Agatha Christie zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen aller Zeiten. Geschätzt wird die Gesamtmenge ihrer verkauften Bücher auf drei bis vier Milliarden Exemplare – eine unglaubliche Zahl. Die Britin erfand mit ihren Krimis auch die heute klassische Komposition von mehreren Verdächtigen, zusammengeführt auf engem Raum, von denen (mindestens) einer der Mörder ist. Das Setting hat sie in zahlreichen Romanen verwendet, die heute auch als Kinoklassiker bekannt sind, wie „Mord im Orient-Express“ oder der bald neu aufgelegte „Tod auf dem Nil“. Was aus diesem Szenario an Comedy herauszuholen ist, ohne den Krimiplot dabei zu vernachlässigen, haben nun die Kreativ-Talente Christopher Miller und Phil Lord („The Lego Movie“, „Spider-Man: A New Universe„) für Apple TV+ mit „The Afterparty“ ausprobiert.
Die Handlung
15 Jahre ist die Schule vorbei, nun steht ein Klassentreffen an. Aniq (Sam Richardson) freut sich darauf, einige seiner Freunde wiederzusehen, unter anderem Jasper (Ben Schwartz), mit dem er während der Schulzeit bereits eng befreundet war. Vor allem aber sehnt er sich nach dem Wiedersehen mit Zoe (Zoe Chao), seiner großen Jugendliebe, die er bis heute nicht vergessen hat. Gut für Aniq: Der Mann, der sie damals erobern konnte, der Schul-Prügler Brett (Ike Barinholtz), ist nicht mehr an ihrer Seite, sie hat mittlerweile die Scheidung eingereicht. Schlecht für ihn: Ausgerechnet Xavier (Dave Franco), der einzige, der es aus dem Jahrgang zu nationaler Berühmtheit als Sänger und Schauspieler gebracht hat, will bei Zoe landen und lässt nichts unversucht. Und auch Brett taucht auf der Party auf und nervt gewaltig.
Als die Location zur Afterparty in Xaviers Strandhaus wechselt, passieren einige seltsame Dinge – und plötzlich liegt Xavier zerschmettert am Fuße des Hangs. Was zu Beginn noch wie ein Unfall wirkt, entpuppt sich schnell als Mord. Und den will die Ermittlerin Danner (Tiffany Haddish) unbedingt aufklären, obwohl sie eigentlich gar nicht zuständig ist. Die Anwesenden sind sich schnell einig, Aniq muss der Killer sein, das Motiv ist klar. Doch nach dessen Aussage ist sich Danner da nicht so sicher. Einer nach dem anderen wird befragt. Und mit jeder neuen Aussage entsteht ein leicht verändertes Bild des komplexen Beziehungsgeflechts innerhalb der Gruppe. Offenbar hat eine 15 Jahre zurückliegende Party mit den Ereignissen des heutigen Abends zu tun …
Mischung aus Crime und Comedy
Wer von The Afterparty ein Gag-Feuerwerk wie bei The Lego Movie oder Spider-Man erwartet, dürfte enttäuscht sein. Denn Miller und Lord, ersterer als Regisseur aller Folgen und Autor einiger dabei, der andere als Autor und ausführender Produzent, vergessen trotz überbordender Kreativität nicht, dass sie hier eine Krimi-Story erzählen, die sinnvoll und nachvollziehbar sein soll. Und deshalb stehen die durchgeknallten Einfälle des Duos auch nicht im Vordergrund. Austoben können sich Miller und Lord dafür in der Erzählweise ihres Plots. Ist Folge eins eine Hommage von John Hughes-Filme wie „Breakfast Club“, geht es mit Folge zwei in den klassischen Comedy-Bereich. Bevor mit Folge drei die Musical-Episode der Mini-Serie fällig ist. Episode sechs ist dann fast komplett als Animation zu sehen.
