. Zwar gibt es auch hier keine minutenlange Aufklärung, aber zumindest liefert Awake mögliche Gründe für die Schlafprobleme der Menschheit.

Viele Stars in kleinen Rollen
Zudem kann Awake mit erstaunlich vielen bekannten Gesichtern in kleinen Rollen aufwarten. Barry Pepper spielt wenige Minuten lang einen Priester. Finn Jones („Iron Fist“) ist als Murphys Assistent zu sehen. Gil Bellows („Ally McBeal“) hat einen kleinen Part als Arzt übernommen. Und Jennifer Jason Leigh ist erneut in einer kleinen aber wichtigen Rolle in einem Genre-Film zu sehen. Alle machen ihre Sache gut, ebenso wie Gina Rodriguez, die als eindeutige Hauptfigur der Story am meisten zu tun hat. Ihre Kampf um das Überleben und die Sicherheit ihrer Kinder wirkt immer glaubwürdig und rührt in mehr als einer Szene an. Leider können ihre jugendlichen Kollegen da nicht ganz mithalten, vor allem Lucius Hoyos als Noah ist alles andere als emotional ansprechend.
Dazu kommt, dass Mark Raso sich nicht so recht für ein Genre entscheiden mag. Das muss kein Problem sein, aber in Awake wechseln sich wirklich gruselige Momente mit Soap-Szenen ab, und diese beiden Genres passen nicht sonderlich gut zusammen. Außerdem kommt das Drehbuch nicht ohne den einen oder anderen Zufall aus und lässt seine Helden mitunter fast unverschämtes Glück haben, was den Realismus der Grundidee ein wenig konterkarikiert. Dennoch muss man dem Film bescheinigen, dass sein Plot die meiste Zeit über sehr effektiv funktioniert und einen düsteren Sci-Fi-Thriller ermöglicht, der in der Menge der Dystopien bei Netflix durchaus positiv heraussticht.

Fazit:
Awake gehört eindeutig zu den besseren Sci-Fi-Katastrophenfilme bei Netflix. Die simple Story funktioniert sehr gut, die Schauspieler liefern zum großen Teil gute Arbeit ab, vor allem Gina Rodriguez als verzweifelte Mutter überzeugt. Regisseur und Co-Autor Mark Raso gelingt es, ein paar unheimliche Momente zu kreieren, obwohl Awake nie den Eindruck macht, ein Horrorfilm sein zu wollen. So richtig festlegen wollte sich Raso aber offensichtlich nicht und dieser Schlingerkurs bringt den Film manchmal ein wenig aus dem Tempo und sorgt für ein paar langweilige Passagen, die nicht nötig gewesen wären. Die gelungenen Momente überwiegen aber bei weitem. Für Fans düsterer Sci-Fi-Storys hat Awake definitiv einiges zu bieten.
Awake startet am 9. Juni 2021 bei Netflix.