No sudden Move

Filmkritik: No Sudden Move

Obwohl Regisseur Steven Soderburgh seine Karriere mit dem Drama „Sex, Lügen und Videotape“ begann und schnell erwartet wurde, dass er weiterhin im Independent-Bereich eher künstlerische Filme machen würde, bekannte sich der inzwischen 58-jährige bald zu Krimis. Und drehte mit der „Ocean’s“-Trilogie einige seiner erfolgreichsten Filme überhaupt. Für seine neuestes Projekt „No Sudden Move“, das in den USA für HBO Max entstand und hier in den Kinos läuft, konnte er wie so oft ein Star-Ensemble verpflichten. Kann die Gangsterstory, die auf wahren Begebenheiten beruht, erneut überzeugen?

No Sudden Move
Ein einfacher, gute bezahlter Job sollte es sein. Ronald und Curtis merken schnell, dass mehr dahintersteckt.

Die Handlung

Detroit 1955. Die Kleinkriminellen Curtis (Don Cheadle), Ronald (Benicio Del Toro) und Charlie (Kieran Culkin) werden angeheuert, um die Familie des Managers Matt Wertz (David Harbour) in ihre Gewalt zu bringen. Dann soll Charlie mit Wertz in dessen Büro bei General Motors fahren. Wo der Manager geheime Unterlagen aus dem Tresor seines Chefs holen soll. Eigentlich ein einfacher Plan. Doch er läuft nicht wie geplant. So finden sich im Tresor keinerlei Unterlagen, Wertz‘ Chef hat sie offenbar mit nach Hause genommen. Aus Angst um seine Familie packt Wertz andere Dokumente in einen Umschlag und gibt sie den Gangstern. Das setzt eine Kette von Ereignissen in Gang, von der die meisten beteiligten Personen auf die eine oder andere Art betroffen sind.

Weil sie bald merken, dass sie nicht alles wissen, was es zu diesem Auftrag zu wissen gibt, kochen Curtis und Ronald schließlich ihr eigenes Süppchen. Ronald hat eine Affäre mit der Frau des mächtigen Gangsterbosses Frank (Ray Liotta) angefangen. Und braucht dringend viel Geld, um mit ihr zu verschwinden. Auch Curtis hat so seine Schwierigkeiten mit der regionalen Gangster-Größe. Und außerdem noch persönliche Rechnungen mit der vorherrschenden Industrie Detroits offen – der Automobil-Branche. Spät wird den beiden klar, auf was für ein Spiel um Macht und Geld sie sich da eigentlich eingelassen haben. Denn mit Detective Joe Finney (Jon Hamm) ist ihnen der Chef der Abteilung Organisiertes Verbrechen auf den Fersen. Und doch machen sich beide keine Vorstellungen, um wieviel Geld es tatsächlich geht …

Vertrackter Plot

In einem typischen Krimi ist oft schnell klar, was vor sich geht. Der Zuschauer begleitet meist den Detektiv bei seiner Arbeit, den Verbrecher zu fassen. Soderberghs Krimis sind in der Regel anders. Sie leben oft davon, dass der Zuschauer bewusst darüber im Dunkeln gelassen wird, was genau sich eigentlich hinter der einen oder anderen Figur verbirgt. So präsentierte er beispielsweise in „Logan Lucky“ eine vermeintliche Hinterwäldler-Familie am Ende als kriminelle Genies und krempelt so einen Teil der Handlung nochmal auf links. Auch in den Ocean-Filmen nutzt er Elemente aus Klassikern wie „Der Clou“. Und löst erst spät auf, wer eigentlich zum Team der Gangster gehört und wer nicht. Ein kräftiger Hauch all dieser Stilmittel und dramaturgischen Kniffe durchweht auch No Sudden Move.

Mit jeder Minute, die im Film vergeht, offenbart sich mehr von der Tragweite, die mit diesem anfangs so harmlos wirkenden Diebstahl von geheimen Dokumenten einhergeht. Weil er seine Protagonisten damit meist im gleichen Moment überrascht wie das Publikum, an manchen Punkten der Handlung dem Zuschauer aber auch einen Wissensvorsprung einräumt, um zu zeigen, in welch großer Gefahr die Helden des Films schweben, zieht Soderbergh die Spannungsschraube gekonnt an. Ein wenig Aufmerksamkeit im Kinosaal erfordert No Sudden Move allerdings, um das Geflecht zu entwirren. Denn mit den kleinen Gangstern, Zwischenmännern, Managern, die eigene Pläne verfolgen und zwei Gangstersyndikaten sind noch immer nicht alle Mitspieler auf dem Spielplan.

