Spuk in Hill House

Serienkritik: Spuk in Hill House

Der dritte Versuch steht an! Nachdem Shirley Jacksons Roman „The Haunting of Hill House“ bereits einmal sehr gut und einmal sehr schlecht verfilmt wurde, steht mit „Spuk in Hill House“ nun die dritte Adaption des Stoffes an. Diesmal erzählt der amerikanische Horror-Fachmann Mike Flanagan die Story gleich als zehnteilige Serie für Netflix. Er behält von der Ursprungsgeschichte nur die Grundpfeiler und entkernt den Rest. Ist das gut oder schlecht?

Mike Flanagan hat sich im Lauf der Jahre auch ohne einen absoluten Megahit zu einem der wichtigsten und besten Horror-Regisseure gemausert. Das bewies er zuletzt mit der Stephen King-Verfilmung „Das Spiel“. Und er wird nach Spuk in Hill House auch weiter auf den Spuren des Horror-Königs wandeln – für 2020 steht seine Umsetzung des Romans „Doctor Sleep“ von King an. Doch mit der Serie nach dem Roman, den ausgerechnet Stephen King als eines der gruseligsten und besten Bücher bezeichnete, das er je gelesen habe, hat Flanagan vielleicht schon sein Meisterwerk geschaffen.

Spuk in Hill House
Shirley muss in Hill House prägende Erfahrungen mit dem Tod machen.

Spuk in Hill House: Die Handlung

Die große Familie Crain zieht in Hill House ein, weil Mutter Olivia (Carla Gugino) und Vater Hugh (Henry Thomas) das Anwesen auf Vordermann bringen und dann teuer weiterverkaufen wollen. Für die Kinder Stephen, Shirley (Lulu Wilson, „Annabelle 2“), Theodora (McKenna Grace, „I, Tonya“) und den Zwillingen Luke und Nell beginnen Wochen voller Horror. Denn das alte Gemäuer beherbergt nicht nur viele Geheimnisse, sondern auch einige extrem böse Geister, die besonders den jüngsten Kindern jede Nacht zur Hölle machen …

26 Jahre später sind die Folgen dieser wenigen Wochen noch immer zu spüren – auf ganz unterschiedliche Art. Während Stephen (Michiel Huisman, „Game of Thrones“) mit dem Roman über Hill House eine sehr erfolgreicher Autoren-Karriere startete, ist Luke (Oliver Jackson-Cohen) ein Junkie geworden, der nur mit Drogen die Erinnerungen an seine Kindheit verdrängen kann. Und Nell (Victoria Pedretti) kann ohne Therapie und Medikamente noch immer kaum einen Schritt vor die Tür setzen. Dann geschieht ein schreckliches Unglück, das die Familie zusammen bringt – und alte Wunden wieder aufreißt …

Spuk in Hill House: Realer Horror

Es soll keiner sagen, Mike Flanagan könnte keine gut getimten Jump-Scares setzen! Das kann er und das beweist er auch in dieser Serie einige Male. Aber das ist nicht der Grund, warum Spuk in Hill House eine der besten Serien des Jahres und die vielleicht beste Horrorserie überhaupt ist. Denn Flanagan mischt hier den übernatürlichen Spuk mit realem Horror wie Drogensucht, Kindesmissbrauch und Depressionen. Und schafft so einen weitaus durchdringenderen Grusel als irgendwelche Special-Effects allein das könnten.

Denn Flanagan gelingt mit seiner weitgehenden Neuinterpretation des Originals das Kunststück, so lebendige Figuren zu erschaffen, dass der Zuschauer mit jedem einzelnen mitzittert und leidet, wenn die sich mit der düsteren Vergangenheit in Hill House konfrontiert sehen. Der Regisseur und Autor erreicht das unter anderem durch eine raffinierte Erzählstruktur. In der er nicht nur ständig zwischen der Kindheit und dem Jetzt hin und her springt. Sondern ganze Episoden komplett aus der Sicht einzelner Figuren erzählt.

Spuk in Hill House
Die junge Theo ist durch ihre Besonderheit dem Bösen von Hill House ganz besonders ausgeliefert.

