Jake Gyllenhaal
Netflix

Filmkritik: The Guilty

2018 lieferte der dänische Regisseur Gustav Möller mit „The Guilty“ einen der spannendsten Thriller des Jahres ab, obwohl der ganze Film nur in wenigen Räumen einer Polizeistation spielt. Möller, der auch das Drehbuch mitschrieb, inszenierte ein emotional aufwühlendes Kammerspiel, in dem der Zuschauer die meisten Schauspieler gar nicht sieht, sondern nur durchs Telefon hört. Hollywood-Star Jake Gyllenhaal war von Möllers Film so begeistert, dass er sich bereits 2018 die Rechte für ein Remake sicherte. Jetzt produzierte er den Thriller für Netflix und übernahm zusätzlich die Hauptrolle. Kann die US-Version dem großartigen Original (kostenlos bei Prime Video zu sehen) das Wasser reichen? Das verrät die Kritik.

The Guilty
Noch ahnt Officer Joe Baylor nichts davon, aber er steht vor einer Notruf-Schicht, die er nie vergessen wird.

Die Handlung

Der L.A. Cop Joe Baylor (Jake Gyllenhaal) ist wegen eines Vorfalls vom Dienst auf der Straße entbunden, morgen ist seine Anhörung vor Gericht. Solange arbeitet der aufbrausende Cop in der Notfallzentrale. Und hat auch dort Mühe, seine herablassende Sicht auf Anrufer in Not unter Kontrolle zu halten. Dennoch macht ihm die drohende Verhandlung zu schaffen, er hat Probleme mit seiner Atmung und seinem Magen. Doch all das tritt ganz plötzlich zurück, als die junge Emily (Riley Keough) bei ihm anruft. Sofort hört Joe die Verzweiflung der Frau, die ganz offenkundig von ihrem Ex-Freund Henry (Peter Sarsgaard) entführt wurde und nun so tut, als würde sie mit ihrer kleinen Tochter Amy telefonieren statt mit der Polizei.

Joe ist sofort klar, dass hier möglicherweise ein Kapitalverbrechen droht und versucht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Emily zu helfen. Doch das ist einfacher gesagt als getan, denn die Rettungskräfte der Stadt sind im Einsatz gegen einen Waldbrand, der am Stadtrand tobt und einige Wohngebiete bedroht. Und so nutzt Joe seine eigenen Kontakte, fordert von Kollegen und Vorgesetzten Gefallen ein. Dazu forscht er weiter selbst nach den Hintergründen der Entführung und schafft es schließlich, die kleine Amy zu erreichen, die mit ihrem Baby-Bruder Oliver allein zuhause ist. Und langsam dämmert es Joe, dass das Drama noch viel schlimmer ist, als er am Anfang dachte …

Weitgehend baugleiches Remake

Möllers Film verlässt die Räume des Notrufs im Polizeirevier so gut wie nie – und Regisseur Antoine Fuqua tut es dem Dänen gleich. Bis auf wenige Sekunden weicht die Kamera nicht von Jake Gyllenhaals Seite, genau wie es Möller bei seinem Hauptdarsteller Jacob Cedergren tat. Doch Fuqua steht eigentlich für Actionfilme und entsprechend schwer dürfte es ihm gefallen sein, einen Film zu inszenieren, dessen größter Action-Moment im Umwerfen einer Schreibtischlampe besteht. Und diese Schüchternheit sieht man The Guilty im Vergleich zum Original auch an. Obwohl beide Filme sich sehr mit der Hauptrolle beschäftigen, traut sich Möller näher heran, zeigt Einzelheiten des Auges oder zuckende Mundwinkel. So nah schickt Fuqua seinen Kameramann nicht an die Figur. Dafür nähert er sich ihr anders.

