Tully

Filmkritik: Tully

Eltern werden sicher zustimmen, dass Kinder mitunter extrem anstrengend sein können. Wenn dann auch noch ein verhaltensauffälliger Sprössling dazu kommt, ist der Tagesablauf eigentlich kaum zu schaffen. Das merkt auch Charlize Theron als Marlo, die in „Tully“ dringend Hilfe braucht, um ihre Familie über die Runden zu bringen. Lohnt sich dafür der Ausflug ins Kino?

Regisseur Jason Reitman stammt aus einer echten Film-Familie. Sein Vater Ivan drehte vor allem in den 80ern erfolgreiche Komödien wie „Ghostbusters“ oder „Twins“, Schwester Catherine ist ebenfalls Schauspielerin. Jason begann als Schauspieler, arbeitet aber nun schon viele Jahre als Regisseur und hat dabei schon mehrfach Drehbücher von Diablo Cody („Juno“, „Jennifer’s Body“) umgesetzt. Auch Tully stammt aus der Feder der Autorin. Hat das Script ähnlich viel Charme wie ihr oscarprämiertes Drehbuch für Juno?

Tully
Erst beobachtet Tully die neue Familie, die sie betreuen soll.

Tully: Die Handlung

Marlo (Charlize Theron) und Drew (Ron Livinsgton) haben bereits zwei Kinder, darunter den im Alltag schwierigen Jonah. Und nun ist Marlo auch noch hochschwanger mit dem ungeplanten, dritten Kind. Als die kleine Mia schließlich auf der Welt ist, geht Marlo komplett am Stock und schafft ihre täglichen Aufgaben kaum noch. Ihr Bruder schlägt ihr eine Nacht-Nanny vor, und obwohl Marlo sich anfangs gegen den Gedanken wehrt, lässt ihr die Realität schließlich keine Wahl mehr.

Und so kommt Tully (Mackenzie Davis) eines Abends ins Haus, während Drew auf Geschäftsreise ist, und beginnt professionell, Marlo unter die Arme zu greifen. Bald entsteht zwischen den recht unterschiedlichen Frauen eine echte Freundschaft und Tully wird für Marlo mehr als nur eine Hilfe beim Baby. Marlo wird ruhiger, kommt mit den Kindern besser klar und hat sogar wieder ein wenig Zeit für ihre Ehe mit Drew. Doch Tully hat ein Geheimnis …

Tully: Tücken des Alltags

Jason Reitmans gelungene Umsetzung des tollen Drehbuchs von Diablo Cody lebt vor allem von den Details, die vor allem Eltern aus dem ganz normalen Alltag kennen dürften. Der Sohn will sich nicht anziehen, die Tochter muckt herum, der Wagen muss zur Reparatur, die Schule hätte gern ein Gespräch. Reitman inszeniert diese für sich genommen erträglichen Momente als völliges Chaos, das über Marlo und Drew hereinbricht und deren Leben komplett durcheinanderwirbelt.

Und Weil Cody das alles so genau beobachtet hat, ist das Szenario auch so glaubhaft und authentisch. Vor allem Mütter dürften sich mehr als einmal in Charlize Therons Charakter wiedererkennen, und allein deshalb schon ihren Spaß im Kino haben. Im Zentrum steht aber die Frauenfreundschaft zwischen Marlo und Tully, die so gut geschrieben und gespielt ist, dass jede Szene mit den beiden Figuren emotional packt den Zuschauer ganz nah an die Charaktere bringt.

Tully
Bald kümmert sie sich um die kleine Mia.

Tully: Tolle Show zweier Frauen

Für die Rolle hat Charlize Theron einiges auf sich genommen. Die Rundungen und Kilos der sonst gertenschlanken und durchtrainierten Südafrikanerin sind echt, angefuttert vor Beginn der Dreharbeiten. Das war sicher nicht ganz einfach, hat sich aber gelohnt. Denn so wirkt jede Bewegung des Körpers echt, ob sie sich nun erschöpft in den Autositz fallen lässt oder sich nachts müde aus dem Bett rollt, um Mia zu stillen. Und so wird Marlo auf der Leinwand zur echten Person, der man ihre Probleme nicht nur abnimmt, sondern sie fast mitlebt.

Auch Mackenzie Davis („Blade Runner 2049“) zeigt, dass sie ihren Job beherrscht und spielt die junge einfühlsame Frau, deren Privatleben aber ebenso chaotisch ist wie das von Marlo, mit viel Gespür für die Leichtigkeit dieser Figur. Immer entspannt, immer freundlich und doch mit dem Herz auf der Zunge, sorgt Tully nicht nur für die meisten Lacher, sondern auch für einige der besten, dunkleren Momente des Films. Denn als reine Komödie lässt sich Tully nicht einordnen.

Reitman hält stattdessen gekonnt die Waage zwischen witzigen Momenten und dunklen Szenen, die dem Film den nötigen Tiefgang verleihen. Und den Film so realistisch machen. Obwohl Tully sicher eher ein Frauenfilm ist, in dem Männer bestenfalls eine Nebenrolle spielen, können auch männliche Zuschauer Spaß an diesem Film haben. Und ein wenig wohlig melancholisch werden.

Fazit:

Tully ist ein wunderbarer kleiner Film mit großen Darstellern und einem Drehbuch, dass perfekt auf den Punkt kommt. Charlize Theron und Mackenzie Davis sind absolut sehenswert in einer Tragikomödie, die in den letzten zehn Minuten nochmal besser wird als die 80 Minuten davor. Obwohl auch die schon sehr unterhaltsam waren. 

Tully startet am 31. Mai 2018 in den deutschen Kinos.

Tully
So findet Marlo wieder mehr Zeit für ihren Sohn Jonah.