Der amerikanische Schriftsteller H.P. Lovecraft gehört zu den Begründern der modernen Horror-Literatur. Doch im Vergleich zu Horror-König Stephen King wurden bisher nur wenige Werke Lovecrafts verfilmt – und das meist nicht sonderlich gut. Obwohl also immer wieder von Lovecraft-Einflüssen in erfolgreichen Horrorfilmen die Rede ist, hat sein eigenes Werk bisher kaum Beachtung im Kino gefunden. „Die Farbe aus dem All“ von Regie-Rückkehrer Richard Stanley soll das nun ändern. Kann das passieren?
1990 ging Richard Stanleys Stern mit dem selbst geschriebenen Sci-Fi-Horrorfilm „Hardware“ auf. Die Fans feierten den blutigen Endzeit-Thriller nicht nur für die spannende Story um einen Killer-Roboter, sondern auch für die Mitwirkung von Rock-Größen wie Iggy Pop, Lemmy und Carl McCoy. Nach dem nächsten Film „Dust Devil“ fing Stanley schließlich den scheinbar dicken Fisch. Die Neuverfilmung von „Die Insel des Dr. Moreau“ nach dem Roman von H.G. Wells geriet aber zum Desaster – und Stanley drehte mehr als 20 Jahre keinen Horrorfilm mehr – bis jetzt. Hat es der Südafrikaner immer noch drauf?
Die Farbe aus dem All: Die Handlung
Familie Gardner um Vater Nathan (Nicolas Cage) und Mutter Theresa (Joely Richardson) hat harte Zeiten hinter sich. Nach der Krebs-OP Theresas hat sich die fünfköpfige Familie auf einer Farm in der Nähe der (fiktiven) Stadt Arkham niedergelassen. Tochter Lavinia (Madeleine Arthur) wurde dort zur Wicca-Anhängerin, Bruder Benny (Brendan Meyer) durch den Waldhippie Ezra (Tommy Chong) zum Kiffer. Und der jüngste Sohn Jack (Julian Hillard, „Spuk in Hill House“) ist verstört und spricht meistens nur noch mit dem Familienhund Sam.
Eines Nachts schlägt ein Meteorit direkt neben dem Farmhaus im Vorgarten ein, der bei der Landung ein intensives violettes Leuchten erzeugt. Und nur kurze Zeit später beginnen auf dem Hof der Gardners unheilvolle Veränderungen. Junior Jack spricht mit angeblichen Freunden, die im alten Brunnen leben. Vater Nathan hat seine Gefühle zunehmend nicht mehr unter Kontrolle. Und überall auf dem Gelände wachsen plötzlich völlig unbekannte, violette Pflanzen. Bald scheint die Wahrnehmung bei der ganzen Familie nicht mehr recht zu funktionieren …
Worum geht es bei Lovecraft?
Um zu verstehen, warum es so wenige Lovecraft-Verfilmungen gibt, die bei Kennern des Autors – und Horrorfans allgemein – gut ankommen, muss man sich mit dem eigenbrötlerischen und schwierigen Schriftsteller und seinen bevorzugten Themen befassen. Die Farbe aus dem All, obwohl nicht unbedingt dem Cthulhu-Mythos zuzuordnen, ist wohl die bekannteste Kurzgeschichte des lovecraftschen „Cosmic Horror“. Eine Bedrohung aus den Tiefen des Alls, der die Menschen nichts entgegenzusetzen haben. Schon allein deshalb, weil das Wissen fehlt.
Obwohl Lovecraft den Schrecken selten genau benannte und sich auf Begriffe wie „unsagbares Grauen“ und ähnliches beschränkte, ging es in seinen Geschichten meist um Menschen, die lange vergessenes Übel (Die Großen Alten) entdecken oder sich mit Gefahren aus dem unbekannten Universum auseinandersetzen mussten. In aller Regel ging das für die Protagonisten nicht gut aus, oft endeten die Erzähler oder die Figuren, über die der Erzähler sprach, im Irrenhaus oder auf dem Friedhof. Lovecraft-Storys enden oft tragisch, um zu unterstreichen, wie chancenlos die Menschheit doch letztlich gegen solch überlegenes Grauen wäre.
Die Farbe aus dem All: Eine würdige Verfilmung?