Denn Drehbuchautor Nic Pizzolatto, der einst für die erste Staffel von „True Detective“ gefeiert wurde, ist zwar klug genug, die hervorragend funktionierende Story nicht zu ändern. Aber er entschloss sich, Joe Baylors Charakter etwas mehr Hintergrund zu verliehen. So erfährt der Zuschauer von seiner kleinen Tochter, der Trennung von seiner Frau und auch mehr über die Tat, wegen der er keinen Streifendienst mehr machen darf. Das gibt dem Zuschauer zwar mehr Einblicke, verwässert aber die eigentlich Idee des Originals ein wenig. Dort gelingt es Möller, auch mit weniger Informationen die Verbissenheit seines Protagonisten bei dem Versuch, eine junge Frau zu retten, zu zeigen. Und dass, ohne ihn dabei zu einem tragischen Helden zu machen, wie Fuqua und Pizzolatto das tun.

The Guilty
Als eine junge Frau anruft und so tut, als spreche sie mit ihrer kleinen Tochter, springen Joes Instinkte sofort an.

Starker Gyllenhaal

Schauspielerisch hingegen ist gegen die Neuauflage von The Guilty nichts zu sagen. Gyllenhaals Leistung ist der von Cedergren absolut ebenbürtig. Und der Zuschauer leidet entsprechend mit, wenn dem einsamen Cop in der Telefonzentraler das ganze Ausmaß des Falles klar wird, in den er durch einen Anruf geraten ist. Und die deutsche Version kann sich auch gegen die zahlreichen Stars, die im Originalton Sprechrollen haben, ebenfalls sehr gut hören lassen. Obwohl das Publikum Emily nie zu sehen bekommt, geht ihr Schicksal den meisten nahe, hört man ihre Verzweiflung und ihre Angst um sich und ihre Kinder. Das ging wohl auch Pizzolatto so, denn er erlaubt sich eine etwas positivere Schluss-Sequenz als das im dänischen Original der Fall war. Vielleicht hatte er ebenfalls Mitleid mit der armen Emily.

Wenn sich dann nach etwa einer Stunde der Plot langsam zu erkennen gibt, dürfte nicht nur Joe Baylor geschockt sein, sondern auch der Zuschauer. Denn Fuqua inszeniert speziell diesen Moment ähnlich stark wie Kollege Möller vor ihm. Wenn es aber um die Läuterung geht, um die der verzweifelte Cop danach eindringlich kämpft und seine Bemühungen, durch die Rettung Emilys auch seine eigene Seele zu entlasten, dann erreicht das US-Remake nicht ganz die Intensität des dänischen Films. Auch wenn Gyllenhaal hier alles gibt. Der erste Film ist aber in sich düsterer und melancholischer als die immer wieder von Waldbrand-Bildern hell durchflutete US-Version. Ein guter Film ist The Guilty aber auch als Remake geblieben. Entscheiden muss man sich allerdings, welchen man sich nun ansehen will, denn die Pointe funktioniert nur einmal.

The Guilty
Bald nutzt er auch private Kontakte, um Emily vor dem Tod zu bewahren. Aber reichen seine Bemühungen?

Fazit:

Obwohl Regisseur Antoine Fuqua und Autor Nic Pizzolatto ein wenig Story anstricken, bleibt das US-Remake des dänischen Films The Guilty von 2018 weitgehend der Vorlage treu. Das gilt besonders für die Qualität des Schauspiels von Jake Gyllenhaal, der neben der Hauptrolle auch die des Produzenten übernahm. Der Film beweist eindrucksvoll, dass man auch komplett ohne Action einen spannenden Plot erzählen kann, wenn Story und Spiel stimmen. Dass das dänische Original die Nase ein Stück weit vorn hat, kümmert ohnehin nur die Zuschauer, die es gesehen haben – und das sind leider viel zu wenige. Aber auch Gyllenhaals Version ist ein richtig guter Film geworden, den man bedenkenlos empfehlen kann.

The Guilty startet am 1. Oktober 2021 bei Netflix.