Redmayne arrested

Filmkritik: The Trial of the Chicago 7

Was für ein Prozess? Das werden sich in Deutschland sicher viele Zuschauer fragen, denn der „Trial of the Chicago 7“, in den USA damals ein Riesenthema, ist hier kaum bekannt. Dennoch wird der Film von Aaron Sorkin bereits als Oscar-Material gehandelt. Weil er sich mit einer Thematik beschäftigt, die heute wieder genauso aktuell ist wie damals: Was darf ein Bürger angesichts einer großen Ungerechtigkeit von Seiten des Staates tun? Welche Antwort der Film darauf gibt und wie gut er ist, erfahren Sie hier.

Der Prozess beschäftige die USA in den Jahren 1969 bis 1972. Er hatte weitreichende Folgen für viele Teilnehmer und gilt heute als Inbegriff eines politischen Schauprozesses in moderner Zeit: der Trial of the Chicago 7. Das damals sehr populäre Quartett Crosby, Stills, Nash and Young schrieb mit „Chicago“ sogar einen Song über eine besonders furchterregende Episode in diesem Prozess. Angesichts der momentan Demonstrationen in den USA gegen die Behandlung von schwarzen Bürgern durch die Polizei ist der Film plötzlich brandaktuell. Aber ist er auch gut?

Trial of the chicago 7
Die Kämpfe zwischen Demonstranten und Polizei führen zu vielen Verletzten und beträchtlichen Sachschäden.

The Trial of the Chicago 7: Die Handlung

Es sind verschiedene Gruppierungen, die sich im August 1968 auf den Weg nach Chicago machen, wo die Demokraten auf ihrem Parteitag den Präsidentschaftskandidaten wählen wollen. Tom Hayden (Eddie Redmayne) und  Rennie Davis (Alex Sharp) gehören zu Anführern der Studentenbewegung gegen den Vietnam-Krieg. Der Pazifist David Dellinger (John Carroll Lynch) plant dort ebenfalls gegen den Krieg demonstrieren. Die beiden Aktivisten und Comedians Abby Hoffman (Sascha Baron-Cohen)  und Jerry Rubin (Jeremy Strong) wollen neben der Demo auch ihren Spaß haben. Der schwarze Black Panther-Chef Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II) hingegen muss nur für ein Statement vor Ort sein. Während der Demonstration kommt es zu schweren und gewalttätigen Unruhen.

Ein Jahr später ist die republikanische Nixon-Regierung im Amt und der neue Justizminister will für die gewalttätigen Ausschreitungen jemanden bestraft sehen. Er beauftragt Staatsanwalt Richard Schultz (Joseph Gordon-Levitt) gegen dessen Abraten mit der Eröffnung eines Prozesses wegen organisierter Verschwörung zur Gewalt über Landesgrenzen – eine 200 Jahre altes Gesetz, das noch nie angewandt wurde. Der Prozess gegen Hayden, Seal und andere bleibt skandalträchtig. Seale bekommt keinen Anwalt, der Richter scheint senil und rassistisch und die Comedians machen sich einen Spaß aus allem …

Wahre Geschichte, dramaturgisch bearbeitet

Die meisten Filmfans kennen Regisseur Aaron Sorkin hauptsächlich als Drehbuchautor. Er schrieb Scripts zu Filmen wie „Eine Frage der Ehre“, „The Social Network“ (oscarprämiert) oder „Molly’s Game“, bei dem er auch erstmals Regie führte. In seiner zweiten Inszenierung eines eigenen Drehbuches nimmt er sich den vielleicht größten Justizskandal der späten 60er und frühen 70er Jahre vor, den Trial of the Chicago 7. Bei dem zu Beginn sogar acht Aktivisten angeklagt waren, ehe Bobby Seale nach schweren Misshandlungen auf Anordnung des Richters im Saal schließlich vom Verfahren getrennt wurde.

