Nachdem Netflix mit der Produktion von zwei Stephen King-Stoffen – „Das Spiel“ und „1922“ – beide Male eine gute Qualität ablieferte, war eine weitere Adaption des Horror-Königs nur eine Frage der Zeit. Diesmal hat der Streaming-Dienst das langjährige Projekt des kanadischen Horrorfachmanns Vicenzo Natali („Cube“) ermöglicht: Im hohen Gras. Die kurze Novelle, die King gemeinsam mit seinem Sohn Joe Hill verfasste, stand schon seit Jahren auf Natalis Wunschliste. Wie gut ist die Verfilmung geworden?
Schon bevor „ES“ zum erfolgreichsten Horrorfilm aller Zeiten wurde, hatte Netflix den erfolgreichen Autor auf dem Zettel. So setzten sie Regisseur Mike Flanagan („Spuk in Hill House“), der bald auch mit der King-Verfilmung „Doctor Sleep“ in die Kinos kommt, auf den Roman „Das Spiel“ an. Vicenzo Natali, der nun Im hohen Gras adaptierte, ist ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt für Horror-Fans, den von ihm stammt der sehr originelle Cube aus dem Jahr 1997 – und auch „Splice“ von 2009. Wie gut ist seine King-Version geworden?
Im hohen Gras: Die Handlung
Die Geschwister Becky (Laysla de Oliveira) und Cal (Avery Whitted) sind mit dem Auto auf dem Weg durch Amerikas Mittelwesten. Becky ist hochschwanger, hat sich aber entschieden, das Kind zu einer wohlhabenden Familie zu bringen, die es adoptieren wollen. Bei einer Pause auf dem Highway, der scheinbar endlos durch ein hohes Grasfeld führt, hören die beiden plötzlich Hilfeschreie eine kleinen Jungen. Kurz darauf ruft eine Frau, sie sollen nicht näherkommen. Ohne zu zögern, gehen die Geschwister dennoch ins hohe Gras, um das Kind zu finden.
Doch schon nach wenigen Metern haben sich Becky und Cal aus den Augen verloren. Bald stellen sie fest, dass die Naturgesetze in diesem Grasfeld offenbar nicht gelten- Obwohl sie sich nicht bewegen, sind sie mal näher aneinander, mal weiter voneinander entfernt. Als es dunkel wird, dämmert den beiden, dass sie in eine tödliche Falle geraten sind, die sie sich nicht erklären können. Da trifft Cal auf den Familienvater Ross (Patrick Wilson), der nach seiner Frau und seinem Sohn Tobin (Will Buje Jr.) sucht. Und scheinbar das Geheimnis des Feldes entschlüsselt hat …
Im hohen Gras: Schwierige Vorlage
Mit der Vorlage hat sich Natali nicht unbedingt eine typische King-Story vorgenommen. Denn die Novelle hat wenig Inhalt und setzt mehr auf eine stetige Steigerung der Angst machenden Ereignisse. Mysteriös und blutig erzählen Vater und Sohn eine Geschichte ohne große Erklärungen oder richtiges Ende. Nicht gerade perfekte Voraussetzungen für einen Film. Somit musste Natali, der auch das Drehbuch für seinen Film schrieb, viel hinzufügen, um eine 100-minütige Story zu erzählen. Das hat nicht unbedingt gut funktioniert.
Denn zunächst setzt Natali durchaus auf die Idee der Autoren, statt vieler Erklärungen einfach ein möglichst unheimliches Szenario zu entwerfen. Die Stimmen aus dem Feld, ein toter Hund, die der Physik trotzenden Effekte innerhalb des Grasfeldes. Das fängt Natali nicht nur in erstaunlich unterschiedlichen Bildern dafür ein, dass letztlich fast alles im hohen Gras spielt. Sondern ihm gelingen in den ersten 30 Minuten auch ein paar Szenen, die echten Horror erzeugen, indem sie dem Zuschauer den Boden unter den Füßen wegziehen.
Im hohen Gras: Neues Material schwächer
Doch nach etwa 30 Minuten geht Natali der Originalstoff aus und er muss mit eigenen Ideen seinen Film auffüllen. Und die sind klar schwächer als das, was die King-Sippe sich überlegt hat. Denn Natali gibt im Lauf seiner Story doch Hinweise und Erklärungen, was nun genau mit diesem Feld aus hohem Gras nicht stimmt. Das ist zwar durchaus originell, aber nicht sonderlich gruselig. Was auch daran liegt, dass Natali seinen Figuren relativ wenig Hintergrund spendiert und sich allein darauf verlässt, dass der Zuschauer immer mitfiebert.
Weil aber die Story nicht unbedingt logischem Verhalten folgt und immer wieder Geschehnisse passieren, die nicht erklärbar sind, funktioniert Im hohen Gras auf emotionaler Ebene nicht durchgehend. Das Interesse an möglicher Aufklärung bleibt zwar, aber je länger der Film dauert, desto klarer wird, dass es so etwas nicht geben wird. Und für 90 Minuten reicht nur Atmosphäre nicht aus, um die Spannung zu halten. Wer überlebt, wer stirbt, das ist nicht nur wenig überraschend, sondern in der zweiten Filmhälfte auch weitgehend egal.
Die außer Wilson weitgehend unbekannten Schauspieler schaffen es auch nicht, an ihren Figuren echtes Interesse zu wecken. So lässt Im hohen Gras kühl, was für einen Horrorfilm kein Qualitätsmerkmal ist. Lediglich die wirklich exquisite Kameraarbeit dürfte auch Cineasten gefallen, der Rest ist zu durchschnittlich, um länger im Gedächtnis zu bleiben. Der dritte Film von Netflix nach einem Werk von Stephen King ist der schwächste.
Fazit:
Interessant und originell, aber für Spielfilmlänge gibt die Vorlage von Stephen King und Sohn Joe Hill nicht genug her. Und Vincenzo Natalis eigene Ideen in seinem Script überzeugen nicht durchgehend, um aus Im hohen Gras einen wirklich spannenden Horrorfilm zu machen. Die Versprechen, die der Film in der ersten halben Stunde gibt, hält er danach nicht ein. Die extrem sehenswerten Bilder, die das Gras zu heimlichen Hauptfigur der Story machen, lohnen aber dennoch das Einschalten.
Im hohen Gras startet am 4. Oktober 2019 bei Netflix.
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