Possessor

Filmkritik: Possessor

Der Name David Cronenberg lässt das Herz eines jeden Horrorfilm-Fans höher schlagen. Vor allem in den 70er und 80er Jahren galt der Regisseur und Drehbuchautor Vorreiter moderner Horror-Visionen wie „Parasiten-Mörder“ oder „Die Fliege“ als wichtigster Vertreter des Body-Horrors. Doch auch mit Werken wie „Videodrome“ oder „Existenz“, die Fragen nach Realität und Bewusstsein stellten, fand der kanadische Regisseur bei Fans und Kritikern viel Zustimmung. Nun ist sein Sohn Brandon in die Fußstapfen des Vaters getreten und präsentiert mit „Possessor“ einen Film, der nach Meinung vieler Journalisten auch von seinem Vater hätte stammen können? Ist das so? Und lohnt sich der Kinobesuch?

Possessor
Tasya tötet ihre Opfer, in dem sie per Chip in den Geist anderer eindringt und sie als Waffe benutzt.

Die Handlung

2008 in einer alternativen Realität. In einer von Konzernen regierten Welt ist Tasya Vos (Andrea Riseborough) die talentierteste Killerin einer geheimen Organisation. Die nimmt Mordaufträge für mächtige Personen an, sucht sich Leute in deren Umgebung und setzt ihnen bei einer kurzen Entführung einen Chip im Gehirn ein. Dadurch können sich Killer wie Tasya in deren Körper hochladen und ihn benutzen, um den Job zu erledigen. Nach der Tat löschen sie ihre Spuren durch Selbstmord aus. Doch das Verfahren bleibt nicht ohne Folgen.

Die Wissenschaftlerin Girder (Jennifer Jason Leigh) möchte Tasya deshalb zu ihrer Nachfolgerin als Chef-Organisatorin machen, nachdem die noch einen letzten Job übernommen hat: den Tod des reichen Industriellen John Parse (Sean Bean). Im Körper seines Schwiegersohnes Colin (Christopher Abbott) soll Tasya den Mann erschießen, damit die Organisation über Schattenmänner dessen Konzern übernehmen kann. Doch Colins Bewusstsein liefert Tasya einen Kampf, den niemand gänzlich unbeschadet übersteht …

Sean Bean
Ihr nächstes und potenziell letztes Ziel ist der Konzern-Boss John Parse.

Wie der Vater …

In David Cronenbergs Filmen gibt es häufig keine Helden, sondern bestenfalls Anti-Helden oder tragische Gestalten. Zudem wies der Regisseur immer eine starke Affinität zur Deformierung des  menschlichen Körpers auf. Sohn Brandon scheint vom Werk des Vaters durchaus beeinflusst worden zu sein. Denn in seinem ersten langen Spielfilm „Antiviral“ von 2012 widmet er sich bereits dem Body-Horror und auch Possessor, der sich eigentlich mehr mit dem Bewusstsein als mit dem Körper beschäftigt, weist einige brutale Tötungen auf, nach denen man das Opfer kaum wiedererkennt. Zudem findet sich in Brandons zweiten Film kein einziger Held. Die Charaktere weisen alle Schattierungen von Grau auf, aber einen wirklich guten Menschen sucht man hier vergeblich.

Dafür gelingen Cronenberg, der auch das Drehbuch schrieb, sehr realistische Figuren, was im Kontext des Films sogar wichtiger ist. Die Tochter des schwerreichen Industriellen, die zu ihrem Vater ein schwieriges Verhältnis hat, ist so eine Figur. Der Schwiegersohn, der Parse nicht leiden kann und sich dennoch nicht als Mordwerkzeug missbrauchen lassen will. Und natürlich die Auftragskillern, der allmählich ihre eigenen Emotionen komplett verloren gehen. Das sind stark geschriebene Charaktere, die ebenso gut gespielt werden.

Possessor
Tasyas Organisation hat sich als Killer-Körper Parses Schwiegersohn Colin ausgesucht.

Schauspieler-Horror

Denn Brandon Cronenbergs Film ist ausgezeichnet besetzt. Andrea Riseborough macht in jeder Szene den inneren Kampf deutlich, langsam zur blutrünstigen Tötungsmaschine zu mutieren. Tuppence Middleton spielt die reiche, aber orientierungslose junge Frau mit Bravour und Christopher Abbott, der gleich zwei Bewusstseine auf die Leinwand bringen muss, zeigt ebenfalls eine beeindruckende Performance. Das erzählt Cronenberg mit einer analytischen Kälte, die dem Sci-Fi-Horror-Drama eine ganz eigene Dimension verleiht.

Einerseits wird sich kaum ein Zuschauer mit einer der Figuren identifizieren, andererseits ist Cronenberg in den Auswirkungen der Taten, die die Charaktere begehen, derart drastisch, dass man vor allem das harte Finale nicht so einfach wieder abstreift. Dennoch ist es vor allem die emotionale Kälte des Films, die manchen Zuschauern zu schaffen machen könnte. Wer sich über die Gefühle der Charakter im Film in die Story tasten will, der führt über weite Teile ein karges Dasein. Trotzt etlicher Sex-Szenen und mancher Gespräche bietet Cronenberg meist nur einen Zugang über den Intellekt, aber nicht über den Bauch.

Possessor
Als Colin muss Tasya vermeiden, dass Gattin Ava Verdacht schöpft, etwas könnte nicht stimmen.

Daher werden Possessor weitgehend die Zuschauer feiern, die sich gern über den Verstand auf Filme einlassen und selbst analytisch zusehen, um die Facetten des Films zu entdecken. Die Annäherung über Emotion bleibt aber schwierig. Dass Cronenberg den Verlust der Emotionen seiner Figuren dadurch zeigt, liegt zwar auf der Hand, macht den Zugang nicht leichter. Manch einer wird Possessor daher als ebenso kalt empfinden wie seine Hauptfigur.

Fazit:

Mit Possessor schafft David Cronenbergs Sohn Brandon einen ebenso tiefsinnigen wie kühlen Sci-Fi-Horror, der seine Geschichte in radikalen Bildern erzählt. Im Mittelpunkt steht dabei die Killerin Tasya, deren Weg schon in der ersten Szene vorgezeichnet scheint. Cronenberg streut seine möglichen Erklärungen und Hinweise auf die Bedeutung der Story wie nebenbei ein, sodass aufmerksames Zusehen unabdingbar ist. Für Horrorfans, die sich eher über den Verstand als über den Bauch gruseln wollen, ist Possessor ein Muss. Ein Publikum, das mitfühlen will, könnte der Film aber buchstäblich kalt lassen.

Possessor startet am 1. Juli 2021 in den deutschen Kinos.

Possessor
Bald muss Tasya feststellen, dass Colins Bewusstsein sich gegen den Eindringling wehrt. Kann sie ihren Auftrag dennoch ausführen?