Anthony Hopkins

Filmkritik: The Father

Er startete spät in Hollywood durch, schaffte erst mit 53 Jahren seinen Durchbruch mit „Das Schweigen der Lämmer“. Der Film brachte ihm aber nicht nur den Oscar ein, sondern katapultierte ihn sofort in die oberste Liga der Schauspiel-Stars: Anthony Hopkins. Der Brite widerstand allerdings vielen Blockbuster-Angeboten und spielte meistens in kleineren, aber für seinen Geschmack offenbar interessanteren Filmen mit. Mit „The Father“ holte der mittlerweile 83-jährige in diesem Jahr seinen zweiten Oscar als bester Hauptdarsteller. Welche Rolle er dort spielt und warum die Auszeichnung absolut verdient ist (auch wenn viele sich den verstorbenen Chadwick Boseman als posthumen Gewinner gewünscht hätten), verrät die Kritik.

Olivia Colman
Anne kümmert sich so gut sie kann um ihren Vater Anthony. Doch sie will umziehen und braucht eine dauerhafte Lösung.

Die Handlung

Anthony (Anthony Hopkins) ist zunehmend verwirrt. Seine Tochter Anne (Olivia Colman) taucht in letzter Zeit häufig in seiner Wohnung auf, auch wenn er sie gar nicht gerufen hat. Sie erklärt ihm, dass sie nach Paris ziehen wolle und für ihn nun eine Pflegerin sucht, die sich um ihn kümmert. Doch Anthony weiß gar nicht, worüber sie sich Sorgen macht, schließlich kommt er allein noch wunderbar zurecht. Und er denkt auch gar nicht daran, aus seiner Wohnung auszuziehen, die er vor vielen Jahre gekauft hat. Dass ab und zu ihm völlig fremde Männer auftauchen und so tun, als würden sie dort wohnen, missfällt ihm aber sehr. 

Als Anne ihm die neue Pflegerin Laura (Imogen Poots) vorstellt, ist Anthony ganz hingerissen von der jungen Frau, erinnert sie ihn doch stark an seine andere Tochter Lucy, von der er leider seit einer Weile nichts mehr gehört hat. Im Gegensatz zu Anne, die ihn oft enttäuscht hat, ist Lucy sein ganzer Stolz. Denn sie ist Malerin geworden und hat ihm für die Wohnung das schöne Bild im Wohnzimmer geschenkt. Doch wenn er sich bei Anne nach ihr erkundigt, bekommt er keine Antwort. Eines Tages muss er feststellen, dass jemand in seiner Wohnung die alten Bilder abgehängt und durch andere ersetzt hat, ohne ihn zu fragen. Das macht ihm Angst. Und sein Martyrium ist noch nicht zu Ende, denn immer häufiger geschehen in seiner Wohnung Dinge, für die er keine Erklärung hat … 

Konsequent subjektiv

Der französische Schriftsteller und Regisseur Florian Zeller schrieb bereits die Vorlage für seinen Film, das Theaterstück „Le pére“ im Jahr 2012. Es läuft bis heute mit großem Erfolg in aller Welt. Nun inszenierte er The Father als Filmregie-Debüt mit Weltstars. Dass es sich bei der Hauptfigur um einen Demenzkranken handelt, dass erkennt der Zuschauer schnell. Auch wenn es erst am Ende explizit erklärt wird. Neuland betritt Zeller auch nicht mit dem Thema, das wurde bereits in Filmen wie „Still Alice“ mit Julianne Moore behandelt. Sondern mit der Art und Weise, wie er die Geschichte erzählt, nämlich konsequent aus der Sicht Anthonys. Und damit bekommt der Zuschauer den wohl unzuverlässigsten Erzähler überhaupt.

