Hamish Linklater
Netflix

Serienkritik: Midnight Mass

Mike Flanagan hat sich im Lauf der Jahre einen Ruf als einer der momentan besten Horror-Regisseure erarbeitet. So setzte er mit „Das Spiel“ und „Doctor Sleep“ zwei Stephen King-Romane um und zog sich dabei ansehnlich aus der Affäre. Mit „Spuk in Hill House“ brachte er die vielleicht beste Horrorserie der vergangenen Jahre auf Netflix heraus und legte mit „Spuk in Bly Manor“ zumindest ordentlich nach. Und nun präsentiert er mit „Midnight Mass“ eine selbst verfasste, selbst produzierte und selbst inszenierte Mini-Serie für den Streaming-Dienst. Warum King dennoch ein großes Stichwort für diese Serie ist und ob die Qualität mit Flanagans letzten Arbeiten mithalten kann, verrät die Kritik.

Zach Gilford
Riley ist nach vier Jahren im Gefängnis zurück an seinem Geburtsort – der winzigen Insel Crockett Island.

Die Handlung

Riley Flynn (Zach Gilford) kommt nach vier Jahren im Gefängnis nach Hause auf die winzige Insel Crockett Island. Er hatte unter Alkoholeinfluss ein junges Mädchen bei einem Unfall tödlich verletzt. Noch immer von Schuld geplagt, versteht er die kühle Begrüßung durch seinen Vater Ed (Henry Thomas), genießt aber aber über die Erleichterung seiner Mutter Annie (Kristin Lehman), die sich über die Rückkehr des verlorenen Sohnes freut. Nur einen Tag nach ihm erreicht auch ein neuer Priester die Insel. Pater Paul Hill (Hamish Linklater) ist als Ersatz für Pater Pruitt gekommen, der sich auf einer Pilgerreise verletzt hat und noch eine Weile im Krankenhaus bleiben muss.

Schnell gewinnt der charismatische Priester einige der Gläubigen auf Crockett Island für sich, darunter die glühende Katholikin Beverly (Samantha Sloyan). Und als er beginnt, vor den Augen der Gemeinde Wunder zu vollbringen, wenden sich ihm die Herzen der meisten Einwohner zu. Doch Riley und seine Jugendfreundin Erin Green (Kate Siegel) bleiben misstrauisch, denn auch unheimliche Dinge geschehen. So werden Dutzende toter Katzen am Strand angespült und bald werden auch Menschen vermisst. Weiß Hill etwas darüber, ist er vielleicht sogar der Grund für all die seltsamen Dinge, die geschehen? Die Antwort, die Riley findet, erschüttert ihn mehr als er je erwartet hätte …

Inhalt zu 100 Prozent Stephen King

Stephen King äußerte sich in der Vergangenheit stets wohlwollend über Flanagans Umsetzungen seiner Stoffe. Zudem mochte der Meister des Horrors auch Flanagans andere Arbeiten. Das dürfte auch der Grund sein, warum King Midnight Mass vorab sehen durfte und in höchsten Tönen lobte. Denn eigentlich hätte er Flanagan wegen des Plagiats verklagen müssen. Diese Mini-Serie basiert zu fast 100 Prozent auf Storys von King. Aus Spoilergründen werden diese hier zwar nicht aufgeführt. Doch Kenner des Autors werden nach wenigen Minuten schon erkennen, wo sich Flanagan bedient hat. Und das macht Midnight Mass eine ganze Ecke unorigineller, als Horrorfans sich das wünschen würden. Zwar lässt sich aus den Vorlagen nicht das Finale der Serie herauslesen. Doch der Weg dorthin wird King-Fans bald klar sein.

Denn bereits in Folge eins werden Horror-affine Zuschauer alle Hinweise erkennen und das Geheimnis von Crockett Island weitgehend gelöst haben. So ist die Aufdeckung für das Publikum in Folge drei für viele wahrscheinlich keine große Überraschung mehr. Die Spannung bezieht Midnight Mass dann ausschließlich aus dem Suspense, dass der Zuschauer mehr weiß als die Protagonisten der Serie. Und hier spielt Flanagan seine Qualitäten als Regisseur voll aus. Langsam baut er das Unbehagen auf, das den Zuschauer bald ständig begleitet, auch wenn er noch nicht die ganze Wahrheit kennt. Und zieht am Ende der Serie die Spannungsschraube dann mächtig an. Auch hier macht er King alle Ehre, dessen Romanaufbau (von  zumindest einigen Werken) er mustergültig kopiert.

