Hinterland
Square One Entertainment

Filmkritik: Hinterland

Stefan Ruzowitzky ist ein österreichischer Regisseur, der 2007 für „Die Fälscher“ den Oscar als Bester fremdsprachiger Film gewann. Seitdem war der Mann weiterhin fleißig, drehte im vergangenen Jahr den starken „Narziss und Goldmund“ nach Hermann Hesse, setzte allerdings die Endzeit-Serie „8 Tage“ für Sky zwei Jahre davor in den Sand. Nun kommt sein neuestes Werk in die Kinos. Mit „Hinterland“, an dessen Drehbuch er auch beteiligt war, macht Ruzowitzky nicht nur inhaltlich einen Ausflug in die Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg, er schnappt sich auch einen ganz speziellen Look aus dieser Epoche. Ob er damit auch einen starken Film abgeliefert hat, verrät die Kritik.

Hinterland
Nach Jahren der Gefangenschaft kehrt Peter Perg aus dem Krieg heim.

Die Handlung

Wien, ein paar Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Der einst als brillanter Ermittler umjubelte Peter Perg (Murathan Muslu) kehrt mit einigen Kameraden aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Wien zurück. Doch der Empfang ist frostig. Keiner möchte mehr an den verlorenen Krieg erinnert werden, der Kaiser hat längst abgedankt, die junge Republik hat mit Kriegshelden nichts am Hut. Viele leben im bitterer Armut und betteln an den Straßen. Doch damit nicht genug. Perg muss feststellen, dass seine Frau mit seiner Tochter die Stadt verlassen hat und nun auf dem Land lebt, er kehrt in eine leere Wohnung zurück. Unschlüssig, wie er nun mit seinem Leben fortfahren will – und ob überhaupt – nimmt ihm schließlich das Schicksal diese Entscheidung ab.

Denn am nächsten Morgen ist einer der Soldaten, mit denen er zurückgekehrt ist, tot. Er wurde gekreuzigt und von 19 Holzpflöcken durchbohrt. Zuerst gerät Perg unter Tatverdacht, doch dann wird er von seinem ehemaligen Kollegen Victor Renner (Marc Limpach) erkannt. Der leitet mittlerweile die Mordkommission und hat neben dem jungen Detektiv Paul Severin (Max von der Groeben) auch die Gerichtsmedizinerin Theresa Körner (Liv Lisa Fries) auf den Fall angesetzt. Eigentlich will Perg nicht wieder zurück in seinen alten Job, doch dann stirbt ein weiterer seiner Kameraden einen grausamen Tod. Und nun sind die Instinkte des Ex-Polizisten endgültig wieder geweckt und er macht sich auf die Jagd nach einem unerbittlichen Killer …

Der vielleicht stärkste Look des Jahres

Obwohl noch ein paar Wochen bis Silvester ins Land gehen, dürfte Hinterland der visuell interessanteste Film des Kinojahres 2021 bleiben. Denn Ruzowitzky verbeugt sich tief vor den Regie-Größen der Weimarer Republik und setzt dem Expressionismus im Stummfilm dieser Zeit ein beeindruckendes Denkmal. Wie „Das Kabinett des Dr. Caligari“ aus dem Jahr 1920 nutzt Ruzowitzky die gesamte Kulisse, um das Innenleben seines gebrochenen Helden sichtbar zu machen. In Hinterland gibt es keinen rechten Winkel und kein grades Bild. Die Kamera steht immer ein wenig schief, sodass der Boden links mit der unteren Ecke abschließt, rechts aber deutlich höher aus dem Sichtfeld verschwindet. Dazu sind alle Häuser und Straßen in sich merkwürdig verdreht und verzerrt, wirken die Fenster wie schreiende Münder.

Wenn es je eine fleischgewordene Version von Edvard Munchs berühmten Gemälde „Der Schrei“ gab, dann ist es Hinterland. Und wenn der Film nichts zu bieten hätte als diese Optik, er wäre das Eintrittsgeld für den Kinobesuch schon wert. Denn diesen unglaublich beeindruckenden Look sollte man unbedingt auf großer Leinwand genießen – je größer, desto besser. Tatsächlich kann Hinterland aber nicht nur optisch überzeugen, auch wenn er letztlich eine eklatante Schwäche aufweist.