Somit muss das Publikum grundsätzlich alles infrage stellen, was der Film behauptet. Schleichend führt Zeller dies Tatsache ein. Denn in den ersten Minuten könnte man Anthony noch für einen zwar etwas ruppigen, aber dennoch kultivierten und gesunden älteren Herrn halten. Aber je länger der Film läuft, desto mehr irreale Situationen prasseln auf Anthony ein. Mal sitzt ein ihm völlig unbekannter Mann (Mark Gatiss) in seinem Wohnzimmer und behauptet, sein Schwiegersohn zu sein. Mal erzählt ihm Anne, dass sie nach Paris zieht, dann wieder, dass sie verheiratet ist und Anthony bei ihr wohnt. Und selbst Anne wechselt hin und wieder das Aussehen und mutiert zu einer Frau, die Anthony noch nie gesehen hat.

The Father
Da trifft es sich gut, dass die neue Pflegerin Laura bei Vater Anthony gut ankommt.

Hopkins ist grandios – und nicht nur er

Das dürfte vor allem für die Zuschauer der blanke Horror sein, die einen solchen Fall aus eigener Erfahrung kennen. Denn Hopkins führt dem Publikum mit seinem ganzen Können als Schauspieler vor Augen, wie furchtbar diese Krankheit für den Betroffenen selbst ist. Denn ein Happy-End gibt es hier ebenso wenig wie einen auch nur irgendwie gearteten positiven oder optimistischen Ausklang. Demenz ist eine grausame Krankheit und The Father macht das brutal deutlich. Und sich derart in das Innere eines Kranken versetzt zu sehen, ist schon für Zuschauer ohne entsprechenden Background kein Zuckerschlecken. Für jemanden, der einen Fall in der Verwandtschaft hat, könnte The Father wirklich beklemmend wirken.

Zeller macht in seiner Inszenierung keinen Hehl daraus, dass er hier ein Theaterstück verfilmt. Es bleibt ein Kammerspiel, in dem kaum einmal eine Figur das Haus verlässt. Alles spielt sich in den immer gleichen Wänden ab, die für Anthony aber nicht gleich bleiben. Und Hopkins spielt den langsamen Verfall und das noch langsamere Realisieren der Tatsache, dass mit ihm etwas nicht stimmt, absolut grandios. Alles, was Betroffene oft mit Erkrankten erleben, die Wut, die Trauer, der Zusammenbruch und die völlige Verzweiflung angesichts eines nicht mehr vorhandenen Lebens in gewohnter Realität, bringt der 83-jährige fast grausam genau auch den Punkt. Und macht aus dem anfangs gar nicht so sympathischen Senioren einen Kranken, mit dem man zutiefst mitleidet.

Rufus Sewell
Schwiegersohn Paul ist im Umgang mit Anthony weniger zimperlich.

Auch der restliche Cast kann sich mehr als sehen lassen. Olivia Colman sieht der Zuschauer ihre tiefe Trauer ob des Zustandes ihres Vaters in jeder Szene an. Rufus Sewell und Mark Gatiss als vermeintlich ruppige Inkarnationen eines Schwiegersohns sind ebenfalls sehenswert. Genau wie Olivia Williams als zweite Anne und Imogen Poots als reale oder nicht reale Pflegerin Laura. All das macht The Father zwar zu einem großartigen Film, der sich zurecht sechs Nominierungen und zwei Oscars holte (neben Hopkins bekam auch Zeller einen Goldjungen für das Beste adaptierte Drehbuch), aber eben nicht zu einem schönen. Für nicht wenige im Publikum dürfte The Father ein ganz realer Horrorfilm sein.

Fazit:

So vermeintlich harmlos, wie The Father beginnt, so erschütternd und deprimierend endet er. Dazwischen sieht das Publikum einem älteren Herrn dabei zu, wie er Schritt für Schritt die Person verliert, die er einmal war. Und zu jemandem wird, der nur noch in rotierenden Erinnerungen existiert, die zum Teil nicht einmal echt sind. Ein Alptraum der realen Sorte, der den Zuschauer ganz ohne Blut und Monster schockiert. Und nach dem man den Drang verspürt, sich mal wieder beim Arzt so richtig durchchecken zu lassen. Auch wenn man es Chadwick Boseman gegönnt hätte, Anthony Hopkins hat sich diesen Oscar mehr als verdient.

The Father startet am 26. August 2021 in den deutschen Kinos.

The Father
Anthony ist verwirrt: Hier hing doch sonst ein anderes Bild!