Die Weite der Nacht

Filmkritik: Die Weite der Nacht

Regisseur Andrew Patterson legt mit „Die Weite der Nacht“ jetzt bei Amazon Prime sein Spielfilm-Debüt vor. Gemeinsam mit den Drehbuchautoren Craig W. Sanger und James Montague, beide ebenfalls noch Neulinge in ihrem Job, erzählt Patterson von einer Nacht in einer Kleinstadt in New Mexico in den 50er Jahren. Und verbeugt sich dabei nicht nur tief vor Serien wie „Akte X“ und „The Twilight Zone“, sondern beweist auch ein gutes Gespür für Atmosphäre. Wer sich diesen Film ansehen sollte, klärt die Kritik.

Seit 1947 nach der offiziellen Erklärung der US-Regierung angeblich ein Wetterballon dort abstürzte, gilt Roswell als Mekka der UFO-Jünger aus aller Welt. Der kleine Ort Cayuga ist zwar nicht Roswell, liegt aber inhaltlich nicht weit weg. Denn die Jagd zweier Teenager nach dem Ursprung eines geheimnisvollen Radio-Signals ist ein Sci-Fi-Mystery-Film reinsten Wassers und fühlt sich ein wenig so an, als würde man Scullys und Mulders Vorfahren zusehen. Kann der Film formal und inhaltlich Sci-Fi- und Horror-Fans überzeugen?

Die Weite der Nacht
Everett und Fay entdecken ein geheimnisvolles Signal – wer steckt dahinter?

Die Weite der Nacht: Die Handlung

Er ist schmächtig und trägt eine dicke Brille wie Buddy Holly, dennoch ist Everett (Jake Horowitz) so etwas wie ein Star in der Kleinstadt Cayuga in New Mexico. Denn der junge Mann ist der Radio-DJ der Stadt und damit der Entertainer der kleinen Gemeinde. Auch die 16-jährige Fay (Sierra McCormick), die Telefonistin des Ortes, schwärmt für Everett und fragt ihn beim Basketball-Spiel, dem sportlichen Höhepunkt der Woche, ob er ihr das neue Tonband-Gerät erklären würde, das sich Fay gerade von ihren Ersparnissen gekauft hat.

Als Everett ein seltsames Signal hört und aufnimmt, spielt er es über seinen Sender ab und fragt seine Hörer nach dem möglichen Ursprung. Als sich dann bei Fay in der Telefonzentrale ein Mann namens Billy meldet, der den beiden eine haarsträubende Geschichte erzählt, geraten die Teenager bald in eine Jagd nach einer Macht, die möglicherweise nicht von der Erde stammt. Haben Everett und Fay tatsächlich zufällig den Funkverkehr einer Alienrasse abgefangen? Oder sind die beiden nur einem Schwindel aufgesessen?

Die Weite der Nacht: Vollendete Kamerakunst

Schon der Anfang legt den Kurs des Films fest. Dort sieht der Zuschauer, dass die nachfolgenden Ereignisse eigentlich eine Folge der Serie „Paradox Theater“ sind, eine deutliche Hommage an Rod Serlings Twilight Zone. Das körnige Schwarz-Weiß-Bild weicht dann einem immer noch körnigen Farbbild, das wohl für die 50er Jahre stehen soll, auch wenn Die Weite der Nacht einen authentischen Vintage-Look nicht einfangen kann. Dafür wartet Pattersons erster Langfilm mit anderen Qualitäten auf – und die sind vornehmlich handwerklicher Natur.

Nach etwa 30 Minuten präsentiert der Regisseur seinem Publikum eine minutenlange Plansequenz, in der die Kamera scheinbar schwerelos durch die ganze Kleinstadt fliegt, eine Runde in der vollen Sporthalle dreht und dann wieder in die dunkle Nacht entschwindet. Allein dafür lohnt es sich bereits, den Film zu sehen. Was der chilenische  Kameramann M.I. Littin-Minz hier abliefert, haben weitaus bekanntere Filme nicht besser gemacht. Diese Plansequenz legt auch endgültig den weiteren Kurs des Films fest.

Die Weite der Nacht
Wenig später meldet sich ein Anrufer bei Fay, der Licht in die Sache bringen kann.

Die Weite der Nacht: Mäßiges Drehbuch

Denn der Film hat keineswegs ein grandioses oder auch nur originelles Drehbuch. Was Die Weite der Nacht erzählt, gibt es bereits hundertfach. Und in Sachen Spannung kommt der Film an die Klassiker des Genres wie „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“ auch nicht heran. Die Story vom möglichen Besuch Außerirdischer auf unserem Planeten hat dazu einfach zu wenig Neues zu erzählen. Viel spannender als die Story selbst ist dafür, wie Regisseur Andrew Patterson sie inszeniert. Denn die liebevolle Ausstattung und die Figuren erwecken eine alte Zeit wieder zum Leben.

Mega-Spannung sollten Zuschauer zwar nicht erwarten, das verrät schon die Freigabe ab 12 Jahren. Aber Patterson gelingt es immerhin, in der zweiten Hälfte des Films eine Atmosphäre zunehmender Verunsicherung aufzubauen, die mit einem passenden Finale garniert ist. Wie in einer guten Akte-X-Folge führt ein Hinweis zum nächsten. Und die beiden jungen Alienjäger stürzen sich mit Elan in ihre Aufgabe. Dass die Story annähernd in Echtzeit erzählt wird, hat ebenfalls seinen Reiz – und einen guten Einfluss auf die Spannung.

Dazu fand Patterson auch Schauspieler, die perfekt für ihre Rollen passen. Jake Horowitz spielt den scheinbar coolen Radio-DJ mit einer schönen Mischung aus Neugier und Misstrauen. Und Sierra McCormick ist als stürmischer Teenager mit mitreißendem Schwung ohnehin die eigentliche Heldin des Films. Der Übereifer, mit dem sie jede Sache angeht, ist fast körperlich ansteckend, so sehr geht McCormick in ihrer Rolle auf. Was Die Weite der Nacht an Effekten und packender Story fehlt, macht der Film mit Retro-Charme und gutem Schauspiel wett.

Fazit:

Auch wenn sich manche Kritiker in der Premiere-armen Zeit vor Begeisterung überschlagen, ein Must-See ist Die Weite der Nacht nicht, dazu fehlt dem Film eine wirklich mitreißende und originelle Geschichte. Dafür bietet Regisseur Andrew Patterson in seinem Spielfilm-Debüt tolle Schauspieler, wunderbaren Retro-Charme und einen handwerklich beeindruckend starken Film, der vor allem Fans der frühen Sci-Fi-Anthologien wie Twilight Zone abholt. Wer an sanftem Schauer und liebevoller Hommage seinen Spaß hat, sollte einschalten. 

Die Weite der Nacht läuft ab dem 29. Mai bei Amazon Prime in deutscher Sprache.

Die Weite der Nacht
Während der Rest der Kleinstadt das Basketball-Spiel verfolgt, ermitteln Everett und Fay weiter. Wird das gut gehen?