Der mexikanische Regisseur und Autor Guillermo del Toro gehört momentan sicher zu den erfolgreichsten und angesehensten Filmemachern in Hollywood. Nach seinem bislang letzten Film „Nightmare Alley“ konnte Netflix del Toro zu einigen Projekten überreden. So wird er im Dezember seine Version des Klassikers „Pinocchio“ als Stop-Motion-Film präsentieren, vorher kommt aber noch „Guillermo del Toros Cabinet of Curiosities“, eine Sammlung von acht Episoden, die als Horror-Anthologie gedacht sind und untereinander keinen Zusammenhang aufweisen. Inszeniert hat der Meister selbst keine davon, lediglich zwei Folgen basieren auf seinen Ideen. Kann sich die Serie dennoch sehen lassen? Das klärt die Kritik.
Die Folgen in der Einzelkritik
Los 36
Kriegsveteran Nick (Tim Blake Nelson) bestreitet seinen Lebensunterhalt damit, auf abgelaufene Lager zu bieten und mit etwas Glück wertvolle Dinge darin zu finden, die er verkaufen kann. Sein neuestes Lager enthält allerdings ganz besondere Dinge, für die sich ein Händler interessiert, der sich mit schwarzer Magie beschäftigt. Nick ist sicher, hier das ganz große Geschäft machen zu können …
Regisseur Guillermo Navarro inszeniert hier eine Kurzgeschichte von del Toro handwerklich sauber, allerdings ohne jegliches Gespür für Spannungsaufbau oder Dramatik. Wer schon ein paar Horrorstorys gesehen hat, der weiß nach fünf Minuten, wie die Sache hier ausgeht. Immerhin ist del Toros Liebe zu H.P. Lovecraft hier in Ansätzen zu sehen. Ein guter Start ist es dennoch nicht.
Friedhofsratten
In Salem, dem Ort der bekannten Hexenverfolgungen, betreibt Friedhofswärter Masson (David Hewlett) in den 1920ern ein lukratives Geschäft – er plündert Leichen aus. Schmuck und Goldzähne sind dabei der Hauptanteil seiner Beute und er kann es kaum erwarten, bis ein jüngst verstorbener, reicher Kaufmann unter der Erde liegt, der ein ganzes Gebiss aus Gold im Mund trägt. Als er nachts das Grab öffnet, sieht er, wie Ratten die Leiche durch ein Loch im Sarg zerren. Wegen immenser Schulden wagt er die Verfolgung …
Auch die zweite Folge ist kein Highlight der Serie, da sie wie eine Blaupause der ersten wirkt und ebenso vorhersehbar bleibt. Eine klassische moralinsaure Story von einem Schurken, dem durch ein größeres Übel als er selbst ist, die gerechte Strafe zukommt. Das gibt esw in hunderten von Variationen, die sich alle kaum voneinander unterscheiden. Regisseur Vincenzo Natali („Cube“, „Im hohen Grass“) bietet zwar ordentlich Creature-Horror und Blut, aber nur wenig Suspense oder Raffinesse. Eine maue Episode.
Die Autopsie
Der alte Sheriff Nate (Glynn Turman) bittet seinen ebenso alten Freund Carl (F. Murray Abraham), einen Gerichtsmediziner, in ein Dorf in der Nähe einer Mine. Dort hat es eine Explosion gegeben, bei der zehn Bergleute starben – und Carl soll den Grund dafür herausfinden. Das gelingt ihm auch, allerdings fällt die Lösung so ganz anders aus, als der alte Mann das erwartet hatte …
Das Highlight der ersten Staffel! nach einer Kurzgeschichte von Michael Shea entfesselt Regisseur David Prior („The Empty man“) hier eine furiose Folge mit fast allem, was der Horrorfan sich nur wünschen kann. Schnell baut sie eine unheimliche Atmosphäre auf, dennoch weiß man selbst nach 30 Minuten noch nicht, worum es eigentlich geht – und die Auflösung haut böse und blutig rein, mit einem brillanten Twist am Ende. F. Murray Abraham, sonst abonniert auf fiese Rollen, glänzt hier als eigenwilliger Held. Die einzige Episode mit Höchstwertung.
Das Äußere
Die unscheinbare Stacy (Kate Micucci) würde so gern auch zum Kreis ihrer Kolleginnen gehören, die sich in jeder freien Minute unterhalten und Spaß miteinander haben. Doch Stacy bleibt außen vor, weil sie zu hässlich ist, wie sie denkt. Als sie auf einer Weihnachtsfeier eine neue Creme bekommt und ihr der Mann in der TV-Werbung (Dan Stevens) ihr versichert, dass diese Creme alle Probleme löst, sind ihr auch die Einwände ihres Gatten Keith (Martin Starr) völlig egal …
Ein Webcomic der Autorin Emily Caroll diente als Vorlage für diese Episode, die von Ana Lily Amipour (A Girl walks Home Alone at Night“) in Szene gesetzt wurde. Dass den Zuschauer hier ein fieses Ende erwartet, ist früh klar, wie das tatsächlich ausfällt, allerdings nicht. Die wohl witzigste Episode der Staffel, wenngleich der Humor natürlich eher dunkel ist. Aufgrund der starken Schauspieler und der guten Inszenierung ist auch diese böse Satire eine bessere Folge der Staffel.
