Tides
Constantin Film

Filmkritik: Tides

Düstere Sci-Fi-Filme sind momentan, abgesehen vom sehnlichst erwarteten „Dune“ nicht wirklich ein großes Thema. Meist sind die Projekte zu teuer oder die Produzenten haben Zweifel, dass das Kinopublikum die mitunter anspruchsvollen Geschichten in Gänze versteht. Zur Erinnerung: „Blade Runner“ war als Kinofilm 1982 ein Flop! Da ist es umso erstaunlicher, dass der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum zehn Jahre nach seinem Langfilm-Debüt „Hell“ eine weitere Chance erhält, so einen Film zu machen. „Tides“ springt allerdings deutlich weiter in die Zukunft als Hell, auch wenn die Prämissen ähnlich sind: Die Menschheit hat die Erde ruiniert. Kann der Film internationale Maßstäbe erfüllen? Das klärt die Kritik.

Tides
Bruchlandung: Den Absturz der Raumkapsel überleben nicht alle im Team.

Die Handlung

Einige Jahrzehnte, nachdem eine globale Katastrophe das Leben auf der Erde weitgehend vernichtet hat, wird eine Astronauten-Crew von der Weltraumkolonie Kepler zur Erde gesandt, um nachzuschauen, ob die Strahlung, die Menschen unfruchtbar machte, inzwischen auf ein erträgliches Maß gesunken ist. Nach einer harten Landung, bei der ein Mitglied der Besatzung stirbt, müssen sich auch die beiden übrig gebliebenen Heimkehrer mit vielen Gefahren herumschlagen. Erste Proben der Umgebung ergeben noch kein schlüssiges Bild, was den Zustand der Erde angeht. Von Gebäuden oder gar Städten ist nichts zu sehen, der ganze Planet scheint aus Sand zu besteht oder von Wasser bedeckt zu sein. Dazu ist es permanent neblig.

Schließlich werden Blake (Nora Arnezeder) und Tucker (Sope Dirisu) von Überlebenden gefangen genommen. Blake soll einem der Männer des Stammes helfen, der eine Verletzung davongetragen hat. offenbar ist sie deshalb noch am Leben. Tucker erliegt kurze Zeit später seinen Verletzungen. Nun muss Blake auf sich allein gestellt versuchen, mit den Einheimischen eine Verständigung zu finden. Doch die sind unerwartet feindselig … 

Die Atmosphäre stimmt

Der Spruch „Aus der Not eine Tugend machen“ trifft durchaus auch auf Filmemacher zu. Denn ein Budget wie Kevin Costner in „Waterworld“ oder James Cameron für „Avatar“, das bekommt ein Tim Fehlbaum natürlich nicht. Und so kann die deutsch-schweizerische Produktion Tides auch keine Zukunftsentwürfe zeigen, die nur mit Millionenausgaben zu stemmen sind. Fehlbaum wählte daher das ewig neblige, sandige Flachland, er drehte unter anderem im Watt vor Hamburg. Und das funktioniert aus zwei Gründen sehr gut. Zum einen ließ es sich mit dem vorhandenen Budget umsetzen. Und zum anderen erzeugt es eine ganz besondere Stimmung, die dem Film sehr gut steht. Denn aus diesem Nebel droht jederzeit Gefahr, dass macht Fehlbaum schon am Anfang deutlich. Und hat ab diesem Moment kein Problem mehr, spannende Szenen zu erzeugen.

Dazu unterstreicht der Nebel auch die Unwissenheit, die Hauptfigur Blake zu Beginn der Geschichte quält. Die alten Infos von der Erde stimmen nicht mehr und sie hat keine Ahnung, was sie auf dem Planeten wirklich erwartet. Somit ist die limitierte Sichtweite gleich doppelt passend. Allerdings zeigt sich im Verlauf des Films auch, dass die Welt, in der die Story angesiedelt ist, hinter dem Nebel nicht viel zu bieten hat. Zwar ist die Geschichte selbst durchaus spannend, eine glaubhafte, lebendige Welt entsteht aber nicht. Dazu bleibt zu vieles im Dunkeln und ist auch zum Teil auch schlicht ein wenig unglaubwürdig.

Nora Arnezeder
Klare Sicht: Für Astronautin Blake auf der ihr unbekannten Erde eher eine Seltenheit.

Zu wenig Risiko

Letztlich riskiert das Drehbuch von Fehlbaum und Mariko Minoguchi auch etwas zu wenig, um restlos zu überzeugen. Denn die Geschichte wird etwa ab der Hälfte doch deutlich vorhersehbarer als zu Beginn. Da spielt Fehlbaum noch die Stärken seines Settings aus. Doch je mehr Licht ins Dunkel kommt, desto mehr merkt der Zuschauer, dass er hier wenig Innovatives zu sehen bekommt. in der Apokalypse nichts Neues, könnte man sagen. Dennoch ist Tides weit entfernt davon, ein schlechter Film zu sein.

Das liegt zu einem guten Teil an Hauptdarstellerin Nora Arnezeder, die Horrorfans zuletzt im Netflix-Schocker „Army of the Dead“ sehen konnten. Ihre toughe Astronautin mit dem gut funktionierenden moralischen Kompass ist der Dreh- und Angelpunkt des Films und sie hält das Interesse des Zuschauers fast mühelos auf ihr. Als zweites bekanntes Gesicht taucht ab der Hälfte Iain Glen auf, den „Game of Thrones“-Fans ebenso gut kennen wie Freunde der „Resident Evil„-Reihe. Leider ist sein Rolle wenig überraschend, was seine Mitwirkung ein wenig schmälert. Doch gerade die Szenen, in denen beide Hauptdarsteller gemeinsam vor der Kamera stehen, gehören zu den intensivsten Momenten des ganzen Films.

Tides
Feindlich: Die Einheimischen behandeln die Neuankömmlinge extrem aggressiv.

Man hätte Tim Fehlbaum ein wenig mehr Mut gewünscht, eine etwas unkonventionellere Story zu erzählen, als er es letztlich getan hat. Was er dem Publikum anbietet, kann sich aber dennoch sehen lassen. Und seine Botschaft, mit der er seinen Film enden lässt, kommt auch an. Wer düstere Sci-Fi mag und sich auf einen etwas anderen Look als die typischen eingefallenen Wolkenkratzer als Zeichen der Apokalypse einlassen kann, fährt mit Tides jedenfalls nicht schlecht.

Fazit:

Eine starke Nora Arnezeder, ein optisch überzeugendes Setting und eine interessante Atmosphäre, das sind die Punkte, mit denen Tides überzeugen kann. Leider hat Regisseur und Co-Autor Tim Fehlbaum optisch deutlich mehr zu bieten als inhaltlich und überrascht dort kaum. Mit einer etwas weniger konventionellen Geschichte hätte der Film sein durchaus vorhandenes Potenzial vielleicht noch besser ausgeschöpft. So reicht es für einen guten Science-Fiction-Film, der in seiner ersten Hälfte aber deutlich stärker ist als in der zweiten. Das wäre umgekehrt besser gewesen.

Tides startet am 26. August 2021 in den deutschen Kinos.

Iain Glen
Aufklärung: Endlich trifft Blake auf jemanden, der ihr mehr über den Zustand der Welt erzählen kann.