Spuk in Hill House: Brillante Frischzellenkur

So sehen Zuschauer viele Ereignisse mehr als einmal, allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven und damit auch mit ganz unterschiedlicher Wirkung. Wenn wir beispielsweise in Folge 5 erfahren, was sich hinter dem Gespenst, das die kleine Nell seit Jahrzehnten heimsucht, wirklich verbirgt, läuft auch hartgesottenen Horrorfans sicher ein kleiner Schauer über den Rücken. Flanagan blättert in seinem fast zehnstündigen Epos so geschickt ein Geheimnis nach dem anderen auf, dass die Spannung trotz der Länge nie wirklich nachlässt.

Und bleibt dabei doch der Essenz des Originals treu. Denn wie in Jacksons Roman, der mit anderen Figuren und über einen wesentlichen kürzeren Zeitraum die Story erzählt, bleibt häufig offen, ob die Charaktere nun wirklich etwas Übernatürliches erlebt haben oder ob das nur Dinge waren, die in ihrem Kopf stattgefunden haben – aber nicht wirklich real sind. Und wer sich beim Ansehen der Serie zurecht an „Shining“ erinnert fühlt, der sei auf den Anfang des Artikels verwiesen. King liebt Jacksons Roman und hat sich sicher davon inspirieren lassen.

Spuk in Hill House
Können die Crains dem Horror von Hill House jemals entkommen?

Spuk in Hill House: Figuren, die unter die Haut gehen

Neben dem tollen Script kann sich Flanagan aber auch auf seine Schauspieler verlassen. Allen voran Kate Siegel, Flanagans Ehefrau im realen Leben.Sie  spielt die völlig kaputte Theodora mit Bravour, Elizabeth Reaser ist großartig als Shirley und auch die beiden Väter (Timothy Hutton übernimmt von Henry Thomas als älterer Hugh) spielen ihre Rollen sehr sehenswert. Bis in die kleinste Rolle passt hier das Casting auffallend gut. Und sorgt so für Figuren, die dem Zuschauer wirklich unter die Haut gehen.

Am schlimmsten – und damit besten – wird das anhand der Kinderdarsteller sichtbar. Wenn die kleine Nell in ihrem Bettchen vor dem Geist zittert oder Theodora vom Fluch der Familie gegeißelt wird, ist das auch für Erwachsene, besonders für Eltern, eine echte Qual. Dazu gelingt Flanagan der Wechsel von der Vergangenheit in die Gegenwart mit tollen Kamerafahrten und gut gesetzten Schnitten ein ums andere Mal so fließend, dass man aufpassen muss, um ihn nicht zu verpassen.

Spuk in Hill House
Luke ist nach Hill House zum Drogenwrack geworden, das nicht über das Grauen hinwegkommt.

Und so funktioniert Mike Flanagans Mischung aus tieftraurigem Familiendrama und erschreckendem Geisterhorror derart gut, dass man auch im Kino 2018 lange suchen muss, um beeindruckendere Szenen zu finden. Obwohl es inhaltlich kaum Parallelen gibt: Qualitativ kann Spuk in Hill House mit Netflix-Giganten wie „Stranger Things“ mithalten. Eine zweite Staffel wird es wohl trotzdem nicht geben – die Geschichte ist nach zehn Folgen befriedigend zu Ende erzählt.

Fazit:

Mike Flanagan schießt sich mit seiner ersten Serienproduktion sofort in den Olymp der besten Netflix-Serien überhaupt. Derart spannend, traurig und gruselig sind nur wenige Horrorfilme. Und auch Serien wie „American Horror Story“ können in Sachen emotionaler Tiefe mit Spuk in Hill House nicht konkurrieren. Wer Horror mag, kommt an dieser Serie nicht vorbei. Nervenbündel hingegen seien gewarnt: Obwohl Spuk in Hill House ohne Blut auskommt, ist sie verdammt erschreckend!

Spuk in Hill House läuft ab dem 12. Oktober bei Netflix.

Gesehen: alle zehn Folgen

Spuk in Hill House
Nach 26 Jahren liegt Hill House in Trümmern, verlassen ist es dennoch nicht.