Alan Ritchson

Serienkritik: Reacher

Der britische Autor Lee Child ist mit seinen Romanen über einen Ex-Militärcop, der durch die USA streift und immer wieder in undurchsichtige Kriminalfälle verwickelt wird, weltberühmt geworden. 26 Romane sind mittlerweile erschienen, in zwei Kinofilmen spielte Tom Cruise die Rolle des einsamen Helden: Jack „Reacher“. Die waren zwar recht erfolgreich, doch Child selbst war wie viele Fans der Romane mit dem Casting unglücklich, ist Jack in den Büchern doch blond, muskelbepackt und fast zwei Meter groß, Cruise misst gerade einmal 1,70 Meter. Daher wählte Amazon Prime für die Serienadaption des Stoffes einen optisch besser passenden Schauspieler: Alan Ritchson („Titans„). Fühlen sich die Fans der Romane mit der Serie mehr zu Hause? Das klärt die Kritik.

Alan Ritchson
Kaum hat Jack Reacher die Kleinstadt Margrave betreten, da wird er auch schon verhaftet.

Die Handlung

Ein großer, muskulöser Kerl (Alan Ritchson) steigt im Städtchen Margrave in Georgia aus einem Greyhound-Bus und bestellt sich im örtlichen Diner einen Kaffee und einen Pfirsichkuchen. Nur Sekunden später wird er vom örtlichen Sheriff verhaftet. In der Nacht zuvor hat es in Margrave den ersten Mord seit 20 Jahren gegeben und er als Fremder ist der Hauptverdächtige. Weil er nicht kooperiert, bleibt der Hüne in Gewahrsam, während Detective Oscar Finlay (Malcolm Goodwin) mehr über den Besucher herausfinden will. Was er in Erfahrung bringt, lässt ihn schnell an der Schuld des Verdächtigen zweifeln. Jack Reacher ist ein Ex-Militär-Cop mit den höchsten Auszeichnungen des Landes – und war zum Zeitpunkt des Mordes noch hunderte Kilometer von Margrave entfernt.

Mehr oder weniger ungefragt mischt sich Reacher bald in den Fall ein, was Finlay wesentlich nervtötender findet als seine Kollegin Roscoe (Willa Fitzgerald, „Scream“-Serie), die mit Reacher schnell eine gemeinsame Basis zur Zusammenarbeit findet. Bald stellt sich heraus, dass Reacher mit dem Mordopfer mehr verbindet als nur der Tatverdacht, was es für den Ex-Cop zur persönlichen Sache macht, den Fall aufzuklären. Und bald merkt er, dass in Margrave viele unter einer Decke stecken, die eigentlich das Recht und das Gesetz vertreten sollten. So ist Bürgermeister Grover Teale (Bruce McGill) gar nicht scharf darauf, dass Reacher in seiner Stadt ermittelt. Und auch der Geschäftsmann Kliner (Currie Graham) scheint Dreck am Stecken zu haben. Bald steht Reacher auf einer Abschussliste ganz oben …

Unrealistischer Held, realer Spaß

Für Serien wie Reacher wurde der Begriff „Guilty Pleasure“ erfunden. Denn der Zuschauer weiß, was er da sieht, ist nicht perfekt. Und dennoch unterhält es ihn großartig. Genau so ist die neue Amazon-Serie. Denn immer wieder fallen Kleinigkeiten auf, die nicht wirklich gelungen sind, dennoch ergibt es ein stimmiges Gesamtbild. Das wohl größte Problem der Serie ist ihr mangelnder Realismus. Denn Jack Reacher ist nicht nur ein Elite-Kämpfer und trotz seiner fast zwei Meter unglaublich schnell. Er ist auch noch schnell im Kopf und macht der Deduktion eines Sherlock Holmes alle Ehre. Dazu durchschaut er jeden Menschen sofort und weiß, was er von ihm zu halten hat. Und so wirkt Reacher wie eine Ein-Mann-Armee und ein Super-Detektiv in Personalunion. Glaubwürdig ist das sicher nicht.

Aber es macht in der Serie deshalb Spaß, weil die Macher um Serienentwickler Nick Santora, der bereits seit 20 Jahren als Autor und Produzent für Krimi- und Thrillerserien arbeitet, keine Gelegenheit auslassen, um sich über diesen Fakt ein wenig lustig zu machen. Und Reachers Größe und Verstand mit spitzen Bemerkungen oder süffisanten Kommentaren zu begleiten. So nehmen sie Kritikern nicht nur den Wind aus den Segeln, sondern sorgen auch für eine gewisse Portion Humor, die der Serie sehr gut steht. Alan Ritchson selbst spielt die Titelrolle mit einer Haltung, die gelegentlich ein Augenzwinkern durchblicken lässt. Und der Dreh, den harten und durchaus düsteren Krimiplot nicht ganz so bierernst zu erzählen, macht Reacher tatsächlich besser.

