Im Horror-Bereich hat Netflix zwar mit „Spuk in Hill House“ eine großartige Serie im Programm, bei den eigenproduzierten Filmen finden sich aber noch keine echten Highlights. Nun startet mit „The Perfection“ ein Film über eine Musikerin, um deren geistiger Gesundheit es möglicherweise nicht zum Besten steht. Kann der Horror-Thriller vom erfahrenen TV-Regisseur Richard Shepard („Salem“) die Quote für gute Gruselfilme beim Streaming-Dienst ein wenig anheben?
Ein Mix aus Kunst und Horror. Das hat Netflix vor gar nicht allzu langer Zeit mit „Die Kunst des toten Mannes“ bereits einmal versucht – und nicht wirklich überzeugt. In The Perfection dreht es sich sich aber nicht um bildene Kunst. Sondern um die vollendete Beherrschung eines Musikinstruments – dem Cello. Hauptdarstellerin Allison Williams hat mit „Get Out“ bereits in einem starken Horrorfilm mitgespielt – überzeugt sie auch hier?

The Perfection: Die Handlung
Charlotte (Allison Williams) sitzt am Sterbebett ihrer Mutter, die sie lange Jahre gepflegt hat. Deshalb hat sie als junges Mädchen auch die Elite-Musikschule von Anton (Steven Weber) und Paloma (Alaina Huffman) verlassen, auf der sie ein Stipendium hatte. Nach dem Tod der Mutter nimmt Charlotte wieder mit Anton Kontakt auf und wird schließlich nach Shanghai eingeladen, wo Antons neuer Start, die begnadete Cellistin Lizzie (Logan Browning) einen Musikwettbewerb entscheiden soll. Charlotte wird von ihrer Nachfolgerin gebeten, ebenfalls mitzuentscheiden.
Als die beiden anschließend unter großem Applaus noch ein gemeinsames Konzert geben, entwickelt sich zwischen Charlotte und Lizzie ein Band, das zu einer heißen Nacht führt. Als Lizzie ihre neue Freundin deshalb fragt, ob sie auf den zweiwöchigen Urlaub in China mitkommen möchte, lässt sich Charlotte auch nicht lange bitten. Doch auf der Reise in einem klapprigen Bus kommt es zu einem folgenschweren Zwischenfall. Aber wer trägt die Schuld an dieser Tragödie? Und welche Auswirkungen hat sie auf das weitere Leben der beiden Frauen?
The Perfection: Irreführung als Konzept
Schon der Trailer macht deutlich, dass es sich bei The Perfection keineswegs um einen netten, harmlosen Thriller handelt. Tatsächlich ist der Film brutal und derb, dazu auch noch sehr makaber. Je länger The Perfection geht, desto mehr driftet die Story in äußerst unangenehm anzusehende Gefilde ab. Die erinnert an die Kurzgeschichten des Briten Roald Dahl, die in seinen „Küsschen, Küsschen“-Sammlungen erschienen und den Lesern harmlos beginnende Storys erzählten, die sich im Verlauf zu extrem makabren Twists entwickelten. Und auch an die Werke von Edgar Allan Poe mit seinen moralischen, aber düsteren Storys um Schuld und Strafe.
Allerdings bietet The Perfection mehr als nur einen WTF-Moment in seinen 90 Minuten. Wer also nach 30 Minuten sicher ist, den Kern der Story bereits verstanden zu haben, dürfte von der weiteren Handlung überrascht werden. Ein Manko beim Script, an dem Regisseur Shepard mitschrieb, ist die Glaubwürdigkeit des Plots, über die man sicherlich diskutieren kann. Das tut allerdings der Intensität der Geschichte, die sich mit Kunst, Abhängigkeit, Fanatismus, Wahnsinn und einigen anderen Themen beschäftigt, keinen Abbruch.

The Perfection: Zwei starke Frauen
Das liegt neben dem cleveren Drehbuch auch an den ausgezeichneten Schauspielern. Allison Williams liefert, ähnlich wie in Get Out, eine fast undurchdringlich rätselhafte Performance ab, sodass der Zuschauer bei ihrer Figur sehr lange im Dunkeln tappt. Ist Charlotte wahnsinnig? Ist sie die Heldin? Oder das Monster? Auch Logan Browning als Lizzie, die in ihrem Können und ihrer (gar nicht so echten) Unschuld eine gänzlich andere Ausstrahlung besitzt als Williams, spielt ihre Rolle wunderbar und lässt das Publikum die wohl größten Emotionen durchleiden.
Und auch Steven Weber als scheinbar so freundlicher Kunst-Mäzen, der aber auch seine dunklen Ecken hat, überzeugt in Shepards starkem Ensemble. Gemeinsam liefert dieses Trio ein paar der fiesesten Szenen ab, die Netflix-Filme zu bieten haben. Denn Shepard nutzt die Mittel von Ekeleffekten und Blut nicht oft. Aber wenn er es tut, geht er auch in die Vollen und nimmt wenig Rücksicht auf empfindsame Zuschauer. Hier holt sich The Perfection die korrekte Einsortierung als Horror-Thriller endgültig ab.
Doch auch vor den ersten harten Szenen gelingt es dem Regisseur, durch guten Spannungsaufbau und ein paar gelungene Inszenierungs-Kniffe, eine durch und durch unangenehme und mitunter bedrohliche Atmosphäre zu schaffen, in der dem Zuschauer kaum etwas unmöglich vorkommt. Nur zu tief in die Logik hineindenken, das verträgt der Film nicht. Denn in seiner mit 90 Minuten genau richtigen Länge wird The Perfection immer mehr von einer realistisch anmutenden Story zu einem sehr bösen Märchen. Fans etwas abseitiger Horrorfilme werden das mögen.
Fazit:
Mit The Perfection holt sich Netflix einen Horror-Thriller ins Programm, der schon aufgrund seiner expliziten Bilder nicht jedermanns Sacher sein dürfte. Wer aber an blutigen Szenen und gekonnt gesetzten Twists seinen Spaß hat, der sollte hier unbedingt einmal reinschauen. Das Darsteller-Trio William, Browning und Weber legt jedenfalls eine tolle Leistung an den Tag und sorgt trotz nicht immer glaubhafter Story für gekonnte Schocks und Humor der ganz schwarzen Sorte. Für Horrorfans eine klare Empfehlung!
The Perfection startet am 24. Mai 2019 bei Netflix.
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