Black Phone

Filmkritik: The Black Phone

Als Joe Hill als Joseph Hillstrom King 1972 geboren wurde, ahnte sein Vater Stephen King sicher nicht, dass der Sohn ihm beruflich nacheifern würde. Weil der es aber ohne den großen Namen schaffen wollte, änderte er seinen in Joe Hill und klärte seine wahre Identität erst auf, als er den ersten Vertrag als Schriftsteller in der Tasche hatte. Mittlerweile ist auch die Unterhaltungsindustrie auf Hill aufmerksam geworden und hat einige seiner Arbeiten verfilmt. Dabei waren Ergebnisse wie „Horns“, „NOS4A2“ oder „Locke and Key“ für Netflix nicht unbedingt typisches King-Material, sondern zeigten sehr eigenständige Inhalte, mit denen sich Hill gut von King absetzte. Für den neuen Horrorfilm „Black Phone“ gilt das allerdings nur bedingt. Wie gut ist er geworden? Das klärt die Kritik.

The Black Phone
Finney und seine kleine Schwester Gwen müssen zusammenhaltern, denn sie haben nur sich.

Die Handlung

Wir schreiben das Jahr 1978. Der junge Finney Shaw (Mason Thames) und seine jüngere Schwester Gwen (Madeleine McGraw) leben bei ihrem alkoholkranken Vater (Jeremy Davies) und haben unter ständiger Prügel zu leiden. Auch in der Schule ist Finney ein Außenseiter, der von einer Grippe Jungs regelmäßig gemobbt wird. Weil ausgerechnet der Junge, der Finney gegen die Bande geholfen hat, plötzlich verschwindet, wird Finney hellhörig. Und bald stellt er fest, dass schon länger Kinder aus der armen Gegend Denvers entführt werden und nicht wieder auftauchen. Trotz der Warnungen durch die Polizei und fieberhafter Suche gehen die Entführungen weiter. Eines Tages auf dem Heimweg von der Schule hilft Finney einem Clown, dem etwas heruntergefallen ist – und findet sich in der Gewalt des Entführers (Ethan Hawke) wieder.

Während der sich als echter Psychopath erweist, sucht Finneys Schwester Gwen mit ihren ganz eigenen Möglichkeiten nach ihrem Bruder. Denn das Mädchen hat von ihrer Mutter die Fähigkeit geerbt, im Traum Visionen zu sehen. Dadurch kommt sie dem Entführer immer weiter auf die Spur. Mittlerweile erlebt Finney die Hölle auf Erden. Denn als ein schwarzes Telefon in seiner Kerkerzelle klingelt, obwohl es an keinem Kabel hängt, wird dem Jungen klar, dass hier Geister am Werk sind. Und zwar nicht irgendwelche, sondern die Opfer des Entführers. Um sein Leben zu retten, muss er den toten Jungs in seiner Zelle ganz genau zuhören …

Deutliche King-Vibes

Ein Mädchen mit übersinnlichen Fähigkeiten. Ein Clown, der Kinder jagt. Und ein Vorstadtambiente der 70er Jahre irgendwo in den USA. Nicht wenige würden bei dieser Aufzählung wohl auf den Namen Stephen King kommen. Und damit ist Black Phone die erste Umsetzung einer Joe Hill-Vorlage, die wirklich an den Vater erinnert, statt komplett eigenständig zu sein wie die vorherigen Werke. Aber das muss ja kein Fehler sein – und in diesem Film ist es das auch nicht. Denn besonders die King-Elemente funktionieren gut, allen voran die furios aufspielende Madeleine McGraw als Gwen. Was die bei Drehbeginn vermutlich 12 Jahre alte Schauspielerin hier an Gefühlen in ihr Spiel packt, lohnt alleine schon die Sichtung des Films.