No Sudden Move
Denn GM-Manager Wertz kann seinen Teil des Deals nicht einhalten.

Starkes Drehbuch

Erst im großen Showdown in einem Hotel offenbaren sich schließlich alle teilnehmenden Interessensgruppen und auch die Drahtzieher des ganzen Plans. Der dann eine erstaunliche Nähe zu aktuellen Problemen der Welt entwickelt. Ein Lob geht daher an das Drehbuch von Ed Solomon, der eigentlich eher für Komödien („Bill und Ted“-Trilogie, „Drei Engel für Charlie“, „Men in Black“) bekannt ist, mit dem kühlen, aber nicht gänzlich humorlosen Gangster-Plot aber sehr gut zurechtkommt. Vor allem die Dialoge, die Stück für Stück den Kern der Geschichte freilegen, schreibt Solomon auf den Punkt.

Soderbergh inszeniert dieses Script mit der gewohnten Lässigkeit der Ocean-Reihe, unterlegt seine Bilder mit kühlem Jazz und lässt seine Schauspieler möglichst ambivalent agieren, damit das Publikum nach Möglichkeit keinem der Protagonisten so ganz über den Weg traut. Das funktioniert dank seines großartigen Ensembles auch tadellos. Don Cheadle überzeugt als Gangster, der als kleiner Fisch im großen Teich um sein Leben zockt. Benicio del Toro spielt den schmierigen Ronald, der als Rassist und Frauenheld eigentlich nicht sonderlich viele Sympathiepunkte sammelt, so nuanciert, dass dem Zuschauer sein Schicksal zumindest nicht egal ist. Und Ray Liotta darf nach langer Zeit wieder den „Good Fellas“-Vibe verbreiten, wenn er den cholerischen Gangsterboss gibt.

No Sudden Move
Welche Rolle spielt Gangsterbraut Vanessa in der Story?

Letztlich ist No Sudden Move aber bis in kleine Nebenrollen stark besetzt. Und erschafft auch dadurch einen sehenswerten Retro-Look. In dem Soderbergh seine Story stets mit einem leicht spöttischen Lächeln und etwas Abstand zu den Figuren erzählt. Das wird deshalb nicht ganz so emotional, wie die Geschichte hätte sein können. Allerdings dürfte genau das auch die Intention Soderberghs gewesen sein. Denn wirkliche Helden präsentiert der Regisseur hier nicht. Jeder hier trägt Dunkelheit in sich und der Regisseur hält nur zu denen, die wenigstens Prinzipien haben, nach denen sie leben. No Sudden Move wird niemanden, der die Arbeiten des Regisseurs bislang nicht mochte, das Gegenteil beweisen, dazu ist er schlicht zu typisch. Wer den Regisseur hingegen schätzt, kommt bei No Sudden Move auf seine Kosten.

Fazit:

No Sudden Move in in vielerlei Hinsicht ein typischer Film von Regisseur Steven Soderbergh. Wie so oft erzählt er eine eigentlich emotionale Story mit so viel Lässigkeit und Coolness, dass sie eine eigene, kühle Eleganz entwickelt. Und den Zuschauer immer wieder mit neuen Twists überrascht, die aber die Geschichte bereichern, statt nur Mittel zum Zweck zu sein. Die durchgehend starken Schauspieler-Leistungen tragen ebenfalls dazu bei, dass diese Crime-Story ihren Charme entwickelt und gekonnt die Brücke zu heutigen Problemen auf der Welt schlägt. Dabei verwässert Soderbergh die bittere Botschaft des Films nicht. Aber wie es bei einem Regisseur mit eigenem Stil eben so ist – nicht jeder mag ihn. Wer bislang kein Freund des Regisseurs war, wird es mit diesem Film sicher auch nicht.

No Sudden Move startet am 24. Juni 2021 in den deutschen Kinos.

Ray Liotta
Und was genau plant Mafiaboss Frank?