Spanien hat sich in den vergangenen Jahren für Netflix als durchaus lohnenswertes Erzeugerland in Sachen Spielfilmen gezeigt. Ob kluge Parabeln wie der Hit „Der Schacht“ oder harte Thriller wie „Die Stille des Todes“ – die Iberer haben einige starke Beiträge zum Programm des Streamingdienstes geliefert. Lediglich bei echtem Horror klappte es bislang nicht, Filme wie „Böser Einfluss“ konnten nur bedingt überzeugen. Hat Regisseur David Casademunt, der auch die Idee zum Film hatte und am Drehbuch mitschrieb, mit seinem Film „Die Einöde“ mehr Erfolg? Das klärt die Kritik.
Die Handlung
Spanien im 19. Jahrhundert. Der junge Diego (Asier Flores) lebt mit seiner Mutter Lucia (Inma Cuesta) und seinem Vater Salvador (Roberto Alamo) irgendwo in einem öden Landstrich. Weitab von der Zivilisation, die sich nach Meinung von Diegos Eltern selbst vernichtet. Deshalb haben die beiden ihren Sohn in ein weitgehend unbewohntes Gebiet gebracht. Und trotzen ihre Nahrung dem kargen Boden ab, schlachten hin und wieder eines der Kaninchen, die sie züchten. Diego ist ein kluger Junge und hungert nach Wissen und Geschichten. Während seine Mutter ihm harmlose Spukgeschichten erzählt, lässt sich Salvador eines Abends die Geschichte seiner toten Schwester entlocken, die von der Bestie geholt wurde, einem mythischen Monster, das sich von der Angst der Menschen ernährt.
Der ohnehin schreckhafte Diego wird durch diese Geschichte noch ängstlicher und fürchtet sich vor der Bestie und dem Tag, an dem sie ihr Haus in der Einöde entdeckt. Als die Zivilisation in Form eines verletzten Soldaten in ihr Leben tritt, muss Salvador eine Entscheidung treffen und verlässt seine Familie für einige Tage. Kurze Zeit später meint Lucia, ein seltsames Wesen ums Haus streichen zu sehen. Erst ist Diego skeptisch, doch bald kann auch er die Vorgänge rund um ihre kleine Hütte nicht mehr als Einbildung abtun. Etwas scheint es auf ihn und seine Mutter abgesehen zu haben. Und vom Vater ist auch nach Tagen noch nichts zu sehen …
Als reiner Horrorfilm keine Empfehlung
Wenn man David Casademunts Films Die Einöde wohlwollend gegenüber steht, kann man dem nur knapp 90 Minuten langen Film ein paar positive Aspekte attestieren. So ist der Film atmosphärisch dicht. Auch die Bilder sind in Verbindung mit dem stets besonderen Licht der trüben Tage und der ebenso schummrigen Beleuchtung im Inneren des Hauses von einem besonderen Look, der durchaus gefällt. Zudem überzeugen die Schauspieler alle drei in ihrem Rollen, auch wenn die deutsche Synchronisation manchmal schon etwas auf die Nerven geht. Um auch der Handlung etwas abgewinnen zu können, muss sicher der Zuschauer aber schnell davon lösen, hier eine richtige Story zu sehen. Und sich dafür entscheiden, die Geschichte als Allegorie für sich zu interpretieren. Als reiner Horrorfilm ohne Hintersinn ist Die Einöde jedenfalls wenig packend.
Das liegt auch daran, dass über weite Strecken nichts Neues passiert. Immer wieder hört Lucia Geräusche oder sieht die Bestie vor dem Haus und schießt auf sie. Das Publikum lässt Casademunt dabei bewusst im Dunkeln tappen, denn er zeigt nichts von dem, was Lucia wahrnimmt. Das passt zwar zu der konsequent aus Diegos Sicht erzählten Handlung, was ein wenig an Guillermo del Toros Meisterwerk „Pans Labyrinth“ erinnert, aber dessen Qualität erreicht Die Einöde leider in keinem Moment. Lässt sich der Zuschauer aber auf das Gedankenexperiment ein, dass die Bestie für etwas anderes steht, dann leidet der Film zwar immer noch unter ein wenig Redundanz der Erzählung, wirkt aber dennoch deutlich sinnvoller.
Bestie Mensch?
Denn wenn die Bestie für die dunkle Seite des Menschen steht, vor der seine Eltern den kleinen Diego bewahren wollten, der aber niemand jemals wirklich entkommen kann, dann zeigt Casademunts Film starke Momente der Erkenntnis. So ist die Erzählung des Vaters letztlich ebenso für das Erscheinen der Bestie verantwortlich wie die grausamen Lieder Lucias, die sie ihrem Sohn beibringt. Und als die Realität in Form des Soldaten endgültig in die Welt der Familie eindringt, gibt es für die Offenbarung der Natur des Menschen endgültig kein Halten mehr. Casademunt findet für diesen Ansatz eine starke Ausdrucksform: die Art, wie Diego mit seinen geliebten Kaninchen umgeht. Während er zu Beginn der Story nicht in der Lage ist, seinen Tieren etwas anzutun, wandelt sich sein Charakter im Laufe der Ereignisse.
Somit ist Lucias Kampf um die Unschuld ihres Sohnes ebenso tapfer wie vergeblich und mit der Akzeptanz Diegos, dass die Bestie existiert, endet auch seine Kindheit drastisch. Hier zeigen sich erneut die Parallelen zu Pans Labyrinth, in dem ein Kind mit seiner Phantasie dem Schrecken des Krieges entfliehen will. Casademunts Film fehlt aber die Ambivalenz von del Toros Film und auch die Vielschichtigkeit der Story bietet Die Einöde nicht. Der Film mag durchaus den Intellekt ansprechen, denn die Chance zur Interpretation der Ereignisse bietet er durchaus. Aber es fehlt die emotionale Ebene, die Die Einöde trotz der guten Schauspieler nicht öffnet. Dazu ist der Plot einfach zu dünn, der Film selbst mit 90 Minuten noch zu lang.
Fazit:
Als reiner Horrorfilm überzeugt Die Einöde von Regisseur David Casademunt in keinem Moment, dazu ist die Handlung nicht interessant genug und auch die Horrormomente viel zu selten. Sieht man den Film als Allegorie auf das Erwachen der Bestie Mensch in einem Kind, lohnt sich das Anschauen schon eher. Denn Casademunt liefert in edlen Bildern einige deprimierende wie treffende Aussagen. Allerdings funktioniert sein Film trotzdem nur auf einer kopflastigen Ebene, denn trotz dreier wirklich guter Schauspieler vermag es der Regisseur nicht, das Publikum auch emotional abzuholen. So bleibt Die Einöde leider über weite Strecken öde und kühl.
Die Einöde startet am 6. Januar 2022 bei Netflix.