Aber auch Ethan Hawke, der sich nach „Moon Knight“ erneut als Bösewicht präsentiert, spielt seine Rolle stark und sorgt allein durch seine Präsenz in einigen Szenen schon für leichten Schauder. Seine Performance eines Psychopathen enthält nicht nur Spuren von James McAvoys aus „Split„, sondern ist auch unter der Maske noch gruselig. Regisseur Scott Derrickson, der mit Hawke bereits in „Sinister“ zusammengearbeitet hatte, wusste offenbar, was der Schauspieler zur Rolle beitragen würde. Auch wenn vieles an der Figur im Dunkeln bleibt, ist das nach längerer Zeit mal wieder ein Bösewicht, der wirklich unter die Haut geht. Ganz besonders natürlich, weil er ausschließlich Kinder umbringt.

Ethan Hawke
Als der Kindesentführer Finney erwischt, ist das aber nicht nur für Gwen ein Schock.

Emotionaler Horror

Das Schauspieler-Duell, auf das sich Mason Thames einlassen musste, war also kein Pappenstiel. Doch der beim Dreh 13-jährige überzeugt vor allem deshalb, weil er den cleveren und tapferen Finney genauso überzeugend spielt wie den ängstlichen und hilflosen Jungen. Dadurch macht er es dem Publikum fast unmöglich, nicht emotional von Finneys Schicksal berührt zu werden. Und das ist auch das große Plus der Story. Alle Charaktere lösen beim Zuschauer die eine oder andere Emotion aus, weil sie glaubhaft geschrieben und gespielt sind. Das unterscheidet Black Phone massiv von vielen anderen Horrorfilmen, wo dem Publikum die erschreckend dumm agierenden Protagonisten schnell völlig egal sind.

Darauf allein ruht sich Derrickson aber nicht aus, sondern setzt wohl dosiert auch gute Jump-Scares, selbst wenn er es dabei mitunter in der Lautstärke der einsetzenden Musik übertreibt. Und der Regisseur, der auch am Drehbuch mitarbeitete, versteht etwas von Atmosphäre. Langsam aber stetig baut er eine fast greifbare Bedrohung auf, bis die sich schließlich in Finneys Entführung entlädt. Danach greift Derrickson immer wieder auf kurze Terror-Elemente zurück, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Und er spielt gekonnt mit der Erwartungshaltung der Zuschauer, wenn er bestimmte Personen und Orte als etwas gänzlich Anderes zeigt als zuerst angenommen. Von Blumhouse, die Horrorfilme am Stück produzieren, ist Black Phone jedenfalls klar der beste Film dieses Jahr und einer der besten der vergangenen Jahre.

Jeremy Davies
Auch der alkoholkranke Vater der Kinder wird von Finneys Verschwinden aus der Bahn geworfen.

Und der Film macht ebenfalls Appetit darauf, sich etwas eingehender mit dem bestehenden Werk von Joe Hill zu beschäftigen, falls man zu den Leuten gehört, die noch Bücher in die Hand nehmen. Denn filmisch gibt es bei Hill-Adaptionen bislang noch keinen Totalausfall zu beklagen. Mal sehen, welche Produzenten hier demnächst noch zugreifen.

Fazit:

Mit The Black Phone kommt ein Horror-Thriller in die Kinos, der das Thriller-Element stark mit dem Horror-Teil verbindet und so Fans beider Lager etwas zu bieten hat. Dazu gesellen sich durchweg starke Darsteller-Leistungen, wobei die junge Madeleine McGraw ganz besonders herausragt. Aber auch Mason Thames und Ethan Hawke spielen ihre Rollen glänzend. Und so sorgt Hawke dafür, dass der Film einen starken Bösweicht bekommt, der in seiner Unberechenbarkeit und seinem offenkundigen Wahnsinn wirklich Angst macht. Eine Meilenstein des Genres ist The Black Phone sicher nicht, aber eine immer grundsolide, manchmal sogar richtig gute Umsetzung einer spannenden Story.

The Black Phone startet am 23. Juni 2022 in den deutschen Kinos.

Mason Thames
Doch Finney erhält Hilfe von völlig unerwarteter Seite.