Candyman

Filmkritik: Candyman

Bevor der britische Autor Clive Barker in Sachen bahnbrechender Horror in den späten 90ern in der Versenkung verschwand, schuf er einige der interessantesten Horrorfiguren der Dekade. Jeder Fan kennt natürlich die „Hellraiser“-Reihe, die auf Barkers Kurzroman basiert. Aber auch seine Kurzgeschichten-Sammlungen „Die Bücher des Blutes“ gaben Stoff für etliche Filme her. So auch für Bernard Roses „Candyman“ von 1992, wobei Rose als Drehbuchautor etliche Veränderungen an Barkers Vorlage vornahm und den Mythos des Candyman nachträglich erst erfand. Nun hat sich Produzent Jordan Peele („Get Out„, „Wir„) mit der Regisseurin Nia DaCosta an einen weiteren Film gewagt, von dem sich im Vorfeld kaum sagen ließ, ob es ein Remake, eine Fortsetzung oder etwas anderes ist. Die Kritik klärt nicht nur darüber auf. 

Yahya Abdul-Mateen II
Als der junge Maler Anthony auf die Legende des Candyman stößt, fühlt er sich davon inspiriert.

Die Handlung

Der aufstrebende Künstler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II, „The Trial of the Chicago Seven“) ist in einer Schaffenskrise. Zwar hält seine Freundin, die Galeristin Brianna (Teyonah Parris), fest zu ihm. Doch die Kunstkritiker der Stadt warten zunehmend ungeduldig auf neue Werke des Malers. Da hört er die Geschichte eines Mannes, der vor vielen Jahren im Problemviertel Cabrini Green lebte und den Spitznamen Candyman trug. Der Mann hatte eine Hand verloren und war deshalb auf eine Prothese angewiesen. Er schenkte den Kindern des Viertels gern Süßigkeiten, was ihm seinen Namen einbrachte, war aber auch ein wenig unheimlich. Als es zu einer Mordserie an Kindern kam, galt er als Hauptverdächtige. Und wurde bei seiner Verhaftung von weißen Cops zu Tode geprügelt.

Anthony ist bald von der Story fasziniert. Und spürt der Legende in den nunmehr fast verlassenen Gebäuden des alten Wohnviertels für arme Leute nach. Tatsächlich findet er in William Burke (Colman Domingo, „Fear the Walking Dead“) nicht nur einen Zeitzeugen, der damals alles gesehen hat, sondern glaubt auch bald, den Candyman selbst in seinem Kopf hören zu können. Für seine Kunst ist das ein Geschenk. Er beginnt wieder zu malen. Und hat bald eine stattlichen Anzahl Gemälde fertig, die sich mit Cabrini Green und dem Candyman beschäftigen. Aber sein Geisteszustand scheint immer mehr unter der Candyman-Legende zu leiden. Bald stellt Anthony beunruhigende Veränderungen an seinem Körper fest …

Kein Artenschutz fürs Original

Auch wenn die Grundidee von ihm stammt, so verdient Clive Barker an der Qualität des ersten Films keinen großen Anteil. Denn Bernard Rose machte den Candyman erst zum Schwarzen und gab ihm die Hintergrundstory des Malers, der sich in eine Weiße verliebte. Auch Cabrini Green als zentraler Handlungsort war Roses Idee, Barkers Story spielt in England. Allerdings nutzte Rose den Hintergrund der Rassenthematik lediglich als Aufhänger für die Glaubwürdigkeit seiner Story. Als Rassismus-Drama war „Candymans Fluch“, wie der Film auf deutsch hieß, nie geplant. Jordan Peele, der in all seinen Filmen das Thema Rassismus stark fokussiert, nutzt nun Roses Vorarbeit für einen Film, der die Horror-Idee Barkers und Roses in den Hintergrund treten lässt.

In Barkers Story und Roses Film geht es dem Candyman um seine Existenz als Legende. Er fürchtet, in Vergessenheit zu geraten und somit nochmal zu sterben und kann das nicht zulassen. Der finale Twist des Films bestätigt diese Legendenbildung nochmals. Peele und DaCosta machen aus dem Candyman aber einen Rachegeist der Schwarzen, der gegen Rassismus kämpft und dabei schon Jahrhunderte alt ist. Das widerspricht nicht nur der Story des Originals, obwohl sich der neue Candyman eindeutig als Fortsetzung begreift. Es dürfte auch Fans des ersten Films, der mit seinem grandiosen Soundtrack von Philip Glass und einigen sehr gelungenen Spannungssequenzen durchaus ein kleiner Klassiker wurde, vor den Kopf stoßen.

