Old

Filmkritik: Old

Wohl kaum ein Regisseur ist so umstritten bei Genre-Fans wie M. Night Shyamalan. Der in Indien geborene US-Regisseur hatte seinen Durchbruch 1999 mit seinem Film „The Sixth Sense“. Und gilt seitdem als Synonym für einen heftigen Twist in einem Film. Die liefert er auch – auf Gedeih und Verderb. Und nicht immer goutierte das Publikum seine Ideen, so erntete er für „The Lady in the Water“ und „The Happening“ zum Teil extrem negative Kritiken. Und auch untypische Projekte wie „The Last Airbender“ oder „After Earth“ wurden verrissen. Erst mit dem starken „Split“ meldete sich der Regisseur zurück, erreichte mit dem Nachfolger „Glass“ aber nicht den erhofften Erfolg. Nun kommt „Old“, den Shyamalan nach einer Graphic Novel drehte. Ein starker Film von ihm?

Old
Der Strand-Geheimtipp des Hotels scheint ein Paradies zu sein, doch bald findet der kleine Trent ungewöhnliche Dinge.

Die Handlung

Guy (Gael Garcia Bernal) und Prisca (Vicky Krieps) Cappa kommen mit ihren beiden Kindern Maddox und Trent in einem exklusiven Ferienclub an, wo sie sofort herzlich empfangen werden. Zwar erweisen sich einige Gäste, wie der Arzt Charles (Rufus Sewell) und seine Frau Crystal (Abbey Lee) als ein wenig nervig, aber die Cappas beschließen, sich den Urlaub nicht von anderen vermiesen zu lassen, denn die Stimmung ist schon schlecht genug. Guy und Prisca wollen sich trennen, weil sie einen anderen Mann kennengelernt hat, wissen aber noch nicht, wie sie es den Kindern sagen sollen. Da kommt die Ablenkung, die ein geheimer Strand verspricht, zu dessen Besuch der Hoteldirektor die Familie einlädt, mehr als recht.

Zuerst freuen sich die Gäste, zu denen auch Charles und seine Familie zählen, über die Schönheit des Strandes und das glasklare Wasser der Bucht. Doch schon bald mehren sich die Anzeichen, dass an diesem von einem seltenen Mineralgestein umgebenen Strand nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Zuerst merken es die Kinder, die sich zunehmend unwohl fühlen und über ein großes Hungergefühl klagen. Doch erst als Trent (Alex Wolff) und Maddox (Thomasin McKenzie) innerhalb weniger Stunden von kleinen Kindern zu Teenagern werden, wird das ganze Ausmaß der Situation klar, in der sich die Gäste befinden. Bald gibt es den ersten Toten …

Achterbahn-Qualität

Eines muss man Shyamalan lassen: Wenn er einen Film macht, dann ohne Kompromisse. Auch bei Old hat der Zuschauer an keiner Stelle das Gefühl, hier habe möglicherweise das Studio eingegriffen, um bestimmte Szenen besser verständlich oder harmloser zu machen. Das neueste Werk des Regisseurs ist allerdings, was selten vorkommt, nach einer weitgehend unbekannten Graphic Novel entstanden, so dass es schwer zu beurteilen ist, welche Ideen aus dem Comic und welche von Shyamalan stammen. Interessant wäre das schon deshalb, weil Old in unterschiedlichen Bereichen von höchst unterschiedlicher Qualität ist. Optisch gehört der neue Film beispielsweise zu den Besten, die der Regisseur bislang inszenierte. Kameramann Mike Gioulakis findet für Old ebenso spannende wie manchmal irritierende Perspektiven.