Kate Siegel
Unerwartete Freude: Auch Rileys Jugendliebe Erin lebt nach Jahren der Abwesenheit wieder hier.

Abrechnung mit religiösem Eifer

Dem Meister dürfte Flanagans knallharte Abrechnung mit den dunklen Seiten von Religion und blindem Gehorsam gefallen haben, den der Regisseur hier mit einer Deutlichkeit präsentiert, die keine Fragen offen lässt. Denn die Figur des charismatischen Priesters, so nuancenreich sie sich auch entwickelt, steht doch für eine klare Botschaft des Regisseurs. Die Figur der Beverly hingegen darf wohl als tiefe Verbeugung vor King verstanden werden. Denn dessen Leser kennen die religionsfanatische Jungfer aus verschiedenen Werken des Autors nur zu gut. Was Flanagan als Drehbuchautor in der Hauptstory verschenkt, indem er dreist bei Stephen King abkupfert, so stark sind dafür seine kleinen Szenen, die zwischenmenschliche Teile der Geschichte erzählen.

Wenn Riley und Hill sich bei einem Zwei-Personen-AA-Meeting über Gott und die Welt unterhalten und ihre Glaubensideen austauschen, dann ist das großes Kino. Und auch Rileys Gespräch mit Jugendliebe Erin über den Tod und wie er sich ihn vorstellt, gehört zu den stärksten Momenten der ganzen Serie. Wie Flanagan ohnehin in der zweiten Hälfte ein paar kleine Twists setzt, die der Zuschauer nicht unbedingt kommen sieht. Bedanken kann sich Flanagan dafür auch bei seinem starken Ensemble. Angefangen bei seiner Ehefrau Kate Siegel, die abermals umwerfend spielt, über den beeindruckenden Hamish Linklater als Pater Paul Hill bis zu Zach Gilford als schuldgeplagter Riley sind die Hauptfiguren alle stark besetzt und überzeugen in jeder Szene.

Midnight Mass
Inselärztin Sarah stellt bei ihrer senilen Mutter seltsame Veränderungen fest. Was hat der neue Priester damit zu tun?

Top gespielt

Auch der Nebencast mit Namen wie Henry Thomas, Kristin Lehman oder Michael Truoco erledigt seinen Job durchgehend auf hohem Niveau. Selbst wenn mancher Charakter trotz der sieben Stunden Laufzeit nicht genug Szenen bekommt, um wirklich zu glänzen. Und weil Flanagan das Erfolgsrezept von Hill House hier wiederholt, echtes Drama in seinen Horror einfließen zu lassen, lässt sich auch die Story von Midnight Mass nicht so einfach abschütteln. Und wer die betreffenden Romane von Stephen King nie gelesen hat, wird vielleicht sogar die Story originell finden. Flanagan kehrt bereits im kommenden Jahr mit der Serie „The Midnight Club“, die inhaltlich nichts mit Midnight Mass zu tun hat, zu Netflix zurück. Nach diesem Siebenteiler durchaus ein Grund zur Freude.

Fazit:

Mike Flanagan bringt in Midnight Mass bekannte Tugenden ein, die er schon früher gezeigt hat. Das Drehbuch enthält starke Dialoge abseits von Horror, die Darsteller bringen unter seiner Regie Höchstleistung und die Inszenierung bietet sowohl wunderschöne als auch gruselige Momente. Schade nur, dass er bei seiner Story so derartig dreist bei Stephen King-Werken abkupfert und somit bei Horrorfans etliche Deja-Vus auslösen dürfte. Dabei steht ein Frühwerk Kings besonders im Fokus von Midnight Mass, etwa 80 Prozent der Story findet sich in Flanagans Serie wieder. Wer Kings Roman nicht gelesen hat (der aus Spoilergründen hier nicht genannt wird) dürfte die Serie deutlich besser finden als Kenner des Buches. Mehr als das lässt sich an Flanagans neuer Serie allerdings kaum kritisieren.

Midnight Mass startet am 24. September 2021 bei Netflix.

Midnight Mass
Bald kommt es auf der Insel zu seltsamen Ereignissen – und Menschen verschwinden.