Teyonah Paris
Galeristin Brianna ist zu Beginn noch erfreut über den Kreativschub ihres Freundes.

Starke Inszenierung …

Wer Roses Film mag, dürfte also an dieser Entwicklung des neuen Films nicht unbedingt Gefallen finden. Allerdings ist das auch einer der wenigen Kritikpunkte, die man Peele und DaCosta vorwerfen kann. Denn ihre Version des Candyman ist spannend, deutlich blutiger als das Original und von feinem Witz durchzogen (Kellertür!). Lediglich das Erzähltempo, das von Beginn bis zum Finale stark schwankt und in den letzten 20 Minuten extrem anzieht, ist auch noch ein Punkt, der Kritik verdient. Es wirkt ein wenig so, als hätte DaCosta plötzlich fertig werden müssen. Die bis dahin mitunter ruhige, aber stetige Steigerung der Atmosphäre und der Spannung geht dadurch etwas verloren. Dafür präsentiert sie dem Zuschauer einen wahrhaft blutigen Höhepunkt zum Ende.

Sonst kann sich der neue Candyman aber prächtig sehen lassen. Gerade optisch fällt Nia DaCosta eine Menge ein, um die Story interessant zu erzählen. So zeigt sie einen Mord aus einer höchst ungewöhnlichen Perspektive und lässt grundsätzlich bei den Auftritten des Candyman keine Gnade walten. Diese Härte steht dem Film ebenso gut zu Gesicht wie geschliffene Dialoge um Kunst und Rassismus im heutigen Amerika. Peele und DaCosta, die beide am Drehbuch mitarbeiteten, haben zu diesem Thema erwartungsgemäß einiges zu sagen – und tun das auch. Dennoch bleibt Candyman bei aller Präsenz des Rassen-Themas in erster Linie ein Horrorfilm. Dem es gelingt seinem Monster auch eine tragische Seite zuzugestehen. Und den Film daher emotional sehr viel zugänglicher macht als ein Slasher von der Stange.

… und gut gespielt

Candyman
Doch bald kommt es zu blutigen Morden in der Stadt.

Dazu gehört auch, dass die Rollen des Films stark gespielt sind. Yahya Abdul-Mateen II, der bereits in einigen Film auch mit seiner körperlichen Präsenz punkten konnte, spielt hier die zerrissene Künstler-Seele mit viel Zorn und Verzweiflung und macht so die Faszination, die der Candyman auf ihn ausübt, gut begreifbar. Teyonah Parris, kürzlich als neue Superheldin in „Wandavision“ zu sehen, ist als rationaler Anker der Geschichte wunderbar ironisch und sorgt dafür, dass der Film sich selbst nie zu ernst nimmt. Zusammen sind die beiden auf der Leinwand extrem überzeugend. Und nehmen das Publikum auf verschiedene Reisen mit, die erst nach und nach wieder zusammenlaufen.

Fazit:

Candyman ist ein moderner, stark inszenierter Horrorfilm, der das leider noch immer aktuelle Thema des alltags-Rassismus in den USA in zum Teil rabiaten Bildern an den Pranger stellt. Von Fans des Original-Films müssen sich Produzent und Co-Autor Jordan Peele und Regisseurin und Co-Autorin Nia DaCosta allerdings den Vorwurf gefallen lassen, wichtige Änderungen am Hintergrund der Titelfigur vorgenommen zu haben und die eigentlich Grundidee des Candyman zu ignorieren. Wer den Film aus dem Jahr 1992 allerdings nicht kennt, dem dürfte das ziemlich egal sein. Und der bekommt dann auch einen atmosphärisch dichten und zum Teil sehr blutigen Horrorfilm ohne den leicht schalen Beigeschmack zu vieler Änderungen.

Candyman startet am 26. August 2021 in den deutschen Kinos.

Candyman
Ist der Geist des getöteten Mannes tatsächlich auf Rachefeldzug unterwegs?