Zudem gelingt es ihm lange, dem Zuschauer genaue Bilder des tatsächlichen Geschehens vorzuenthalten und ihn so relativ lange im Unklaren zu lassen, was sich am Strand eigentlich abspielt. Auf dem Papier hat Shyamalan auch eine beeindruckend menge spannender Schauspieler für sein Projekt gewinnen können, die allerdings einen mitunter sehr undankbaren Job in Old bekommen. Denn sie müssen (zumindest in der deutschen Synchronisation) zum Teil wirklich furchtbar schwache Dialoge von sich geben. Wenn Prisca bei ihren sechsjährigen Sohn, der plötzlich aussieht wie ein Elfjähriger, einen Virus vermutet oder dass er vielleicht etwas Falsches gegessen hat, dann lässt sich das auch mit der Panik einer Mutter nicht mehr ernsthaft erklären, das ist einfach doof.

Old
Bald merken auch die Erwachsenen, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt.

Dialoge ohne Sinn

Immer wieder kommt es zu Gesprächen, bei denen man im Zuschauerraum nur den Kopf schütteln kann, um, nur kurz darauf mit einer sehenswerten Body-Horror-Szene oder einem unerwarteten Ereignis überrascht zu werden – Old ist eine echte Achterbahnfahrt. So sind die Anfangsminuten am Strand durchaus gelungen, wenn er das Publikum zu Komplizen der Protagonisten macht, die sich die Hoffnung teilen, es wird schon nicht so schlimm werden. Nur um die dann sehr effektvoll zunichte zu machen. Auch die Hinweise auf den großen Twist, die Shyamalan eigentlich offensichtlich zeigt und doch so klug versteckt, dass der Zuschauer den einen oder anderen garantiert übersieht, sind gelungen und schüren die Spannung weiter.

Und damit sind wir beim großen Thema jedes Shyamalan-Films: den Twist. Wie eigentlich immer, ist auch der in Old erst einmal Geschmackssache. Denn er hat zwar mit dem Geheimnis der Bucht zu tun, geht aber in eine leicht andere Richtung. Da wird sicher nicht jeder im Saal jubeln. Entscheidend ist aber: In der inneren Logik des Films ist das Ganze sinnvoll, auch wenn Shyamalan immer wieder kurze Szenen in den Film packt, die zumindest an der Glaubwürdigkeit der Story kratzen. Aber der Regisseur hat in seiner Karriere schon deutlich schwächere Twists abgeliefert als diesen hier. Zudem sorgt er damit auch für ein Finale, dass der Zuschauer so garantiert nicht kommen sieht.

Thomasin McKenzie
Die Cappas müssen zusammenhalten, obwohl die Situation vor allem für die Kinder furchtbar ist.

Allerdings stellt man sich bei Ansicht des Films schon die Frage, ob der Twist überhaupt nötig war. Oder ob Shyamalan seinen neuen Film nicht einfach als Essay über die Zeit und das Leben hätte aufsetzen sollen. Vorstellbar wäre das durchaus, dann hätte der Regisseur allerdings deutlich bessere Dialoge schreiben müssen.

Fazit:

M. Night Shyamalan bleibt auch mit Old Geschmackssache. Auf der einen Seite präsentiert er dem Publikum einen toll gefilmten und über weite Strecken spannenden Mystery-Thriller, der auch ein paar harte Momente offenbart. Auf der anderen Seite verschwendet er seine gute Schauspieler-Riege an komplett hohle Dialoge und abenteuerliche Charakter-Entwicklungen. Immerhin gehört der typische Shyamalan-Twist in Old zu den gelungeneren in seiner Karriere. Mögen muss man ihn trotzdem, denn er beantwortet längst nicht alle Fragen, die sich der Zuschauer stellen wird. Nach dem sehr mäßigen Glass kann sich der bald 51-jährige Regisseur aber wieder etwas steigern. Und sein Mut zu sehr unkonventionellen Storys scheint auch ungebrochen. Vielleicht wird ja der nächste Film wieder richtig gut.

Old startet am 29. Juli 2021 in den deutschen Kinos.

Alex Wolff
Panik greift um sich! In wenigen Stunden ist Trent um mindestens zehn Jahre gealtert.