Pickmans Modell
Anfang des 20. Jahrhunderts studiert der begabte Maler Will (Ben Barnes, „The Punisher„) an der Miskatonic Universität in Arkham. Dort lernt er den unheimlichen Richard Pickman (Crispin Glover) kennen, der ganz besonders düstere und verstörende Bilder malt. Bald kommt Will der Verdacht, das sich Pickman die Motive dieser Gemälde nicht ausdenkt, sondern Modelle dafür trifft, wahrhaftige Monster, die im Dunkeln existieren …
Diese Episode dürfte die Geister scheiden. Sie ist unstrittig gut gespielt und von Regisseur Keith Thomas („The Vigel“) sauber inszeniert. Und sie bietet mit recht viel Blut und derben Effekten auch Freunden härterer Gangart einiges. Allerdings hat sie mit Lovecrafts Vorlage, bis auf das Grundthema des Malers, fast nichts zu tun. Und das dürfte vor allem die Fans des Autors enttäuschen, die seine Werke gelesen haben. Wer die nicht kennt, wird wohl auf seine Kosten kommen.
Träume im Hexenhaus
Seitdem der junge Walter (Rupert Grint) als Kind miterleben musste, wie seine Zwillingsschwester Epperley starb und als Geist in eine Art Wald gezogen wurde, ist er auf der Suche nach einer Möglichkeit, Kontakt mit ihr aufzunehmen. In einem alten Haus, das der Legende nach einmal ein Hexenhaus war, hofft er, einen Durchgang in die Geisterwelt öffnen und seine Schwester befreien zu können. Doch er hat die Rechnung ohne die Hexe gemacht …
Diese Episode nach einer Kurzgeschichte von Lovecraft schafft das Kunststück, noch weniger mit dem Original zu tun zu haben als Pickmans Modell. Ja, es gibt ein Hexenhaus, damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen Kurzgeschichte und Episode aber auch schon auf. Dass ausgerechnet Guillermo del Toro als bekennender Fan des Autors solche mauen Umsetzung ermöglichen würde, hätten die an wohl nicht erwartet. Wer die Vorlage nicht kennt, den erwartet eine akzeptable inszenierte Geisterbahn-Episode, die immerhin einen netten finalen Twist liefert, der allerdings von einem Horrorfilm mit Denzel Washington inspiriert wurde.
Die Besichtigung
Ein exzentrischer Millionär (Peter Weller), der mit einer jungen Ärztin (Sofia Boutella) zusammenlebt, lädt vier Gäste in sein Designerhaus ein, um ihnen eine ganz besondere Erfahrung zu ermöglichen. Nachdem er der Wissenschaftlerin, dem berühmten Musiker, dem bekannten Medium und dem Bestseller-Autor reichlich Drogen aufgezwungen hat, will er ihnen eine unglaublich Kostbarkeit zeigen. Doch das geht ordentlich nach hinten los …
Regisseur Panos Cosmatos ist für Filme wie „Mandy“ verantwortlich und hat auch hier nicht nur Regie geführt, sondern auch die Story geschrieben. Und das merkt man. Optisch wie ein Film aus dem 70ern gemacht, einschließlich matter Farben und alt wirkendem Filmmaterial, tobt sich Cosmatos hier richtig aus und bricht mit gängigen Erzählformen und typischen Inhalten. Je nach eigenem Geschmack ist das also vermutlich entweder die beste oder die schlechteste Folge der Serie.
Das Rauschen
Anfang der 50er Jahre muss das Forscherehepaar Edgar (Andrew Lincoln) und Nancy (Essie Davis) einen persönlichen Verlust hinnehmen. Ein Jahr später begeben sich beide zum Studieren von Vögeln auf eine einsame Insel. Während Edgar mit seinen Annäherungsversuchen an seine Frau immer wieder scheitert, entdeckt diese in den schlaflosen Nächten, dass es in dem einsamen Haus auf der Insel offenbar spukt …
Auch die finale Story stammt von del Toro selbst, adaptiert und inszeniert hat sich die australische Regisseurin Jennifer Kent, die seit „The Babadook“ zu den neuen Horror-Hoffnungen zählt, hier allerdings nach diesem Erfolg erstmals wieder Horror inszeniert. Und das tut sie wie erwartet langsam und mit viel Background zu den Figuren. Ein Ghost-Story-Slowburner, den man mögen muss, der aber mit einer ebenso schönen wie starken Schlussviertelstunde punkten kann und sehr atmosphärisch ist. Eine der besseren Episoden – wenn man auf Blutfontänen nicht angewiesen ist.
Fazit:
Cabinet of Curiosities weist Licht und Schatten auf. Gerade die beiden Episoden nach Kurzgeschichten von H.P. Lovecraft sind absolut enttäuschend umgesetzt, dafür sind Highlights wie Die Autopsie oder Das Rauschen dabei, die die ganze Bandbreite von guten unheimlichen Storys zeigen. Das Grundkonzept, verschiedene Autoren und Regisseure für verschiedene dunkle Visionen zu nutzen, geht aber insgesamt auf, wie vor allem Die Besichtigung von Panos Cosmatos deutlich macht. Auch wenn nicht jede Folge überzeugt, so ist doch genug Schön-Schreckliches dabei, um eine weitere Staffel herbeizuwünschen. Dazu muss die erste aber erst einmal genug Zuschauer haben. Also: Einschalten!
Cabinet of Curiosities startet am 25. Oktober mit zwei Episoden und wächst bis zum 28. Oktober täglich um zwei neue Folgen.