Sorkin arbeitet in seinem Film auf zwei Ebenen. Er erzählt die besonders wichtigen Details aus dem 180 Tage dauernden Prozess gegen Kriegsgegner. Der in der Schlüsselszene gipfelt, wenn Bobby Seal geknebelt und an den Stuhl gekettet wird wie ein Sklave. Dazu deckt er in Rückblenden die Geschehnisse auf, die zu den Ausschreitungen und Straßenschlachten mit der Chicagoer Polizei führten. Dabei stilisiert Sorkin seine Protagonisten nicht zu Helden. Die beiden Hippies Hoffman und Rubin zeigt er als nervige und vorlaute, aber auch sehr witzige Kindsköpfe, die wenig ernst nehmen. Hayden als fast verbissenen Kämpfer mit klarer politischer Agenda. Und den Pazifisten Dellinger als zu Gewalt fähig – und furchtbar erschrocken darüber. Auch, dass die Angeklagten sich untereinander teilweise nicht mochten, lässt Sorkin nicht aus.

The Trial of the Chicago 7
Noch kann er sich rühren: Bobby Seal wurde später an den Stuhl gekettet und geknebelt. Was im Film nur Minuten sind, dauerte in Wahrheit mehrere Tage.

The Trial of the Chicago 7: Stark gespielt und hochemotional

Obwohl Sorkin als Regisseur noch nicht über große Erfahrung verfügt, führt er sein Rudel von Stars jederzeit sicher – und gibt jedem mindestens eine große Szene in seinem Script. Die wohl undankbarste Rolle hat dabei Frank Langella als Richter Hoffman, dem wohl jeder Zuschauer nach einer Stunde gehörig die Meinung geigen möchte. Als „alter weißer Mann“, beinhart, unbelehrbar und an den Rechten der Angeklagten sichtbar wenig interessiert, ist er der stärkste Antagonist des Films, aber nicht der einzige. Der republikanische Apparat, der hinter dem Schauprozess steckt, bekommt ebenfalls sein Fett weg.

Überraschend stark ist Sascha Baron-Cohen, der hier zeigt, dass er mehr kann als Fremdschäm-Filme zu drehen. Sein Abby Hoffman ist ebenso witzig wie intelligent, mal zynisch und verbittert, mal klar und leise. Eine spannende, großartig geschriebene Figur, die Baron-Cohen eindrucksvoll meistert. Und Joseph Gordon-Levitt ist als Mann, der immer stärker mit seiner Integrität zu kämpfen hat, ebenfalls wundervoll. Aber eigentlich lässt sich keine der schauspielerischen Leistungen deutlich hervorheben, dazu ist das Ensemble durchgehend einfach zu stark.

Aktuell ist der Film vor allem dadurch, dass die Leute, die damals vor Gericht standen, von Männern wie Trump heute sicher der Antifa zugerechnet würden. Und damit bei Wiederwahl des Präsidenten demnächst als Terroristen gebrandmarkt würden. Sorkin zeigt auf, wie wenig sich in einem republikanischen Amerika seit den 70er Jahren tatsächlich verändert hat. So ist The Trial of the Chicago 7 aus vielen Gründen sehenswert. Er zeigt tolle Schauspieler, legt den Finger in eine noch immer blutende Wunde Amerikas und ist darüber hinaus hochemotional. Obwohl nur wenig passiert, dürfte dieses Werk wohl nur die wenigsten Zuschauer kalt lassen. Großes Kino bei Netflix!

Fazit:

The Trial of the Chicago 7 ist zwar aufgrund seiner stark auf die USA bezogenen Themen für ein deutsches Publikum nicht so emotional wie vermutlich für einen US-Bürger. Die Wut auf ein solches System wird aber auch bei nicht-US-Zuschauern aufkommen. Dafür sorgen die groß aufspielenden Stars, das starke Drehbuch und die stringente, selbst mit 130 Minuten keine Sekunde zu lange Inszenierung. Wer politische Filme mag und auch Gefallen an Gerichtsdramen findet, bekommt mit diesem Film einen echten Gewinner.

The Trial of the Chicago 7 startet am 16. Oktober 2020 bei Netflix.

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The Trial of the Chicago 7
Rubin und Hoffman bemerken den Ernst der Lage, als sie vor bis an die Zähne bewaffneten Polizisten stehen.