Dead Ringers

Serienkritik: Dead Ringers

Der Roman, der beiden Versionen zugrunde liegt, dürfte bei den wenigsten Menschen bekannt sein. Aber David Cronenbergs „Die Unzertrennlichen“ aus dem Jahr 1988, den kennen viele Horrorfans allein schon deshalb, weil er nach dem Splatter-Klassiker „Die Fliege“ Cronenbergs nächste Arbeit war. Die Geschichte von einem Zwillingspaar, damals gespielt von Jeremy Irons, das in einer fragilen Abhängigkeit voneinander lebt, verstörte dabei weniger durch blutige Bilder, sondern durch psychologische Härten. Nun hat die britische Autorin und Produzentin Alica Birch den Stoff mit Rachel Weisz in der Doppelrolle neu aufgelegt – und manches verändert. Wie gut ist die Prime-Video Serie „Dead Ringers“ geworden? Das klärt die Kritik.

Rachel Weisz
Elliot und Beverly sind eineiige Zwillinge, die noch immer in einer Wohnung leben und den ganzen Tag gemeinsam arbeiten.

Die Handlung

Die brillanten Gynäkologinnen Elliot und Beverly Mantle (beide Rachel Weisz) gehören zu den Top-Adressen in New York, wenn es um Schwangerschaft und Geburt geht. Die eineiigen Zwillinge sind schon ihr ganzes Leben zusammen und haben kaum einen Tag ohne einander verbracht. Für feste Partner bleibt da natürlich weder zeit noch Platz. Während sich Elliot mit Kokain und One-Night-Stands ihren Spaß holt, ist die zurückhaltende Beverly nachts oft allein und forscht. Denn ihr sehnlichster Wunsch ist es, selbst einmal Mutter zu werden, doch sie erleidet eine Fehlgeburt nach der anderen. Auch die wissenschaftlich noch bessere Elliot kann ihr nicht helfen.

Doch als Beverly in ihrer Praxis die Schauspielerin Genevieve (Britne Oldford) kennenlernt, bekommt das fragile Konstrukt, in dem die beiden Schwestern in einer gemeinsamen Wohnung leben, langsam Schlagseite. Beverly möchte mehr zeit mit ihrer neuen Liebe verbringen und sich weniger von der dominanten Elliot aufzwingen lassen. Die hingegen flüchtet sich aufgrund der neuen Rivalin in mehr Alkohol, Drogen und Männer. Für ein Treffen mit einer potenten Geldgeberin für ihr Traumprojekt einer modernen Klinik müssen sich die Schwestern zwar zusammenraufen, aber die schmerzhafte Trennung lang gewachsener Strukturen zwischen Elliot und Beverly scheint nur noch eine Frage der Zeit …

One Woman-Show

Obwohl die Serie Dead Ringers über eine ganze Reihe von guten Schauspielern verfügt, ist sie natürlich letztlich eine One-Woman-Show von Rachel Weisz. Mit ihrer Leistung steht und fällt die gesamte Idee der Serie. Und die 52-jährige Britin liefert hier bravourös ab. Jederzeit weiß das Publikum, ob er nun gerade Elliot oder Beverly sieht und hört, selbst wenn die Zwillinge innerhalb der Handlung gelegentlich die Rollen tauschen. Allein das sollte für Freunde guten Schauspiels schon Grund genug sein, sich die Serie anzusehen. Aber eine herausragende Rache Weisz ist nicht alles, was Dead Ringers zu bieten hat. Das dürfen vor allem diejenigen zu schätzen wissen, die auch den Cronenberg-Film kennen.

Denn Autorin Alice Birch unterscheidet sich nicht nur in Genderfragen von der bekannten Verfilmung, sondern geht auch inhaltlich andere Wege. Die Tatsache, dass hier zwei Frauen statt zwei Männer die Zwillinge sind, nutzt Birch, um gänzlich andere Themen oder zumindest gänzlich andere Blickwinkel auf die Handlung zu präsentieren. Cronenberg zeigte seine Ärzte als brillante Köpfe, die aber stets eine gewisse Kühle ausstrahlten und den Vorgang von Schwangerschaft und Geburt rein wissenschaftlich interessant fanden. Die neue Version stürzt ihre Protagonistinnen weit emotionaler in die Materie, allein schon, weil sich eine von beiden selbst ein Kind wünscht. Und Ereignisse wie Fehl – oder Totgeburten längst sich so einfach wegsteckt wie die männlichen Versionen der Figuren.

