Wounds

Filmkritik: Wounds

Für viele ist der Horrorfilm das verzichtbarste Genre von allen. Einfach, weil sie sich nicht gerne gruseln oder erschrecken. Für andere ist es eines der vielseitigsten Genres überhaupt, das mit zahlreichen Sub-Genres glänzt und auf vielen verschiedenen Wegen zum Ziel kommen kann. Manche Filme erklären die Story bis ins Detail, andere wiederum lassen den Zuschauer komplett im Dunkeln und wollen einfach nur eine möglichst gruselige Stimmung erzeugen. Zu letzter Kategorie gehört auch der neue Netflix-Horrorfilm „Wounds.“

Was ist das Grauen? Dazu hat eigentlich jeder eine eigene Meinung. Manche spüren den fiesesten Schrecken beim Anblick einer Spinne, andere können kein Blut sehen. Es gibt Leute, die sich vor Zombies extrem fürchten, andere lassen die wandelnden Toten völlig kalt. Regisseur Babak Anvari, der mit seinem Debüt „Under the Shadow“ große Erfolge feierte, setzte mit Wounds eine Novelle des Autors Nathan Ballingrud um. Und erzählt eine Geschichte, die voller Bilder steckt, aber keine einfachen Antworten liefert.

Wounds
Nach einer Schlägerei findet Will ein Handy – und das verändert bald sein gesamtes Leben.

Die Handlung

Barkeeper Will (Armie Hammer) muss eines Abends einen Streit zwischen einem Stammgast und einem anderen Typen schlichten. Dabei sieht auch eine Gruppe College-Kids zu, die sofort flüchten, als von Polizei die Rede ist. Will findet an ihrem Platz lediglich ein vergessenes Smartphone. Zuhause bei Freundin Carrie (Dakota Johnson) gelingt es ihm, den Sicherheitscode zu knacken. Doch neben vielen harmlosen Selfies entdeckt er auf dem Telefon auch einige verstörende Aufnahmen von toten Körpern.

Obwohl er seiner Freundin verspricht, das Smartphone zur Polizei zu bringen, entscheidet er sich um und beginnt selbst, Nachforschungen über die möglichen Besitzer des Telefons anzustellen. Und schon kurze Zeit später scheint sich Willa Leben langsam aber sicher zu ändern. Er sieht Dinge, die eigentlich nicht existieren können und hört Geräusche, die ihn bis ins Mark erschüttern. Immer wieder hat er Visionen von ihm lieben Menschen, die enthauptet vor ihm liegen. Welche unheimliche Macht versucht da, Will in die Hände zu bekommen?

Wounds: Keine normale Story

Die ersten 20 Minuten des Films sind vielversprechend. Sie bauen eine bedrohliche Atmosphäre auf, setzen immer wieder mit Details den Zuschauer auf mögliche Fährten und führen durchaus komplexe Figuren ein. Doch je länger Wounds läuft, desto klarer wird: All die Fragen, die der Film zu Beginn aufgeworfen hat, wird er nicht beantworten. Stattdessen entwickelt er sich immer mehr zu einer Art Fiebertraum, in dem der Protagonist – und damit auch der Zuschauer – seinen Sinnen nicht trauen kann.

Hier einen Sinn oder Eindeutigkeit zu finden, dürfte auch für ausgewiesene Film-Analysten schwierig werden. Das liegt aber auch gar nicht im Interesse von Anvari und Ballingrud. Denn die ganze Story lässt sich auch als Abstieg in den Wahnsinn interpretieren – und als solche muss die natürlich auch nicht unbedingt einen Sinn ergeben. Wer Filme wie „Jacob’s Ladder“ oder frühe Werke von Dario Argento mag, der wird vermutlich auch bei Wounds auf seine Kosten kommen.

Wounds
Für Kollegin Alicia empfindet Will mehr als nur Freundschaft.

Wounds: Starke Schauspieler

Armie Hammer spielt die Figur des Will sehr ansprechend. Durch seine Größe bringt er den körperlichen Aspekt der Rolle mit, aber mit seinem guten Spiel macht er auch die wachsende Verzweiflung der Figur glaubhaft sichtbar. Dazu überzeugt Dakota Johnson als Carrie, die als sehr ausgeglichener Charakter eher zurückgenommen angelegt ist. Und dennoch ein paar der unheimlichsten Momente des Films zu verantworten hat. Außerdem spielt die Deutsch-Amerikanerin Zazie Beetz als Wills Kollegin eine Art Katalysator der Story – und das macht sie gut.

Statt auf Jump Scares setzt Anvari bei Wounds ganz auf Atmosphäre. Wenn Will immer wieder Kakerlaken sieht, die in seiner Nähe auftauchen oder er sich, wie in frühen Cronenberg-Werken, selbst in den eigenen Körper greift, dann kommen diese Szenen nicht deshalb als Schock, weil sie so inszeniert sind, sondern weil sie auch ohne grelle Sound-Effekte oder Kameraperspektiven nachhaltig verunsichern. Anvari entwirft Bilder des Schreckens wie ein Maler, nicht wie ein Geschichtenerzähler.

Wer also eine Story braucht, in der Gut gegen Böse antritt und am Ende eine Seite über die andere triumphiert, wie die meisten modernen Horrorfilme heute funktionieren, der muss sich bei Wounds auf eine neue Erfahrung einstellen. Der Horror wird nie greifbar, findet ständig in dem Bereich statt, den man aus den Augenwinkeln gerade noch erkennen kann. Und bleibt deshalb diffus. Daher wird der Film viele kaltlassen oder verwirren. Andere werden den Film genau dafür feiern.

Fazit:

Wounds ist ein Film, der sich zwar leicht in die Kategorie Horror einordnen lässt, sich dort aber sofort eine Nische sucht, in der nicht viel Konkurrenz herrscht. Statt Antworten auf die vielen Fragen zu geben, die er mit seiner Story aufwirft, erklärt er gar nichts. Und überlässt es dem Zuschauer, selbst zu entscheiden, was genau er dort gerade gesehen hat. Das werden viele Zuschauer sicher nicht mögen, einige wenige aber werden den Film auch genau dafür lieben. Wer traditionelleren Horror sehen will, ist mit dem gleichzeitig startenden „Eli“ besser bedient.

Wounds startet am 18. Oktober 2019 bei Netflix.

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Dafür scheint seine Beziehung zu Carrie durch die grauenhaften Ereignisse zugrunde zu gehen.