Netflix hat schon häufiger bewiesen, dass auch brisante Themen wie Rassismus im Programm des Streamingdienstes eine Heimat finden können. Die neue Mini-Serie „Unbelievable“ beschäftigt sich mit dem Thema Vergewaltigung und beruht auf wahren Ereignissen. Ein Autorenteam aus zwei Frauen und einem Mann hat sich an die Geschichte herangewagt und erzählt die Jagd nach einem Monster in acht Folgen. Geht die Serie mit ihrem Inhalt sensibel genug um? Ist sie spannend? Das klärt die Kritik.
Kaum ein Verbrechen ist filmisch so schwierig umzusetzen wie sexuelle Gewalt gegen Frauen. Was soll man zeigen, um die Schwere das Verbrechens herauszuarbeiten? Was wäre zuviel, weil sich das möglicherweise dann die falschen Leute aus den falschen Gründen ansehen? Der Grat, solche Verbrechen eindringlich, aber nicht voyeuristisch zu zeigen, ist denkbar schmal. Hat die Serie Unbelievable, bei der viele Frauen vor und hinter der Kamera mitgearbeitet haben, das wirklich hinbekommen?

Unbelievable: Die Handlung
2008: In einem kleinen Ort in den mittleren USA wird die junge Marie (Kaitlyn Dever) von einem Unbekannten in ihrer eigenen Wohnung überfallen, gefesselt und stundenlang vergewaltigt. Als die Polizei den Fall aufnimmt und Zeugen befragt, gibt es aber Unstimmigkeiten. Weil Marie aus schwierigen Verhältnissen kommt und schon in Pflegefamilien lebt, seit sie drei Jahre alt ist, gibt es Zweifel an ihrer Aussage. Unter Druck der Polizisten gibt sie zu, sich die Vergewaltigung nur ausgedacht zu haben. Ein jahrelanges Martyrium beginnt.
2011: Als Detective Karen Duval (Merrit Wever, „The Walking Dead“) die Vergewaltigung einer jungen Frau untersucht, hört sie durch bloßen Zufall von einem ähnlichen Fall, an dem in einer anderen Stadt ihre Kollegin Grace Rasmussen (Toni Colette, „Hereditary“) arbeitet. Schnell sind die beiden Frauen sich sicher, dass sie es hier mit einem Serienvergewaltiger zu tun haben. Nach eingehenden Recherchen tauchen weitere Verbrechen auf, die mit dem Täter in Verbindung stehen könnten. Die beiden Frauen verbeißen sich in die Jagd …
Unbelievable: Zwei Storys in einer
Wer meint, hier erotische Phantasien optisch befriedigen zu können, ist falsch. Die Serie zeigt nur Sekundenbruchteile der Tat, die aber völlig ausreichen, sich in die Opfer hineinversetzen zu können. In Unbelievable geht es auch weniger um die eigentliche Tat als vielmehr um zwei andere Themen. Was macht das mit einem Opfer – erst recht, wenn die Umwelt das Verbrechen nicht als solches akzeptiert? Und wie kommt man einen derart gerissenen Täter auf die Schliche, der seine Spuren verwischt wie ein Profi?
Beide Plots bekommen ihren Platz. Marie wird als Opfer gezeigt, dem die Sache danach völlig entgleitet – und die dafür noch ein zweites Mal bestraft wird. Diese Storyline bekommt auch genug Raum, nimmt aber insgesamt deutlich weniger Zeit in Anspruch als die Jagd nach dem Täter, die für die beiden weiblichen Cops immer persönlicher wird, je mehr Fehlschläge und Sackgassen sie überwinden müssen. Diese akribische und zutiefst glaubwürdige Tätersuche ist denn auch das große Highlight von Unbelievable.

Unbelievable: Brillantes Schauspiel
Das Casting ist dabei ebenso stark wie die Leistungen der Schauspielerinnen. Toni Colette brilliert als harte, fast desillusionierte Polizistin, die für die jüngere Karen Duval fast so etwas wie ein Vorbild war, mittlerweile aber kaum noch Emotionen für ihren Job aufbringen kann. Merrit Wever spielt die jüngere Kollegin, die an dem Fall emotional zu zerbrechen droht, mit einer feinen Mischung aus Stärke und Trotz. Das führt dazu, dass man beim Zusehen meint, Karen gut zu kennen, obwohl man sie erst ein paar Minuten beobachtet.
Am stärksten sind die Autoren der Serie, wenn sie ihre beiden Heldinnen sich in privaten Gesprächen langsam einander annähern, ohne deshalb dicke Freundinnen zu werden. Die Authentizität und Glaubhaftigkeit, die Wever und Colette ihren Figuren verleihen, machen die Verbrecherjagd trotz mitunter lähmend langsamen Fortschritten der Ermittlungen so sehenswert und packend. Denn der Zuschauer beginnt bald, ebenso wie die beiden Cops, die Enttäuschung über Rückschläge mitzuempfinden – und auf einen Durchbruch zu hoffen.
Ebenso gut gecastet ist Kaitlyn Dever als Opfer Marie. Denn die sieht schon todtraurig und schutzbedürftig aus, wenn sie gut drauf ist. Die Tortur, die sie hier über sich ergehen lassen muss, ist manchmal kaum mit anzusehen, so tief bohren sich ihre hilflosen Blicke in den Bildschirm.
Um Unbelievable schätzen zu können, muss man verstehen, dass hier keine actionorientierte Krimiserie zu sehen ist, sondern eine präzise Studie der akribischen und manchmal nervtötenden Polizeiarbeit, die letztlich aber zum Ziel führen könnte. Daher sind die wenigen Längen in dieser Serie durchaus Absicht, spiegeln sie doch perfekt den Frust und die Enttäuschung der engagierten Ermittlerinnen wider. Weiteres Plus der Serie: Der Umgang der Männer mit dem schwierigen Thema ist in all seinen Facetten ebenfalls sehr glaubhaft.
Fazit:
Mit Unbelievable gelingt Netflix ein True Crime-Stück, das sich vor anderen großen Würfen in diesem Krimi-Genre nicht verstecken muss. Drei tolle Hauptdarstellerinnen tragen die sehr glaubwürdige Geschichte mühelos, die Gespräche zwischen den Detectives sind kleine Edelsteine der Drehbuch-Kunst. Dazu hallt die Art und Weise, wie ihre Umgebung mit dem Opfer Marie umgeht, noch eine Weile nach. Und hinterfragt das System auf schmerzliche, und deshalb umso nötigere Weise. Manches ist hier wirklich Unbelievable (dt. Unglaublich)!
Unbelievable startet am 13. September 2019 bei Netflix.
