Marin Ireland

Filmkritik: The Dark and the Wicked

Bryan Bertino hat sich dem Erschrecken anderer Menschen verschrieben. Sein Regie- und Drehbuch-Debüt gab er 2008 mit „The Strangers“, einer verstörenden Home Invasion-Story, die Publikum und Kritiker spaltete. Seitdem hat Bertino ausschließlich Horrorfilme produziert, geschrieben oder gedreht, manchmal auch alles zusammen. Wie auch „The Dark and the Wicked“, sein bislang letztes Werk. Bereits im Herbst 2020 startete der Film in den USA – und so gut wie niemand wollte ihn sehen, laut Wikipedia spielte er bislang gerade einmal 400000 Dollar ein. Das kann in Zeiten einer Pandemie viele Gründe haben. Ob es auch an der Qualität liegt, klärt die Kritik.

The Dark and the Wicked
Welches Böse hat sich auf der kleinen Farm der Eltern von Louise und Michael breitgemacht?

Die Handlung

Als die Geschwister Louise (Marin Ireland) und Michael (Michael Abbot Jr.) auf die elterliche Farm irgendwo im Nirgendwo von Texas zurückkehren, um nach dem Rechten zu sehen, erwartet sie ein Schock. Ihrem Vater (Michael Zagst), der unter Demenz leidet, geht es schlechter. Dennoch sind die beiden ihrer Mutter (Julie Oliver-Touchstone) nicht willkommen. Sie teilt ihren Kindern deutlich mit, dass sie nicht hätten herkommen sollen. Aber ist unter der aufbrausenden Fassade der Mutter nicht echte Angst zu spüren? Gibt es auf der Farm etwas, das die Familie zerstören könnte?

Zeit für ein klärendes Gespräch bleibt nicht mehr. Denn am nächsten Morgen finden Louise und Michael ihre Mutter erhängt in der Scheune vor. Zuvor hat sie sich offenbar noch selbst die Hand verstümmelt. Was hat ihre Mutter zu so einer Tat getrieben? Während die Geschwister darüber nachdenken, müssen sie auch eine Entscheidung treffen, was ihren bettlägerigen Vater betrifft, der kaum noch ansprechbar ist. Zwar kommt regelmäßig eine Krankenschwester und sieht nach ihm, aber für einen Platz in einem Heim gibt es momentan keine Chance – und so sind Louise und Michael gezwungen, auf der Farm zu bleiben, obwohl auch sie zunehmend von einer bösen Macht beeinflusst werden …

Atmosphäre statt Blut

Bryan Bertino ist offenbar ein großer Freund davon, die Locations für seine Filme so überschaubar wie möglich zu halten. In The Strangers beschränkte er weite Teile der Handlung auf ein Zimmer, in „The Monster“ reichte ihm ein Auto im Wald. Und auch in The Dark and the Wicked spielt der Löwenanteil der Story im Farmhaus der Familie. Und diese Story protzt auch nicht eben mit vielen Wendungen, sondern beschränkt sich auf die stetig aggressiver werdenden Angriffe des Bösen auf den Verstand der beiden Geschwister. Wer sich jetzt fragt, womit sich Bettino in seinem Film denn dann beschäftigt: Es ist das Aufbauen von Atmosphäre.

Und dafür hat Bertino einige Entscheidungen getroffen, die vor allem die Optik betreffen. The Dark and the Wicked kommt mit sehr wenig Farbe aus, viele Bilder wirken grau, fast wie ausgebleicht. Dazu arbeitet Bertinos Kameramann Tristan Nyby häufig mit natürlichem Licht und grobkörnigem Film, der The Dark and the Wicked einen erdigen, dokumentarischen Look verleiht. Und sich bereits dadurch deutlich von modernen Hochglanz-Horrorformaten  unterscheidet. Auf Jump-Scares verzichtet Bertino weitgehend, lässt das Böse zwar unmissverständlich, aber auch motivlos agieren. Hier geschehen schlimme Dinge, weil es möglich ist, das ist Bertino in seinem Drehbuch genug Grund. Möglichkeiten wie Schuldgefühle, die Eltern zu sehr vernachlässigt zu haben, als Ansatzpunkt zu nutzen, lässt Bertino gezielt links liegen.