Hinterland
Seine Heimatstadt Wien erkennt er kaum wieder – alles wirkt wie aus der Achse geschoben.

Krimihandlung als einzige Schwäche

Und das liegt wie so oft im Drehbuch. Auch hier gibt es starke Momente, gerade zu Beginn, wenn Perg aus einem Alptraum in den nächsten gerät und er sich in seiner Heimatstadt fremd fühlt. Aber ausgerechnet die Thrillerstory um den Serienkiller bekommt das Autoren-Trio nicht in den Griff, verengt den Plot von Minute zu Minute mehr zu einer unglaubwürdigen Story, dessen Finale deshalb auch nicht überzeugt. Zudem erklären die Drehbuchschreiber die gesamte Wiener Mordkommission zu Idioten, weil sie manche offensichtliche Spur nicht erkennen. Das ist auch deshalb so schade, weil die Story auf diese Art in keiner Weise mit der grandiosen Optik zusammenpasst. So ehrenhaft der Versuch der Handlung auch ist, die Bestie Krieg und deren Nachwirkungen zu zeigen, so mäßig ist er geschrieben.

Dass man es dennoch kaum bereut, ins Kino zu gehen, liegt zu einem guten Teil an der Besetzung. Murathan Muslu ist als desillusionierter Kriegsheimkehrer immer präsent und lässt das Publikum in jeder Szene an seiner stummen und doch so tiefen Verzweiflung teilhaben. Und Liv Lisa Fries, deren Figur mit Perg eine originelle Vorgeschichte aufweist, blitzt als Funke der Hoffnung auf ein mögliches besseres Leben immer wieder hell auf und lindert die Düsternis der Stadt zumindest für einen Moment. Lediglich Max von der Groben wirkt in seiner Rolle als hitziger Jung-Polizist hin und wieder überfordert und erinnert leider zu sehr an seine bekannteste Rolle als Trottel in „Fack Ju Göhte“.

Liv Lisa Fries
Gerichtsmedizinerin Körner ist eine Bewunderin Pergs und freut sich über seine Mitarbeit.

Geht es aber nicht um den Killer, so liefern Ruzowitzky und seine Co-Autoren ein spannendes Sitten- und Zeitgemälde der Metropole Wien nach dem Ersten Weltkrieg ab und machen die Melancholie und Trauer, die über der Stadt liegt, fast greifbar. Diese kleinen Szenen, durch die viele der Figuren erst Tiefe und Lebendigkeit erhalten, überzeugen sehr viel mehr. Und beweisen, dass hier Könner am Werk waren, die sich möglicherweise etwas mehr Zeit hätten lassen sollen, bis der Krimi-Plot dem Rest ebenbürtig gewesen wäre. Aber auch mit diesem Manko ist Hinterland noch immer ein cineastischer Genuss. Es hätte ein Meilenstein werden können.

Fazit:

Hinterland ist in erster Linie ein Film, dessen visuelle Brillanz den Zuschauer umhaut. Optisch gehört der düstere Thriller zum besten, was es in diesem Jahr im Kino zu sehen gab. Die Hommage an den Expressionismus in der großen Zeit des deutschen Films während der Weimarer Republik ist atemberaubend morbid-schön. Leider lässt sich das über das Drehbuch nicht sagen. Vor allem der brutale Thrillerplot wandelt sich nach starkem Beginn immer mehr zum Klischee und wirkt letztlich auch nicht sonderlich durchdacht. Das können die Schauspieler auch durch ihre starke Leistung nicht auffangen. Dennoch bleibt Hinterland ein gelungenes Experiment, dass sogar das Zeug zum modernen Klassiker gehabt hätte.

Hinterland startet am 7. Oktober in den deutschen Kinos.

Hinterland
Kann Perg die grausamen Verbrechen aufklären, bevor er selbst den Verstand verliert?