Wilde Schlägereien, Saufgelage und bedeutungsloser Sex mit Fremden – das klingt im Krimi nach einem typischen abgewrackten Privatdetektiv. Und das stimmt auch für „Stumptown“, nur das der Privatdetektiv eine Frau ist. Kaum zu glauben eigentlich, dass ausgerechnet diese Serie in den USA vom Sender ABC produziert wird, der zum Disney-Konzern gehört. Hierzulande läuft die Serie jetzt bei Sky. Lohnt es sich nur für Fans der Hauptdarstellerin Cobie Smulders, hier einzuschalten oder ist die Serie auch für andere Zuschauer sehenswert?
Hierzulande kennt den Namen Greg Rucka kaum jemand, der nicht regelmäßig Superhelden-Comics liest. Doch der Amerikaner gehört zu den bekanntesten Comic-Autoren der USA, schreibt seit vielen Jahren vor allem für DC und gilt als besonderes talent, wenn es um Krimi-Plots geht. Im Juli feiert seine eigene Comic-Serie „The Old Guard“ als Netflix-Film Premiere, und Stumptown, die in seiner eigenen Heimatstadt Portland/Oregon angesiedelt ist, wurde vor wenigen Tagen für eine zweite Staffel verlängert – trotz mäßiger Quoten. Ist die Serie besser als ihre Zahlen?
Stumptown: Die Handlung
Dex Parios (Cobie Smulders) ist nach ihrem Einsatz für die Army in Afghanistan nicht mehr ganz sie selbst. Durch ein furchtbares Erlebnis mit PTSD gezeichnet, kann sie keinen geregelten Rhythmus in ihr Leben bringen. Sie säuft, meist in der Bar ihres Kumpels Grey (Jake Johnson), angelt sich Kerle oder Frauen für die Nacht und lebt in den Tag hinein. Nur die Fürsorge für ihren an Down-Syndrom leidenden kleinen Bruder Ansel (Cole Sibus) nimmt sie sehr ernst. Mit Gelegenheitsjobs finanziert sie auch ihre immer wieder ausbrechende Spielsucht.
Eines Tages wird sie im Casino von Mitarbeitern der Besitzerin Sue Lynn (Tantoo Cardinal) aufgelesen und zur Chefin gebracht. Dex und Sue Lynn verbindet eine alte Hassliebe, denn Sue Lynns Sohn Benny war einst Dex‘ große Liebe. Nachdem Bennys Familie die beiden als Teenager auseinander brachte, besann sich Benny als Erwachsener eines besseren, folgte ihr als Soldat nach Afghanistan – und starb dort in ihren Armen. Und nun ist Nina, Bennys Tochter, plötzlich verschwunden. Sue Lynn bittet Dex, sie zu finden – um der alten Zeiten willen …
Stumptown: Eine Detektivin am Rande aller Klischees
Es ist immer gut, wenn man weiß, was man tut. Wie die Macher dieser Serie. Denn Dex Parios ist eigentlich ein wandelndes Klischee – allerdings ein männliches. Schon Ruckas Wahl, aus dem versoffenen, heruntergekommenen Detektiv eine Frau zu machen, zeugt von augenzwinkerndem Witz. Dennoch merkt man dem Stoff jederzeit auch Ruckas Liebe zu den alten Hardboiled-Krimis eines Raymond Chandler oder Dashiell Hammett an. Diese Verehrung versetzt Rucka hier mit genug sarkastischem Humor, um den Spring ins 21. Jahrhundert zu schaffen.
Ältere Zuschauer dürfte Stumptown vor allem an die James Garner-Serie „Detektiv Rockford: Anruf genügt“ erinnern, in der die Ausgangssituation ganz ähnlich war. Rockford lebte in einem Wohnwagen, kümmerte sich um seinen alten Vater und löste Fälle mit Herz und Verstand. Allerdings musste sich das TV in den 70ern in Sachen Alkoholsucht und Gewalt ein wenig mehr zurückhalten als heute. Und so darf Dex eine ganz Ecke kaputter sein als Garner. Da die Serie aber eine Network-Serie ist, gibt es nur Gewalt, aber keinen Sex zu sehen.
Stumptown: One-Woman-Show mit Gästen
Im Gegensatz zu den Zuschauern lieben die Kritiker in den USA die Serie, was ein Grund für die Verlängerung sein mag. Und tatsächlich zeigen bereits die beiden ersten Folgen der Serie, welches Potenzial sie hat. Denn Dex hat nicht nur in jeder Situation einen trockenen Spruch auf den Lippen und kassiert dafür regelmäßig Prügel. Sie fährt auch ein Wunderauto, aus dessen kaputtem Kassettenrekorder stets Hits der 70er und 80er kommen – die wohl längste Kassette der Welt! Dieser Soundtrack bestimmt auch das Tempo der Serie, die flott auf den Punkt kommt.
Dreh- und Angelpunkt dabei ist Cobie Smulders, die ihre Rolle brillant spielt. Als clevere Detektivin, die immer aufs Beste hofft und das Schlimmste annimmt, verkörpert Smulders Dex Parios als gebrochene Frau, die immer wieder lauwarme Versuche startet, sich endlich wieder ein richtiges Leben aufzubauen. Auch ohne Text lässt sie den Zuschauer an ihren Überlegungen teilhaben, Blicke und Gesten reichen ihr dazu völlig. Und so gelingen ihr trotz der stereotypen Vorgaben der Rolle immer wieder Momente, die berühren. Auch durch den guten restlichen Cast.
Dennoch ist die Serie nicht frei von Schwächen, die vor allem dem Network-Hintergrund geschuldet sind. Denn das Motto „Show, don’t Tell“ (also zeig es, statt es zu erzählen) funktioniert unter den strengen moralischen Vorgaben für frei empfangbares Fernsehen in den USA nur sehr eingeschränkt. Und macht Stumpland damit deutlich harmloser, als es der Serie gut tut. Von HBO oder einem anderen Pay-TV-Sender produziert. wäre Cobie Smulders furiose Show vermutlich eine echte Perle für Crime-Fans, so ist sie immerhin recht ansehnlich.
Fazit:
Cobie Smulders als kaputte und sarkastische Privat-Ermittlerin mit mehr Emotion, als gut für sie ist, ist Herz und Seele von Stumpland. Gut geschriebene Fälle und ebenso stimmig geschaffene Nebenfiguren runden den guten Eindruck der ABC-Serie ab. Dem Stoff von Greg Ruckas Comics hätte allerdings eine etwas härtere Gangart bei Sex und Alkohol durchaus gut getan, durch den Network-Sender wird das deutlich weichgespült. Wer ungewöhnliche Ermittler mag und mit dem Spiel der Klischees etwas anfangen kann, sollte dennoch unbedingt mal reinschalten.
Stumpland startet am 19. Mai 2020 bei Sky, immer dienstags mit Doppelfolgen.
Gesehen: Zwei von 18 Episoden.