The Dark and the Wicked
Die Mutter versucht, ihre Kinder wegzuschicken, doch es ist zu spät. Sie wird das erste Opfer der bösen Macht.

Vorbild Kubrick?

Stattdessen verbeugt er sich mehrfach vor Stanley Kubricks großem Horrorfilm „Shining“, indem er in den Ohren schmerzende Geräusche als Soundtrack nutzt und seine Kapitel mit Wochentagen betitelt. Und damit enden die Parallelen nicht. Hier wir dort arbeitet das Böse mit Trugbildern, versucht es, die Menschen mit kaum zu ertragenden Illusionen in den Wahnsinn oder die Raserei zu treiben. Der übermächtigen Inspiration wird The Dark and the Wicked natürlich nicht gerecht. Aber es wäre auch unfair, Bertino hier einen Kopierversuch zu unterstellen, dazu bringt sein Film genug Eigenständiges mit.

Für sich genommen sind zwar die Schreckensmomente alle nicht neu, Bertino komponiert sie aber mit einem guten Gefühl für Steigerung aneinander und setzt seine wenigen blutigen Schocks gekonnt ein, um aus wenig Handlung ein Maximum an Unbehagen herauszukitzeln. So lässt er seine Protagonisten, auf dessen Seelen es das Böse nun abgesehen hat, völlig wehrlos erscheinen angesichts der diffusen Bedrohung. Die Loyalität zum sterbenden Vater wiegt schwerer als der Selbsterhaltungstrieb und so sitzen Louise und Michael an dem Ort fest, an dem es immer offensichtlicher nicht geheuer ist. Besonders Marin Ireland als ohnehin fragile und schutzbedürftige Frau ist dabei so überzeugend, dass der Zuschauer schnell einen Draht zu ihr findet und ihre Tortur niemanden kalt lässt.

Marin Ireland
Mit schlimmen Trugbildern greift diese Macht den Verstand der Menschen an und treibt sie zu Verzweiflungstaten.

Bertino wird mit seinem neuen Film Fans von blutigem Teenie-Horror sicherlich nicht abholen. Denn seine Schauwerte liegen nur indirekt in den Bildern. Der Regisseur verdichtet vielmehr seine Zutaten wie Licht und Dunkelheit, Geräusche in der Nacht, erschreckende Visionen und ein Gefühl der ständigen Bedrohung zu einem Horrortrip, der direkt auf den Bauch zielt. Wer dafür empfänglich ist, bekommt mit The Dark and the Wicked eine virtuos inszenierte, wenn auch spröde Reise in den Abgrund, die Fragen absichtlich offen lässt.

Fazit:

The Dark and the Wicked ist keinesfalls Horror-Mainstream, auch wenn sich die Inhaltsangabe so lesen mag. Denn Regisseur und Autor Bryan Bertino verzichtet auf vieles, was momentan im angesagten Horror zu sehen ist. Er bietet weder eine wendungsreiche, von Jump-Scares durchsetzte Handlung, noch lässt er übermäßig viel Blut spritzen, was die wenigen Gewaltspitzen deutlich besser zur Geltung bringt. Dafür erzeugt er mit einfachen Mitteln ein stetig wachsendes Gefühl einer Bedrohung, bis sowohl Protagonisten als auch Zuschauer ihren Sinnen nicht mehr trauen. Gorehounds dürfte das zu langeilig sein, wer aber den Horror von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ oder Shining schätzt, der könnte hier auf seine Kosten kommen. Auch wenn Bertino an diese Giganten letztlich nicht heranreicht.

The Dark and the Wicked startet am 14. April 2022 in den deutschen Kinos.

Marin Ireland
Nicht nur Louise ist diesen Illusionen schutzlos ausgeliefert.