München

Filmkritik: München – Im Angesicht des Krieges

Der britische Schriftsteller Robert Harris nutzt für seine Roman gerne historische Fakten, um ihnen eine fiktive, aber plausible Handlung hinzuzufügen. Nachdem er seine Karriere mit „Vaterland“ begann, einer Geschichte, die 20 Jahre nach dem Sieg der Nazis im Zweiten Weltkrieg spielt, kehrte Harris immer wieder zu dieser Epoche zurück und schreibe mit „Enigma“ und „München“ weitere Romane über den Krieg und die Zeit davor. Den letzten hat nun der deutsche Regisseur Christian Schwochow („Je Suis Karl“) mit deutschen und britischen Stars für Netflix verfilmt. Ob der Film auch für Nicht-Geschichts-Interessierte spannend ist, verrät die Kritik.

Jeremy Irons
Der britische Premierminister Neville Chamberlain will um jeden Preis den Frieden in Europa erhalten.

Die Handlung

Oxford 1932: Der junge Brite Hugh Legat (George MacKay, „1917„) feiert ausgelassen seinen Abschluss an der Universität mit seinen beiden deutschen Kommilitonen Paul (Jannis Niewöhner) und Leyna (Liv Lisa Fries), die ein Paar sind. Als Hugh seine Freunde einige Zeit später in München besucht, ist Paul ein großer Verehrer von Hitler geworden, während Leyna den Mann für brandgefährlich hält. Es endet im Streit und die Freunde sehen sich sechs Jahre lang nicht mehr.

London 1938: Der britische Premierminister Neville Chamberlain (Jeremy Irons) versucht alles, um einen erneuten Krieg in Europa zu verhindern. Denn Hitlers (Ulrich Matthes) Deutschland will das Sudetenland von der Tschechischen Republik zurück und kündigt deshalb eine Mobilisierung an. Die Tschechen sind aber mit Frankreich verbündet, die wiederum einen Pakt mit Großbritannien haben. Krieg in Tschechien würde halb Europa mit in den Konflikt ziehen. Im letzten Moment kann Chamberlain durch eine Anfrage beim italienischen Diktator Mussolini erreichen, dass die Deutschen ein Treffen akzeptieren, bei dem über die Sudetenland-Frage diskutiert werden soll. Es soll in München stattfinden. Paul ist mittlerweile als Übersetzer für die Regierung in Berlin tätig und hält nichts mehr von den Nazis. Als er ein brisantes Dokument erhält, das die Welt unbedingt sehen muss, lässt er Kontakte spielen, um seinen Freund Hugh, mittlerweile Sekretär Chamberlains, ebenfalls nach München einzuladen …

Geschichte mit Fiktion gemischt

Robert Harris‘ Roman erzählt die fiktive Spionagestory zweier Freunde, die scheinbar auf unterschiedlichen Seiten eines Konflikts stehen, und baut diese Geschichte in die reale Münchner Konferenz 1938 ein. Diesen dramaturgischen Kniff nutzt der Brite nicht zum ersten Mal und schon zuvor wurden seine Stoffe filmisch umgesetzt. Zuletzt tat das Roman Polanaski mit „Intrige“, in der Harris die Dreyfus-Affäre in Frankreich des späten 19. Jahrhunderts als Thema aufgriff. Nun hat also Christian Schwochow sich den „Vorabend des Zweiten Weltkriegs“ von Harris als Stoff für seinen Netflix-Thriller gewählt. Und es gelingt ihm, bei aller Präsenz von Irons als Chamberlain, die Story der beiden Freunde in harten Zeiten in den Mittelpunkt seines Films zu stellen.

Das ist absolut nachvollziehbar. Denn im Gegensatz zu Vaterland, in dem Harris ganz bewusst eine alternative Zukunft beschreibt, soll sich München an die historischen Fakten halten. Und da bleibt für einen Thriller wenig Platz zum Spannungsaufbau. Eine Story über zwei historisch gesehen unwichtige Figuren im Hintergrund bieten mehr Möglichkeiten. Wie die Konferenz damals ausging, wissen Geschichtsinteressierte. Wie die Story von Harris endet, hingegen nicht. Da setzt Schwochow mit seinem Film an. Und hat für seine beiden Hauptrollen richtig gute Schauspieler gewinnen können.