Wenn man diese Maßstäbe an den neuen Film von Richard Stanley anlegt, kann man dem Regisseur bescheinigen, dass er zu den Regisseuren gehört, die Lovecrafts Faszination auf Leser verstanden haben. Denn er bemüht sich in seinem Film nicht nur um eine recht genaue Umsetzung der Handlung, obwohl er sich aus den 1920ern in die Jetztzeit versetzt. Stanley versucht auch, die Emotionen hervorzurufen, die zu einer Lovecraft-Story gehören. Das Unverständnis angesichts einer nicht fassbaren Bedrohung, die Ohnmacht, mit der die Figuren dieser Bedrohung begegnen.Und die Verzweiflung der Protagonisten, wenn sie merken, dass sie dem Grauen nicht entrinnen können.
Zudem tappt Stanley nicht in die Falle, dem Zuschauer zwingend erklären zu müssen, warum die Dinge so geschehen wie sie es tun. Viele andere Versuche, eine Story des Autors zu verfilmen, scheiterten genau daran. Eine spannende Handlung zu erzählen, ohne sie aufzulösen, und das Publikum dennoch nicht zu verärgern, ist aber eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Mit Die Farbe aus dem All nimmt Stanley diese Emotionen auf und gibt sie durch seine Schauspieler ans Publikum weiter. Daher gehört sein Film zu den besten Lovecraft-Umsetzungen bisher.
Die Farbe aus dem All: Ein neues Ding aus einer anderen Welt?
Der Regisseur verzichtet im Gegensatz zu Lovecraft aber nicht auf die eine oder andere derbe Optik. Und macht das auch genau richtig, denn ausschließlich mit Andeutungen ist es schwer, den Terror zu erzeugen, der Stanley offenkundig für sein Werk vorschwebte. Daher bezieht er sich ausdrücklich auf den Klassenprimus des Sci-Fi-Body-Horror schlechthin: John Carpenters „The Thing“ (Neu-Verfilmung kommt!). Wer nun aber gleich mäkeln möchte: Who goes there?, die literarische Vorlage zu The Thing, ist von 1938, Die Farbe aus dem All erschien 1927. Wer hier von wem inspiriert war, sei also mal dahingestellt.
Natürlich kann Stanleys Film mit Carpenters Meisterwerk nicht konkurrieren, aber das will er auch gar nicht. Denn der Body-Horror-Aspekt ist hier nur ein Teil des Grauens. Die biologische und psychische Invasion, die Lovecraft beschrieb, und die Stanley stark umsetzt, ist überall und allgegenwärtig, kein einzelnes Wesen. Und der Angriff der Farbe aus dem All auf den Verstand ihrer Opfer inszeniert Stanley genauso gekonnt wie die physischen Deformierungen, die im Film vorkommen. Und sorgt so für einen Horrorfilm, der auf mehreren Ebenen funktioniert.
Die Farbe aus dem All: Guter Cage, bessere Frauen
Auch schauspielerisch bewegt sich der Film im grundsoliden Bereich. Natürlich richten sich zuerst alle Augen auf Nicolas Cage, auch weil viele Kritiken die Farbe aus dem All mit „Mandy“ vergleichen – wegen des gleichen Produzenten-Teams. Cage spielt den Farmer Nathan zu Beginn sehr zurückgenommen, nur um sich später umso mehr in den Wahnsinnigen zu verwandeln, der sich zwischen katatonischen und cholerischen Phasen hin und her wechselt. Die Frauen laufen ihm allerdings in diesem Film klar den Rang ab.
Joely Richardson ist als frische operierte Krebs-Patientin der Charakter, der die meisten Emotionen auslösen dürfte. Und das liegt neben der Handlung auch an ihrem gutem Spiel, das wirklich zu Herzen geht. Madeleine Arthur ist als Tochter Lavinia nicht nur die heimliche Hauptfigur des Films, sondern spielt die junge Frau, die zwischen Flucht vor dem Grauen und Loyalität zur Familie fast zerrissen wird, mit viel Herzblut. Und der junge Julian Hillard, der in Spuk in Hill House bereits überzeugend agierte, liefert auch hier mehr als ordentlich ab.
Fazit:
Als Lovecraft-Fan kann man Richard Stanley nur gratulieren. Mit sehr genauer Umsetzung der Handlung und des schleichenden Horrors, für den Lovecraft berühmt ist, gelingt dem Regisseur und Drehbuchautor mit Die Farbe aus dem All eine starke Umsetzung einer der beliebtesten Kurzgeschichten des Schriftstellers. Hart, traurig und gut gespielt. Und es kommt noch besser! Gerüchte besagen, dass Stanley eine ganze Trilogie von Lovecraft-Filmen drehen soll, falls Die Farbe aus dem All erfolgreich ist. Als nächste Verfilmung soll dann angeblich „Das Grauen von Dunwich“ adaptiert werden. Angesichts dieses Films kann man da nur sagen: Her damit!
Die Farbe aus dem All startet am 5. März 2020 in den deutschen Kinos.