Horror aus Frankreich ist in den frühen 2000ern mit der „Neuen Französischen Härte“ weltweit gut angekommen, doch seitdem Filme wie „Martyrs“ oder „Inside“ selbst hartgesottene Horrorfans aufschreckten, ist viel Zeit vergangen und so richtig viel ist nicht nachgekommen. Dennoch achten Freunde des Genres noch heute darauf, wenn ein neuer Horror-Film aus unserem Nachbarland veröffentlicht wird. Netflix hat nun so einen im Programm – „Schwarm des Schreckens“. Was sich hinter dem Titel verbirgt und ob der Film an gute alte Zeiten des Terrorkinos anknüpfen kann, klärt die Kritik.
Die Handlung
Das ländliche Frankreich. Witwe Virginie (Suliane Brahim) muss für ihre beiden Teenager-Kinder sorgen und hat die brotlose Schafzucht zugunsten einer neuen Geschäftsidee aufgegeben. Sie züchtet jetzt Heuschrecken. Schließlich liefern Insekten deutlich mehr Protein pro Gramm als Fleisch und ist für Reformhäuser und Viehzüchter ein spannendes Thema. Doch es geht mehr schlecht als recht voran. Die Tiere vermehren sich kaum und fressen wenig, sind mager und klein. Zwar versucht ihr der befreundete Winzer Karim (Sofian Khammes) mit Geld und guten Worten zu helfen, doch es scheint, als müsste Virginie ihre Pläne aufgeben, das Land verkaufen und woanders neu anfangen. Ihr Sohn Gaston (Raphael Romand) hält davon wenig, doch Tochter Laura (Marie Narbonne) würde das gut gefallen, sie will endlich weg.
Weil ein Kunde versucht, Virginie über den Tisch zu ziehen, hat die Züchterin eines Abends einen Wutanfall, bei dem sie sich aus Versehen selbst verletzt und bewusstlos schlägt. Als sie aufwacht, macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Die Heuschrecken scheinen Geschmack an Blut zu finden! Und weil sich die Tierchen nach dem ungewöhnlichen Snack nicht nur prächtig entwickeln, sondern auch deutlich besser vermehren, bleibt Virginie beim neuen Futter. Doch Blut ist nicht so einfach zu bekommen wie Gras und Virginie will expandieren. So müssen bald neue Quellen für den ganz besonderen Saft her …
Unangenehme Atmosphäre
Auch wenn Schwarm des Schreckens ein paar eklige Bilder enthält, so ist er doch mit den Klassikern der frühen 2000er nicht zu vergleichen. Regisseur Just Philippot hat mit seinem Insekten-Horror andere Schwerpunkte als Splatterszenen. Sein Film ist ein echter Slowburner, der langsam eine immer unheimlichere Atmosphäre aufbaut und viel mit der Erwartungshaltung und der Phantasie der Zuschauer arbeitet. Wer sich darauf einlässt, bei dem funktioniert diese Art Horror erstaunlich gut. Insekten-Phobiker werden ohnehin Mühe haben, hier durchzuhalten. Aber auch weniger ängstliche Gemütern werden die Heuschrecken mit zunehmender Laufzeit unheimlicher, zumal Philippot klug darauf achtet, die Tiere gar nicht so oft zu zeigen.
Stattdessen sieht der Zuschauer beispielsweise die erfolgreichen Zuchtversuche durch vibrierende Plastikschläuche, in denen offenbar tausende von Heuschrecken darauf warten, endlich herauszukommen. Und das nervöse Summen der Tiere wird von Minute zu Minute lauter. Zudem wird das Verhalten Virginies ebenso immer merkwürdiger und verschreckender. Weil sie alles der Zukunft ihrer Familie unterordnet, muss sie Opfer bringen, die vor allem Tierfreunde unter den Zuschauern nur mühsam ertragen können. Warum Netflix dem Film eine (selbstbestimmte) Empfehlung ab 12 Jahren gegeben hat, bleibt so ein kleines Rätsel. Natürlich fließt das Blut hier nicht in Strömen, für 12-jährige dürfte Schwarm des Schreckens aber doch zu verstörend sein.
Ende mit Schwächen
Als gesamte Story ist der Film nicht neu. Menschen, die in Horrorfilmen mit den Kräften der Natur spielen und dafür einen Preis bezahlen müssen, gab es schon zu hunderten. Aber Heuschrecken sind tatsächlich eine frische Idee, die bislang sehr selten als Killer herhalten mussten, obwohl bekannt ist, wie verheerend eine Heuschrecken-Plage zumindest für die Vegetation einer Region ist. Je länger der Film läuft, desto klarer wird aber auch, warum die Tiere keine Horror-Ikonen sind. So richtig gruselig wird es nicht, wenn die Tiere attackieren. Dazu schwächelt das ansonsten gelungene Drehbuch ausgerechnet im Finale und findet nur eine überhastete und wenig glaubhafte Auflösung der Story. Das ist ein wenig schade, weil die erste Stunde von Schwarm des Schreckens so gut funktioniert.
Schauspielerisch liegt die Hauptlast auf Suliane Brahim, die in fast jeder Szene zu sehen ist und die zunehmend verzweifelte Mutter, die kaum noch weiß, wo sie Geld für Lebensmittel herbekommen soll, glaubhaft verkörpert. Ihr leises Wimmern, wenn sie ihre Tiere mit ihrem eigenen Körper füttert, kann sensibleren Gemütern schon durch Mark und Bein gehen. Der Rest des Casts bleibt allerdings weitgehend blass, was auch an mangelnden Möglichkeiten liegt, sich auszuzeichnen. Schwarm des Schreckens fokussiert sich dafür zu sehr auf Virginie. Und so steht und fällt die Story auch mit der Nachvollziehbarkeit ihres Verhaltens. Die ist allerdings nicht immer gegeben. Den genauen Zeitpunkt, wann Virginie endgültig in eine gefährliche Geisteshaltung kippt, arbeitet Philippot nicht klar genug heraus.
Fazit:
Mit Schwarm des Schreckens holt sich Netflix einen Horrorfilm ins Programm, der auf leisen Sohlen und ohne Hast seine Geschichte erzählt und zu Beginn eher für düstere Vorahnungen als tatsächlichen Horror sorgt. Aber genau damit spielt Regisseur Just Philippot sehr geschickt und bietet Fans von atmosphärischem Horror eine Menge. Wer mehr auf blutige Filme steht, kommt hier allerdings kaum auf seine Kosten. Und auch das recht plötzliche Finale überzeugt nur bedingt. Dennoch ist Schwarm des Schreckens dann einen Blick wert, wenn man Storys schätzt, in denen die Protagonisten sehenden Auges in den möglichen Untergang reiten.
Schwarm des Schreckens startet am 6. August 2021 bei Netflix (deutsch).