Und in diesen speziellen Episoden toben sich Miller und Lord dann auch richtig aus und füllen sie mit Ideen, als gelte es, eine Weihnachtsgans zu stopfen. Das lenkt mitunter auch vom eigentlichen Mordfall ein wenig ab, ist aber als Charakterzeichnung und Irreführung fürs Publikum perfekt. Denn Miller und Lord verstehen es ausgezeichnet, mit den Archetypen der Klassen-Dynamik zu spielen. Der schüchterne Nerd Aniq, die liebenswerte Zoe, die beiden nervigen Jennifers, der unsichtbare Walter, der arrogant gewordene Star Xavier, der lügende und prügelnde Brett. Das Kreativ-Team nutzt die Klischees, um sie mal genüsslich zu brechen und mal zu bestätigen. Das verwirrt den mit rätselnden Zuschauer auf höchst amüsante Weise, schlägt allerdings auch ein paar unglaubwürdige Haken zu viel.
Die Perspektive macht den Unterschied
Wenn beispielsweise der trottelige Polizist aus Versehen die Überwachungsbänder löscht, auf denen der Mord zu sehen gewesen wäre, dann muss der Krimi-Fan schon schlucken. Und auch die verschiedenen Erzählungen sind in ihren Abweichungen voneinander teilweise an der Grenze der Glaubwürdigkeit. Dem Spaß am Mitraten tut das aber ebenso wenig Abbruch wie dem Spaß beim Zusehen. Immer wieder bauen die Autoren kurze, perfekt sitzende Pointen ein, einige Running Gags funktionieren ebenfalls sehr gut. Die oftmals nervende Tiffany Haddish nimmt sich in ihrer Rolle als Detektivin zumindest so weit zurück, dass ihre eher laute und schrille Art nicht stört. Und die anderen Darsteller liefern zum Teil großartige Vorstellungen ab.
So ist Sympathieträger Sam Richardson (auch bald in der Horror-Komödie „Werewolves Within“ zu sehen) als vermeintlicher Killer und Ermittler in Personalunion extrem gut im Setzen der Pointen zum richtigen Moment. Dave Franco gibt als alle Klischees erfüllender Star eine tolle Vorstellung. Und Ike Barinholtz wiederholt seine Rolle aus „Der Sex-Pakt“ als eifersüchtige Urgewalt. Miller hält sein Ensemble aber jederzeit im Zaum, um nicht zu übertreiben und auf Kosten eines guten Gags die Handlung zu ruinieren. Das „Whodunit“ steht als klare Nummer Eins auf der Prioritätenliste. Und so ist The Afterparty eben nicht so lustig, wie manche es erwartet hätten, dafür aber spannender als gedacht.
Und wer Freude an verschiedenen Genres und Stilen der Inszenierung hat, kommt hier voll auf seine Kosten. Ob durchgeknallte Musicalnummern oder Psycho-Analyse im Zeichentrick-Format, Miller und Lord machen trotz deutlicher Reduzierung ihrer Ideen-Menge keinen Hehl daraus, wie viel Freude sie am Experimentieren und Verändern haben. Für so viele unterschiedliche Episoden hätte man sonst wohl acht Regisseure gebraucht.
Fazit:
The Afterparty ist nicht die von manchen vielleicht erwartete mega-überdrehte und alberne Krimi-Parodie, sondern eine stets witzige und ungemein einfallsreiche Crime-Mini-Serie, an dessen Auflösung der Zuschauer mindestens ebenso interessiert sein dürfte wie an den vielen kreativen Ideen des Duos Christopher Miller und Phil Lord. Die Schauspieler agieren mit viel Freude an der Grenze zur Parodie, ohne sie zu überschreiten. Die Drehbücher sind pointiert, die Inszenierungen der einzelnen Folgen innovativ. Das erinnert ein wenig an „Only Murders in the Building„, bleibt aber stärker im klassischen Agatha Christie-Modus als Steve Martins und Martin Shorts Serie. Ein großer Spaß für Serienfans mit Sinn für Neues ist diese Crime-Comedy aber in jedem Fall.
The Afterparty startet am 28. Januar 2022 bei Apple TV+.