Willa Fitzgerald
Deputy Roscoe ist bald auf Reachers Seite, denn die Morde hören nicht auf. Und sie will die Killer fassen, bevor weitere Kollegen sterben.

Spektakuläre Action

Der vielleicht größte Pluspunkt von Reacher ist aber die Action. Was das Stuntteam hier abliefert, hat absolutes Kino-Niveau und Ritchson ist körperlich auch in der Lage, das exzellent zu spielen. Wenn Reacher sich gegen eine Überzahl an Gegnern zur Wehr setzen muss, und das passiert mehr als nur einmal in der Serie, dann sind die Kämpfe schnell, realistisch und sehr brutal inszeniert. Es muss beim Zuschauen schon weh tun, schien hier die Prämisse zu sein – und sie funktioniert gut. Schon in Folge 1, wenn es Reacher im Gefängnis mit fünf Angreifern aufnimmt, setzt die Serie ein Zeichen. Und dieses Niveau hält sie bis zum Schluss. Weswegen sie für Actionfans bereits ein absolutes Muss darstellt.

Ein wenig schwächer wird Reacher, wenn es um die Story geht. Die ist zwar ansprechend und glaubhaft, bietet dem Hobby-Detektiv vor dem Bildschirm aber keine sonderlich schweren Nüsse. Auch wenn die genaue Konstellation lange im Dunkeln bleibt, so ist die grundsätzliche Ausrichtung der Story schnell klar, andere Verdächtige werden gar nicht erst eingeführt. Krimifans könnten daher etwas weniger Freude an Reacher haben als die Action-Abteilung. Doch die Autoren kaschieren diese Schwäche mit Wendungen in der Handlung, die man nicht unbedingt schon aus weiter Entfernung kommen sieht. Und sorgen so trotz der überschaubaren Menge an Verdächtigen für lang anhaltende Spannung. Und finden für das Ende jeder Folge auch einen coolen Cliffhanger, der das Weiterschauen einfach macht.

Malcolm Goodwin
Reachers Verhältnis zu Detective Finlay ist schwierig. Doch die beiden raufen sich zusammen, um die Mörder zu schnappen.

Und dann wäre da noch die viel zitierte Chemie. Ritchsons Zusammenspiel mit Willa Fitzgerald und Malcom Goodwin harmoniert in jeder einzelnen Szene großartig. Und sorgt für eine Art dysfunktionaler Familie, die sich untereinander nicht immer grün ist, aber dennoch in jedem Fall zusammenhält. Ein Großteil des Spaßes, den der Zuschauer mit Reacher hat, resultiert aus dieser guten Chemie der Darsteller. Auch wenn wohl nur Alan Ritchson in einer zweiten Staffel auftauchen würde, ist es für die Fans der Serie jetzt schon eine gute Nachricht, dass in der Theorie bereits Material für 25 weitere Staffeln existiert – und Lee Child pünktlich wie ein Uhrwerk jedes Jahr im Herbst einen neuen Roman hinzufügt. Denn von dieser Serie darf es gern mehr geben!

Fazit:

Mit Reacher bietet Amazon Prime Video seinen Kunden eine neue Actionthriller-Serie, die zwar nicht sonderlich realistisch ist, dafür aber umso mehr Spaß macht. Alan Ritchson als titelgebender Held ist optisch sehr viel dichter an der Romanvorlage als Tom Cruise in den Kinofilmen. Die Story trägt die acht Folgen gut und hat kaum Längen. Highlight der Serie sind die Actionsequenzen, die in ihrer Härte und Qualität an Filme wie „John Wick“ erinnern und absolutes Kinoniveau haben. Dazu kommt die gute Chemie zwischen den drei Hauptfiguren, die viele der Szenen deutlich besser machen als der reine Text es vermuten lassen würde. Romanfans dürften mit der neuen Version gut leben können, der Rest ohnehin. Eine richtig gute Serie, die Amazon Prime hoffentlich bald in weitere Staffeln schickt.

Reacher startet am 4. Februar 2022 bei Amzon Prime Video.

Bruce McGill
Ist Bürgermeister Keale korrupt? Oder ist auch er nur ein Spielball der Umstände?