Marriage Story

Filmkritik: Marriage Story

Zum Jahresende fährt Netflix seine großen Oscar-Kaliber auf, die der Streaming-Dienst deshalb auch für kurze Zeit ins Kino brachte. Nach Martin Scorseses „The Irishman“ und vor „Die zwei Päpste“ kommt jetzt „Marriage Story“ ins Programm. Die Scheidungsgeschichte kann nicht nur mit großen Stars wie Adam Driver und Scarlett Johansson aufwarten, sondern gewann bereits etliche Preise in den USA. Ist das Drama um das Ende einer Künstler-Ehe tatsächlich so gut?

Seit „Kramer gegen Kramer“ 1979 die fünf wichtigsten Oscars (bester Film, beide Hauptdarsteller, Regie und Drehbuch) abräumte, gilt das Scheidungsdrama als die hohe Schule der großen Emotionen. Ziemlich beeindruckende Vorbilder also, die sich Regisseur Noah Baumbach als Regisseur und Drehbuch-Autor in Personalunion da ausgesucht hat. Kann der bereits einmal Oscar-nominierte Baumbach mit seinem Projekt mithalten? Oder haben Johansson und Driver gegen Streep und Hoffman keine Chance zu bestehen?

Marriage Story
Am Beginn steht die Einsicht: Nicole und Charlie haben sich nach zehn Jahren auseinandergelebt.

Marriage Story: Die Handlung

Charlie (Adam Driver), erfolgreicher Theater-Regisseur in New York, verliebt sich in die recht unbekannte Filmschauspielerin Nicole (Scarlett Johansson), die eigentlich in L.A. lebt und nur zu Besuch im Big Apple ist. Die beiden heiraten, bekommen Sohn Henry (Azhy Robertson) und werden als Regisseur und Hauptdarstellerin zu Lieblingen der Theater-Avantgarde der Stadt. Doch nach zehn Jahren Ehe bekommt die scheinbar heile Welt des Paares erste Risse. Die sich schnell zu größeren Problemen entwickeln.

Und so beginnt der Film bereits mit einer Mediation, die ihre Ehe retten soll. Von der hält Nicole allerdings wenig und zudem erhält sie das Angebot, als Hauptrolle in einem Serienpiloten in Hollywood mitzuwirken. Kurzentschlossen nimmt sie Henry und fliegt nach L.A., um ihre Karriere neu anzukurbeln. Charlie reagiert nicht nur mit Unverständnis. Sondern wird von der Pendelei zwischen den Städten, um seinen Sohn zu sehen, immer mehr aufgefressen. Und dann geht Nicole auch noch zu einer Anwältin, obwohl beide das eigentlich gütlich regeln wollten …

Marriage Story: Schauspieler-Kino

Obwohl Noah Baumbach seinen Film bis in die Nebenrollen exquisit besetzt hat (unter anderem mit Laura Dern, Ray Liotta, Alan Alda und „Unbelievable“-Star Merrit Wever), so steht doch das Duell zwischen Adam Driver uns Scarlett Johansson im Vordergrund. Und da gehört es auch hin. Was vor allem Driver in Marriage Story abliefert, gehört in einem starken Jahr für männliche Hauptdarsteller dennoch zum Besten, was zu sehen war. Aber auch Johansson spielt so differenziert und mit so zarten Nuancen, dass das Zusehen eine Freude ist.

Obwohl das Thema nicht wirklich dazu angetan ist, Glücksgefühle zu empfinden. Denn hier gibt es keinen Rosenkrieg. Eigentlich bedeuten sich Charlie und Nicole noch immer sehr viel und sind durch ihren Sohn ohnehin untrennbar verbunden. Baumbach gelingt es in seinem Drehbuch sehr gut, die scheinbaren Kleinigkeiten zu entlarven, die sich im Verlauf des Films zu immer größeren Problemen aufbauschen. Und schließlich zu Verletzungen führen, die möglicherweise nie ganz abheilen können.

Marriage Story
Nicole zieht nach L.A. und Charlie nimmt seinem Sohn Henry zuliebe die Pendelei von New York auf sich.

Marriage Story: Theater auf dem Bildschirm

Baumbach zeigt dabei minutiös, wie die Versuche des Paares, alles möglichst friedlich (und damit auch finanziell günstig) zu regeln, durch Missverständnisse und kleine Spitzen schließlich doch bei knallharten Anwälten landen. Und spätestens dann in einen immer derber geführten Scheidungskrieg mündet, bei dem viel Geschirr zerschlagen wird. Am Ende kann der Zuschauer kaum sagen, wen von beiden mehr Schuld an dem Debakel trifft. Das Baumbach auch noch in einer brutal-offenen Aussprache enden lässt, die nichts besser macht.

Der Regisseur hat dabei Charlies Beruf nicht zufällig gewählt, denn er setzt immer wieder Mittel der Theaterbühne ein, um seine Geschichte zu erzählen. So nutzt er zu Beginn und Finale des Films Monologe aus dem Off für eine wunderbare Klammer. Und lässt zwischendurch den schon bei Shakespeare genutzten Chorus (eine unbestimmte Menge Personen) die Story weitererzählen, indem sich die Mitglieder der Schauspieltruppe über das Paar unterhalten. Baumbach lässt seine Protagonisten sogar singen, wobei Drivers Song tief ins Herz trifft.

Für ein deutsches Publikum ergibt sich allerdings das Problem, vieles an der US-Rechtssprechung bei Scheidungen kaum nachvollziehen zu können, so schräg und unfair sind die Gesetze dort. Daher ist manche Szene nicht so einfach zu verstehen, wie es vermutlich für ein US-Publikum der Fall wäre. Das soll aber den starken Gesamteindruck von Marriage Story nicht schmälern. Handwerklich durch seine Stilmittel beeindruckend und ergreifend gespielt, schlägt sich Baumbachs Film auch im Vergleich zu Kramer gegen Kramer richtig gut.

Fazit:

Es hat sich etwas getan bei Netflix! War es in früheren Jahren schon ein halbes Wunder, mehr als zwei oder drei Eigenproduktionen zu finden, die ansehnlich waren, gibt es 2019 schon einige, die sich lohnen. Dazu gehört an vorderster Front auch Marriage Story. Großartige Schauspieler und eine wundervoll geschriebene Geschichte voller Tragik und enttäuschter Liebe sorgen für ein Filmerlebnis, dem sich Zuschauer mit entsprechendem Geschmack kaum entziehen können. 

Marriage Story startet am 6. Dezember 2019 bei Netflix.

Marriage Story
Doch Charlies Hoffnung auf eine gütliche Einigung zerschlägt sich, als Nicole sich die knallharte Anwältin Nora nimmt.

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