The Vigil

Filmkritik: The Vigil – Die Totenwache

Blumhouse Productions hat seinen Schwerpunkt schon lange auf Horrorfilme gelegt. So brachte die Firma mit „Sinister“, „Paranormal Activity“, „The Purge“ und vielen weiteren Filmen einige der erfolgreichsten Genrevertreter der vergangenen 20 Jahre in die Kinos. Dabei zielt Blumhouse aber längst nicht mehr nur auf den US-Markt. So produzierte das Team um Gründer Jason Blumhouse zwei Mini-Serien für Netflix in Indien. Wie gut ist mit „The Vigil“ der Ausflug in die jüdische Mythologie geraten?

Die christliche Religion hat schon den Stoff für viele Horror- oder düstere Fantasyfilme geliefert. Ob „God’s Army“ oder „Legion“, ob „Das Omen“ oder „Der Exorzist“. Andere Weltreligionen führen dagegen in Sachen Horror eher ein Schattendasein. So sind aus dem jüdischen Glauben zwar Klassiker wie „Der Golem und wie er in die Welt kam“ bekannt, so richtig viele sind das aber nicht. Nun fügt Regisseur und Autor Keith Thomas mit The Vigil – Die Totenwache einen weiteren hinzu. Wie gruselig sind die jüdischen Dämonen?

The Vigil
Eigentlich wollte Jakov mit seiner jüdischem Gemeinde nichts mehr zu tun haben. Doch der Rabbi bietet ihm viel Geld für einen Job …

The Vigil: Die Handlung

Jakov (Dave Davis) war einst ein gläubiger Jude. Aber nach einem schrecklichen Vorfall hat er seinem Glauben abgeschworen und hält sich nun fern von seiner ehemaligen Gemeinde, will ein neues Leben anfangen. Doch sein ehemaliger Rabbi Reb Shulem (Menashe Lustig) kommt eines Abends mit einem besonderen Auftrag zu ihm. Er soll die religiöse Totenwache bei einem orthodoxen Juden halten, da kein Familienmitglied dafür in Frage kommt. Weil Jakov dringend Geld für die Miete braucht, willigt er ein, wenn auch widerwillig.

Im Haus des Toten lebt nur noch Mrs Litvak (Lynn Cohen), die Witwe, die allerdings nach Aussage Shulems schwer dement ist und wohl die ganze Nacht schlafen werde. Schon bald merkt Jakov, dass dies keine normale Totenwache wird, denn er hört und sieht immer wieder Dinge im Haus, die eigentlich nicht sein können. Liegt es daran, dass die Tabletten gegen seine psychischen Probleme gerade zur Neige gehen? Oder befindet sich in dem alten Haus tatsächlich ein böser Geist, der es auf ihn abgesehen hat? Jakov wird es herausfinden …

The Vigil: Starker Auftakt

Mit diesem Film gibt Autor und Regisseur Keith Thomas sein Langfilm-Debüt. Und was für eins! Gerade die ersten 30 Minuten des Films sind in Sachen Spannungs- und Atmosphären-Aufbau absolut beeindruckend. Zwar erfindet Thomas das Rad nicht neu, setzt aber bereits bewährte Methoden zum Entwickeln einer unbehaglichen Szenerie so virtuos ein, dass besonders Fans von atmosphärischem Horror hier begeistert sein werden. In einer Einstellung lässt Thomas seinen Helden minutenlang werkeln, während im Hintergrund die Leiche zu sehen ist.

Und es wird garantiert niemand schaffen, nicht regelmäßig an Jakov vorbei zu blicken, um zu prüfen, ob der tote Körper sich vielleicht bewegt hat. Dazu zeigt Thomas auch Geschick beim Drehbuch schreiben. Denn der Kniff, seinen Protagonisten als möglicherweise geisteskrank zu brandmarken, webt eine Ebene in den Film, die für zusätzliche Verunsicherung beim Publikum sorgt. Niemand kann sich sicher sein, ob das, was Jakov – und damit der Zuschauer – sieht, tatsächlich auch real ist. Leider hält Thomas diese feine Linie aber nicht durch.

The Vigil
Doch die Totenwache, für die er bezahlt wird, läuft nicht wie erwartet. Schon die Witwe will ihn nicht im haus haben,

The Vigil: Schocks statt Schauer

Denn je länger der Film dauert, desto mehr scheint Thomas die Zuversicht zu verlassen, dass sein Weg des subtilen Horrors der richtige ist. Nicht nur, dass er die Tonkulisse zu einer Kakophonie aufbläst, die bereits ohne Bilder gruselig wäre. Nein, er baut auch immer mehr Jump-Scares ein, auf die er in der ersten halben Stunde noch komplett verzichtet hat. Und die auch niemand vermisste. Ob der Einfluss von Blumhouse dahinter steckt, die mit Jump-Scares meist gut fahren, oder ob Thomas selbst es für nötig hielt, bleibt dabei unklar.

Dabei bleibt der Plot weiterhin clever. Thomas nutzt für seine Story die Legende des Mazzik, eines mächtigen bösen Wesens, das laut jüdischem Glauben in den Pausen der Schöpfung entstand und keine eigene Seele besitzt. Thomas entwickelt daraus eine stimmige und glaubwürdige Geistergeschichte, die auch ohne ständige Twists oder nervige Schluss-Kehrtwende ausgezeichnet funktioniert. Und weil die Produktionsfirma Blumhouse heißt und nicht A24, bleibt es auch bei dieser klaren, einfach zu verstehenden Story.

Arthouse-Einflüsse sucht man hier ebenso vergeblich wie komplexe Botschaften über das menschliche Dasein. Thomas nutzt religiöse Folklore für eine Gruselgeschichte, die weiter nichts ist als eine Gruselgeschichte. Die ist gut und hätte mit etwas mehr Mut sogar großartig werden können. Denn Hauptdarsteller Dave Davis liefert im Zusammenspiel mit Kollegin Lynn Cohen starke Szenen ab, die ganz ohne Effekte unheimlich genug sind, um das Publikum zu ängstigen. Und zeigen, dass die alten Dämonen auch die gruseligsten sein können.

Fazit:

The Vigil ist ein starkes Debüt für Regisseur und Autor Keith Thomas, der clever mit jüdischer Mythologie spielt und die zumindest zu Beginn auch noch mit subtilen Mitteln schön schaurig in Szene setzt. Leider verfällt Thomas im Lauf der Geschichte immer häufiger auf Jump-Scares und brüllend laute Toneffekte, um seine Story gruselig zu machen. Das hätte die starke Kammerspiel-Idee aber eigentlich gar nicht nötig gehabt. Dennoch gehört The Vigil zu den stärkeren Horrorfilmen des bislang wenig überzeugenden Horror-Jahrgangs 2020.

The Vigil – Die Totenwache startet am 23. Juli 2020 in den deutschen Kinos.

The Vigil
Und auch das alte Gemäuer scheint einen eigenen, bösen Willen zu besitzen, wie Jakov bald am eigenen Leibe erfährt.