Horror hat viele Facetten. Manche kommen erst so richtig auf ihre Kosten, wenn literweise das Blut spritzt und überall Organe herumliegen, andere ziehen sich schon ein Kissen vor die Augen, wenn in dunkler Nacht der Fußboden in der Wohnung quietscht. „Things Heard And Seen“ richtet sich eindeutig mehr an letztere Gruppe, denn viel Blut oder Monster liefert die Literaturverfilmung nach dem Roman „All Things Cease To Appear“ von Elizabeth Brundage nicht. Ob und für wen sich das Einschalten trotzdem lohnt, klärt die Kritik.
1980. Das junge Paar Catherine (Amanda Seyfried) und George (James Norton, „The Nevers“) lebt mit der kleinen Tochter Frannie mitten in New York City . Doch während Catherine in ihrem Job als Kunstrestauratorin voll aufgeht, hat George mit der Großstadt Probleme. Als er ein Angebot als Professor für Kunstgeschichte an einer privaten Elite-Uni im ländlichen New York bekommt, lässt sich Catherine ihm zuliebe darauf ein, aufs Land zu ziehen. Goerge findet ein Haus, in das sich Catherine schnell verliebt und schließlich zieht die Familie dort ein und George tritt den neuen Job an. Doch schon bald tauchen dunkle Wolken am Horizont auf.
Denn Catherine fühlt sich bald sehr einsam mitten im Nirgendwo. Zudem scheint es im Haus zu spuken, immer wieder hört die Familie nachts unheimliche Geräusche oder sieht blasse Schemen in den Zimmern des Hauses. Während George das für Aberglauben hält, forscht Catherine weiter nach und erfährt schließlich einiges über die Geschichte des Hauses, in dem sie jetzt wohnt. Sie freundet sich mit Justine (Rhea Seahorn) an, der Frau eines Kollegen von George und auch mit dessen Chef Floyd (F. Murray Abraham). Der hat etwas übrig für Geister und schlägt Catherine vor, in dem Haus eine Seance abzuhalten, um mit möglichen Seelen im Haus Kontakt aufzunehmen …
Mehr Drama als Horror
Die Regie-Duo Shari Springer Berman und Robert Pulcini hatte seinen größten Erfolg mit dem Film „American Splendor“ im Jahr 2003. Things Heard And Seen, zu dem sie auch das Drehbuch schrieben, ist ihre erste Regiearbeit seit sechs Jahren. Offensichtlich ein Projekt, dass die beiden wirklich interessierte und nicht einfach nur ein Job, der zu erledigen war. Da beide bislang hauptsächlich Komödien und Dramen inszenierten, mutet die Wahl auf den ersten Blick etwas seltsam an, aber es passt gut, denn Things Heard And Seen ist im herkömmlichen Sinn kein Horrorfilm, sondern eher ein Thriller-Drama mit ein paar übernatürlichen Elementen, der aber nicht darauf ausgelegt ist, wirklich Angst zu machen.
Leider vermittelt der Trailer hier einen anderen Eindruck. Denn in diesem Film geht es zwar vordergründig durchaus um böse Geister, im Kern der Story steht aber der Zerfall einer Ehe und die Erfahrung, das man eine andere Person nie wirklich ganz kennt. Der übernatürliche Aspekt spielt da nur eine untergeordnete Rolle. Berman und Pulcini setzen nicht auf möglichst viele Jump-Scares, sondern erzählen über zwei Stunden von der Entfremdung zweier Menschen, die sich eigentlich zu lieben glauben. Den meisten echten Horrorfans dürfte Things Heard And Seen daher nicht sonderlich zusagen.
Leise Töne mit Wirkung
Andererseits sind viele Spannungsfilme deshalb so gut, weil sie mit Mitteln des Dramas arbeiten und den Zuschauer zum Freund der Charaktere machen, bevor sie die dann unangenehmen oder sogar schrecklichen Dingen aussetzen. Das funktioniert hier leider nur bedingt, denn die Sympathien sind von Beginn an relativ schnell verteilt, zugunsten von Catherine. George lebt nach einem durchaus guten Beginn schnell auch einige unerfreuliche Charakterzüge an den Tag, obwohl der Film dazu spät noch eine interessante Erklärung liefert. Dennoch leidet der Zuschauer hier nur mit Catherine mit, die schnell in der Opferrolle landet.
Und das spielt Amanda Seyfried (wie auch ihr Gegenpart James Norton) ganz ausgezeichnet. Nur langsam entblättert sich die Psyche ihrer Figur vor dem Publikum, lassen sich scheinbare Überreaktionen und Probleme mit Bulimie richtig einordnen. Genauso subtil ist die Transformation Nortons vom liebenden Ehemann zum schwer zu durchschauenden, extrem ambivalenten Kerl. Things Heard And Seen ist ein Thriller der leisten Töne und erinnert grob an Schatten der Wahrheit mit Harrison Ford und Michelle Pfeiffer, auch wenn sich die Storys in einigen Punkten deutlich unterscheiden. Und der neue Netflix-Film mit dem Legen der Spuren auch deutlich sparsamer ist.
Trotzdem ergibt sich dem aufmerksamen Zuschauer am Ende des Films ein genaues Bild darüber, was er nun eigentlich gerade gesehen hat. Ein Film, den man nebenbei laufen lassen kann, während man sich eigentlich mit dem Smartphone beschäftigt, ist Things Heard And Seen aber ausdrücklich nicht. Dafür verteilt er seine Hinweise oft auch ohne Text über die ganze Lauflänge, so dass manche scheinbar unwichtige Informationen doch noch eine größere Bedeutung erlangen. Um am Ende ein verstörendes Bild einer Figur zu zeichnen, dessen ganzes Ausmaß dann doch wieder echter Horror ist. Auch wenn das vermutlich keine zwei Stunden hätte dauern müssen.
Fazit:
Mit Things Heard And Seen nimmt Netflix einen Film ins Programm, der sich zwar per Trailer als Spuk-Horror ausgibt, in Wirklichkeit aber ein Drama mit leicht übernatürlicher Lackierung ist. Amanda Seyfried und James Norton spielen beeindruckend gut ein Ehepaar in der Krise. Das macht zwar selten Angst, bleibt aber doch so spannend, dass der Zuschauer die zwei Stunden Laufzeit nicht unbedingt merkt. Zudem er am Ende auch mit einer vernünftigen Erklärung belohnt und wird und nicht unwissend im Regen steht. Ob aber alle den Hybriden aus Ehedrama und Geistergeschichte dann auch mögen, steht auf einem anderen Blatt. Denn typisches Hollywood-Kino ist Things Heard And Seen nicht.
Things Heard And Seen startet am 29. April 2021 bei Netflix.