Old People

Filmkritik: Old People

Ein Horrorfilm aus Deutschland? Das ist mittlerweile fast seltener als eine Fußball-Weltmeisterschaft. Denn was immer die deutsche Filmförderung auch für gut genug hält, um Gelder zu erhalten – Genrefilme sind in aller Regel nicht dabei. Da ist es gut, dass bei Netflix das Geld deutlich lockerer sitzt und der US-Streamingdienst sich auch auf die Fahnen geschrieben hat, in den großen Abo-Ländern eigene Serie und Filme produzieren zu lassen. So bekam auch Andy Fetscher die Chance, elf Jahre nach seinem letzten Horrorfilm „Urban Explorer“ einen weiteren zu drehen – „Old People“. Ob Netflix sein Geld da gut angelegt hat, verrät die Kritik.

Old People
Kim und Ella wundern sich über den Zustand der Heimbewohner.

Die Handlung

Ella (Melika Foroutan) fährt mit ihren Kindern Laura (Bianca Nawrath) und Noah (Otto Emil Koch) zurück in ihren Geburtsort, ein Dorf an der ostdeutschen Ostseeküste. Der Anlass ist erfreulich, ihre kleine Schwester Sanna (Maxina Kazis) feiert ihre Hochzeit. Die Kinder freuen sich auf ein Wiedersehen mit ihrem Vater Lukas ( Stephan Luca), der sich von Ella getrennt hatte, weil er nicht in die Großstadt Berlin ziehen wollte. Er lebt mittlerweile mit der Altenpflegerin Kim (Daniela Galbo) zusammen, hat aber offenbar noch immer Gefühle für seine Ex-Frau. Als Ella mit Noah ihren Vater aus dem Altersheim abholen will, damit er die Hochzeit mitfeiern kann, sehen sich die beiden allerdings mit unheimlichen Bildern konfrontiert.

Denn viele der alten Leute scheinen in dem Heim nur noch vor sich hin zu vegetieren und nicht mehr am realen Leben teilzunehmen. Auch Opa Aike (Paul Faßnacht) scheint seine Sprache verloren zu haben und reagiert kaum noch auf die Worte seiner Tochter und seines Enkels. Dennoch nimmt Ela ihn mit und die Feier kann steigen. Als die Musik des Fests bis zum Altersheim dringt und die alten Laute sich an einem offenen Fenster sammeln, um die Lichter zu sehen und den Klängen zu lauschen, drängt ein Pfleger darauf, dass nun alle ins Bett gehen sollen und verweigert die Bitte einer alten Frau, noch ein wenig länger zuhören zu dürfen. Damit bringt er das Fass zum Überlaufen, die Insassen töten ihre Pfleger und machen sich dann eigenmächtig auf den Weg zur Hochzeit …

Der Zombiemacher als Vorbild

Wie wichtig George Romeros „Night of the Living Dead“ für den modernen Horrorfilm ist, dürften die meisten Fans des Genres wissen. Wer aber noch einen Beweis braucht, findet ihn in Old People. Denn Fetschers Film, für den er auch das Drehbuch schrieb, lehnt sich inhaltlich stark an Romeros Meisterwerk an, nutzt aber auch noch Romeros „Crazies“ als Inspiration, denn Untote sind die alten Leute ja nicht. Die Mischung aus einem weltweiten Phänomen und scheinbar verrückt gewordenen Mitmenschen passt dann genau auf Old People. Manch einer wird jetzt vielleicht schon aussteigen, doch gerade Horrorfans sind ja Wiederholungen des immer gleichen Plots durchaus gewohnt – und manche stören sich nicht daran.

In Fetschers Film treffen sich allerdings handwerklich durchaus ordentliche Szenen mit Momenten, in denen man den Film fast für eine Parodie halten könnte. So ist etwa der Besuch des kleinen Noah im Altersheim von Bilder geprägt, die so übertrieben sind, dass sie einer Karikatur gleichkommen. Ausgemergelte Gestalten drücken sich in den Zimmerecken herum und starren grunzend auf den Jungen – subtil sieht anders aus. Allerdings kann man Andy Fetschers Film auch danach nicht nachsagen, er würde seine Spannung mit feiner Klinge erstellen. In Old People geht es ohne großes Zaudern und ordentlich blutig zur Sache, wenn auch der Gewaltgrad der Romero-Werke nicht erreicht wird.

Die langsamste Kamerafahrt der Welt?

Eine Rekord mag Fetscher für seinen Film aufgestellt haben. Es gibt möglicherweise keinen anderen Horrorfilm mit derart quälend langsamen Kamerafahrten wie Old People. Allein der Schwenk durch ein Wohnzimmer dauert gefühlt Minuten. So etwas kann durchaus Spannung erzeugen, hier ist es eindeutig etwas zu viel des Guten. Trotzdem hat der Film auch starke Momente. Die Morde der Alten sind effektvoll in Szene gesetzt, statt auf Jump Scares setzt Fetscher mehr auf die stetig wachsende Bedrohung von außen, und wenn die letzten Überlebenden sich im Haus verschanzen, zeigt der Regisseur durchaus Gefühl für das stetig steigende Spannung. Wenn nur das Drehbuch nicht wäre!

Old People
Die Atmosphäre stimmt bei Old People, das Drehbuch leider nicht.

Denn als satirischer oder bissiger Kommentar zur Lage der Senioren im Lande taugt das reichlich flache Script ebenso wenig wie zur Zeichnung glaubhafter Figuren. Trauriger Tiefpunkt ist ein Eifersuchtsdrama, dass gleichzeitig völlig unglaubwürdig und auch noch mäßig gespielt ist. Solche Momente holen auch den tolerantesten Horrorfan schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Die häufigen Wechsel zwischen atmosphärisch gelungenen Szenen und dramaturgischen Tiefeschlägen sind es denn auch, die die durchaus guten Ansätze von Old People oft im Keim ersticken. Und den Film schlechter machen, als er hätte sein müssen.

Fazit:

Mit Old People präsentiert Netflix Horrorfans tatsächlich einen Genrebeitrag aus deutscher Produktion. Und handwerklich kann sich Regisseur Andy Fetscher durchaus mit vielen internationalen Produktionen messen. Lange Kamerafahrten, sich langsam steigernde Musik und im richtigen Moment gesetzte schnelle Schnitte erzeugen Unbehagen, die blutigen Effekte funktionieren ebenfalls gut. Leider kann das Drehbuch, ebenfalls von Fetscher, nicht mit der Qualität der Bilder mithalten. Denn schwach gezeichnete Charaktere, abstruse Storywendungen und zum Teil mäßige Darsteller trüben die Freude merklich. Fetschers Vorbild George Romero ist zwar stets erkennbar, genauso erkennbar ist aber auch, wie weit der Abstand zu Filmen wie Night of the Living Dead oder Crazies sind.

Old People startet am 7. Oktober 2022 bei Netflix.