Britne Oldford
Als sich Beverly in die Schauspielerin Genevieve verliebt, bringt das erhebliche Störungen für ihre Schwester mit sich.

Schleichender Horror

Dead Ringers zeigt sich als sehr erwachsene Horror-Serie. Sie arbeitete nur sehr wenig mit schockierenden Bildern oder Gewalt und wenn, dann sehr zielgerichtet. So zeigt die erste Episode auch wenig schöne Bilder von Geburten mit blutigen Kindern und ähnlichen Dingen. Denn der Alltag von Elliot und Beverly ist eben nicht nur schön oder ästhetisch. Aber die Serie arbeitet meist subtiler. Wenn etwa die Haushälterin der Zwillinge heimlich benutzte Tampons der Bewohnerinnen sammelt und akribisch wegschließt, ist das viel gruseliger, als ein plumper Jump-Scare. In diesen Bereichen erzeugt das Drehbuch einige echte Schockmomente. Aber die wahre Stärke der Serie bleibt das feine psychologische Spiel, in dem die Figuren miteinander agieren. Dead Ringers ist so erschreckend, weil es so realistisch ist.

So gerät der Besuch der Zwillinge bei der Familie einer Geldgeberin zum Fest bissiger Dialoge, weil die Familie fast ausschließlich aus Monstern in Menschengestalt besteht. Auch die Dialoge unter den Schwestern bestechen durch Schärfe und pointierte Sätze, die durch Mark und Bein gehen können. Die Serie interessiert sich weit mehr für den Prozess des schleichenden Verfalls einer symbiotischen Beziehung als für vordergründigen Schock. Daher dürfte Dead Ringers für Konsumenten von typischem Teenie-Horror auch deutlich zu spröde sein, um wirklich zu gefallen. Obwohl die Serie auch Schauwerte besitzt, liegt ihr Fokus auf den Dingen, die im Inneren der Figuren passieren. Wer das mitverfolgen will, sollte Empathie besitzen und muss aufmerksam sein.

Dead Ringers
Auch die Haushälterin der Mantles hat ihre Geheimnisse – und die sind sehr seltsam.

Wer sich allerdings auf dieses düstere, bisweilen kammerspielartige Serienereignis einlässt, der bekommt eine erwachsene Horror-Serie, die tiefer geht als die meisten anderen Geschichten. Die Unzertrennlichen von Cronenberg lieferte einen zweistündigen Alptraum der Selbstzerstörung. Die weibliche Variante dieser Geschichte kommt zu anderen Ergebnissen, ist in der Sache aber ähnlich trostlos und traurig wie der Film.

Fazit:

Mit Dead Ringers nimmt Prime Video eine Horror-Thriller-Serie ins Programm, die sich eher an ein erwachsenes Publikum richtet. Denn der Horror kommt hier nicht aus besonders blutigen Bildern, auch wenn es ein paar Aufnahmen von blutverschmierten Säuglingen und Geschlechtsteilen gibt. Stattdessen fokussiert sich Autorin Alice Birch auf das Psychogramm zweier Frauen, die längst ein symbiotisches Verhältnis zueinander aufgebaut haben, ohne es so recht wahrzunehmen. Und dem der Einbruch durch eine dritte Person gewaltige Schlagseite verleiht. Rachel Weisz spielt die beiden Rollen fantastisch, auch der restliche Cast ist ohne Schwächen. Ein Psycho-Horror-Thriller als Mini-Serie, die einem nicht so schnell aus dem Kopf geht, wenn man sich auf sie einlassen kann.

Dead Ringers startet am 21. April 2023 bei Prime Video.

Rachel Weisz in Dead Ringers
Bald ist Elliot dem Druck der neuen Situation nicht mehr gewachsen.