Jannis Niewöhner
Der junge Paul will Hitler zu Fall bringen. Und auf der Konferenz in München seinem alten Freund wichtige Dokumente zeigen.

Stark gespielter Plot

Jannis Niewöhner überzeugt als geläuterter Hitler-Fan Paul, der die emotionalere Rolle der beiden spielen darf. Und das liegt dem knapp 30-jährigen Schauspieler sehr. In vielen Rollen, in denen er Gefühle zeigen durfte, überzeugte er sein Publikum. Und das dürfte auch für München gelten. Die Begegnung mit Chamberlain, der in seinem gesetzten Alter und mit seiner politischen Erfahrung die Dinge gänzlich anders bewertet als die beiden jungen Männer, die vor ihm stehen, ist ein Höhepunkt des Films. Denn sie löst nicht nur ein vermeintliches Happy-End brutal auf. Sondern gewährt auch einen intelligenten Einblick in die Beweggründe von Politkern, Dinge zu tun – oder eben nicht.

George MacKay, der zuletzt in Sam Mendes‘ 1917 glänzte, ist als junger Diplomat ebenfalls überzeugend. Seine Rolle als zurückhaltender Brite, der angesichts des Grauens und der Bedrohung, die Paul ihm zeigt, seine Emotion nicht mehr kontrollieren kann, ist ihm auf den Leib geschneidert. Jeremy Irons sowie August Diel, Sandra Hüller und Liv Lisa Fries in kleinen Rollen runden das positive Gesamtbild der schauspielerischen Leistungen ab. Christian Schwochow inszeniert entsprechend zurückhaltend. Und verlässt sich ganz auf die Gesichter seiner Schauspieler, um den emotionalen Teil der Geschichte zu transportieren. Zwar findet Kameramann Frank Lamm durchweg starke Bilder für den Plot, aber besondere inszenatorische Kniffe schenkt sich Schwochow zurecht. Die Story ist auch so fesselnd genug.

George MacKay
Doch sein Studienfreund Hugh zweifelt daran, dass Pauls Neuigkeiten etwas ändern werden.

Damit liefert der Regisseur nach seiner erfolgreichen Umsetzung von „Deutschstunde“ ein weiteres Kapitel deutscher Geschichte, indem er einen guten Roman entsprechend umsetzt. Er füllt die gut zwei Stunden Laufzeit ohne Längen. Und hält die Spannung, weil das Schicksal der beiden Freunde lange Zeit völlig in der Schwebe hängt und jederzeit ein übles Ende nehmen kann. Weil das immer wieder Thema ist: In der der deutschen Fassung sprechen alle Darsteller deutsch, die englischen Stimmen sind synchronisiert. In der englischen Originalfassung sprechen die Engländer Englisch und die deutschen Figuren deutsch.

Fazit:

Mit der Romanverfilmung München – Im Angesicht des Krieges inszeniert der deutsche Regisseur Christian Schwochow eine im Original englisch-deutschsprachige Geschichte über das Treffen der Staatschefs im Jahr 1938 in München. Und gibt dabei dem fiktiven Teil des Romans, die Aktionen zweier befreundeter junger Männer aus beiden Ländern, die einen Krieg verhindern wollen, breiten Raum zur Entwicklung. Obwohl der Film gar nicht so viel Handlung erzählt, bleibt er auch durch das starke Spiel der Darsteller stets spannend. Vor allem Jannis Niewöhner als aufbrausender Hitler-Gegner tanzt fast den gesamten Film auf der Rasierklinge – und versetzt das Publikum so regelmäßig in Schock. Ein starkes Stück Geschichtsunterricht ohne Längen!

München – Im Angesicht des Krieges startet am 21. Januar 2022 bei Netflix.

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August Diehl
Der eifrige Offizier Franz Sauer ahnt, dass hinter dem Treffen von Paul und Hugh mehr steckt. Gerten die beiden seinetwegen in Lebensgefahr?